Geschichte Des Agathon Teil 1

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Author: Christoph Martin Wieland

Erstes Kapitel

Was die Nacht durch in den Gemuetern einiger von unsern Personen vorgegangen

Wir haben schon so viel von der gegenwaertigen Gemuetsverfassung unsers Helden gesagt, dass man sich nicht verwundern wird, wenn wir hinzusetzen, dass er den uebrigen Teil der Nacht in ununterbrochenem Anschauen dieser idealen Vollkommenheit zubrachte, die seine Einbildungskraft mit einer ihr gewoehnlichen Kunst, und ohne dass er den Betrug merkte, an die Stelle der schoenen Danae geschoben hatte. Dieses Anschauen setzte sein Gemuet in eine so angenehme und ruhige Entzueckung, dass er, gleich als ob nun alle seine Wuensche befriediget waeren, nicht das geringste von der Unruhe, den Begierden, der innerlichen Gaerung, der Abwechslung von Frost und Hitze fuehlte, womit die Leidenschaft, mit der man ihn, nicht ohne Wahrscheinlichkeit, behaftet glauben konnte, sich ordentlicher Weise anzukuendigen pflegt.

Was die Danae betrifft, welche die Ehre hatte, diese erhabene Entzueckungen in ihm zu erwecken, so brachte sie den Rest der Nacht wo nicht mit eben so erhabenen doch in ihrer Art mit eben so angenehmen Betrachtungen zu. Agathon hatte ihr gefallen, sie war mit dem Eindruck, den sie auf ihn gemacht, zufrieden; und sie glaubte, nach den Beobachtungen, die ihr dieser Abend bereits an die Hand gegeben, dass sie sich selbst mit gutem Grunde zutrauen koenne, ihn, durch die gehoerigen Gradationen, zu einem zweiten und vielleicht standhaftern Alcibiades zu machen. Nichts war ihr hiebei angenehmer als die Bestaetigung des Plans, den sie sich ueber die Art und Weise, wie man seinem Herzen am leichtesten beikommen koenne, gemacht hatte. Es ist wahr, dass der Einfall, sich an die Stelle der Taenzerin zu setzen, ihr erst in dem Augenblick gekommen war, da sie ihn ausfuehrte; allein sie wuerde ihn nicht ausgefuehrt haben, wenn sie nicht die gute Wuerkung davon mit einer Art von Gewissheit vorausgesehen haette. Haette sie in dem ersten Augenblick, da sie sich ihm darstellte, in ihren Gebaerden, oder in ihrem Anzug das mindeste gehabt, das ihm anstoessig haette sein koennen, so wuerde es ihr schwer gewesen sein, den widrigen Eindruck dieses ersten Augenblicks jemals wieder gut zu machen. Agathon musste in den Fall gesetzt werden, sich selbst zu hintergehen, ohne es gewahr zu werden; und wenn er fuer subalterne Reizungen empfindlich gemacht werden sollte, so musste es durch Vermittlung der Einbildungskraft und auf eine solche Art geschehen, dass die geistigen und die materiellen Schoenheiten sich in seinen Augen vermengten, und dass er in den letztern nichts als den Widerschein der ersten zu sehen glaubte. Danae wusste sehr wohl, dass die intelligible Schoenheit keine Leidenschaft erweckt, und dass die Tugend selbst, wenn sie (wie Plato sagt) in sichtbarer Gestalt unaussprechliche Liebe einfloessen wuerde, diese Wuerkung mehr der blendenden Weisse und dem reizenden Contour eines schoenen Busens, als der Unschuld, die aus demselben hervorschimmerte, zuzuschreiben haben wuerde. Allein das wusste Agathon noch nicht; er musste also betrogen werden, und, so wie sie es anging, konnte sie mit der groessten Wahrscheinlichkeit hoffen, dass es ihr gelingen wuerde.

Der weise Hippias hatte zuviel Ursache, den Agathon bei dieser Gelegenheit zu beobachten, als dass ihm das geringste entgangen waere, was ihn von dem gluecklichen Fortgang seines Anschlags zu versichern schien. Allein er schmeichelte sich zuviel, wenn er hoffte, Callias werde, in dem ekstatischen Zustande, worin er zu sein schien, ihn zum Vertrauten seiner Empfindungen machen. Das Vorurteil, welches dieser wider ihn gefasst hatte, verschloss ihm den Mund, so gern er auch dem Strome seiner Begeisterung den Lauf gelassen haette. Eine Danae war in seinen Augen ein so vortrefflicher Gegenstand, und das was er fuer sie empfand, so rein, so weit ueber die brutale Denkungsart eines Hippias erhaben; dass er durch eine unzeitige Vertraulichkeit gegen diesen Ungeweihten beides zu entheiligen geglaubt haette.

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