Isabella Von Aegypten; Kaiser Karl Des Fuenften Erste Jugendliebe

Author: Achim von Arnim

Isabella Von Aegypten; Kaiser Karl Des Fuenften Erste Jugendliebe

Arnim, Ludwig Achim, Freiherr von, 1781-1831

Isabella von Aegypten Achim von Arnim

Kaiser Karl des Fuenften erste Jugendliebe

Erzaehlung (1812)

Braka, die alte Zigeunerin im zerlumpten roten Mantel, hatte kaum ihr drittes Vaterunser vor dem Fenster abgeschnurrt, wie sie es zum Zeichen verabredet hatte, als Bella schon den lieben, vollen, dunkelgelockten Kopf mit den glaenzenden, schwarzen Augen zum Schieber hinaus in den Schein des vollen Mondes streckte, der gluehend wie ein halbgeloeschtes Eisen aus dem Duft und den Fluten der Schelde eben hervorkam, um in der Luft immer heller wieder aus seinem Innern heraus zu gluehen. "Ach, sieh den Engel", sagte Bella, "wie er mich anlacht!"

"Kind", sprach die Alte und ihr schauderte, "was siehst du?"

"Den Mond", antwortete Bella, "er ist schon wieder da, aber der Vater ist wieder nicht nach Hause gekommen. Alte, diesmal bleibt der Vater gar zu lange aus, doch ich hatte schoene Traeume von ihm in der letzten Nacht, ich sah ihn auf einem hohen Throne in Aegypten, und die Voegel flogen unter ihm, das hat mich getroestet."

"Du armes Kind", sagte Braka, "wenn’s nur wahr waere, hast du denn was zu essen und zu trinken bekommen?"

"O ja", antwortete Bella, "der Nachbar hat seine Aepfelbaeume geschuettelt, da sind viele Aepfel in den Bach gefallen, die habe ich aufgefischt, wo sie in den Wurzeln am krummen Ufer stecken geblieben, auch hatte der Vater, ehe er ausging, mir ein grosses Brot herausgelassen."

"Daran tat er recht", weinte die Alte, "er hat kein Brot mehr noetig, sie haben ihn vom Brot geholfen."

"Liebe Alte, sprich", bat Bella, "mein Vater hat sich doch nicht Schaden getan bei den starken Mannskuensten? Fuehr mich hin zu ihm, ich will ihn pflegen. Wo ist mein Vater? Wo ist mein Herzog?"

So fragte Bella zitternd, und die Traenen fielen ihr aus den Augen durch den Mondschein auf harte Steine nieder

waer ich ein ziehender Vogel gewesen, ich haette mich niedergelassen und meinen Schnabel eingetunkt und sie zum Himmel getragen, so traurig und so ergeben in seinen Willen waren diese Traenen.

"Sieh dort", schluchzte die Alte, "auf dem Berge steht ein Dreifuss, dreibeinig, aber nicht dreieinig. Gott weiss nichts von ihm, und doch heisst er das hohe Gericht, wer vor dem Dreifuss vorbeikommt, der kann noch lange leben, das Fleisch, was da die Sonne kocht, das wird in keinen Topf gesteckt, es haengt daran, bis wir es abnehmen. Sei ruhig, du armes Kind, und schrei nur nicht, dein Vater haengt da oben, aber sei nur ruhig, wir holen ihn diese Nacht und werden ihn in den Bach werfen mit allen Ehren, wie ihm zukommt, dass er hinschwimme zu den Seinen nach Aegypten, denn er ist auf frommer Wallfahrt gestorben. Nimm diesen Wein und dieses Toepfchen mit Schmorfleisch, halte ihm ein Totenmahl in deiner Einsamkeit, wie es sich geziemt."

Bella konnte vor Schrecken kaum fassen, was sie ihr reichte. Die Alte fuhr fort: "Halt doch fest, dass es nicht faellt, wein dir nicht die Augen aus, denk daran, dass du jetzt unsre einzige Hoffnung bist, dass du die Unsern, wenn unser Geluebde vollbracht, zurueckfuehren sollst; denk auch, dass dir jetzt alles gehoert, was dein Vater besessen, sieh nur in seiner Kammer zu, da hast du den Schluessel, da wirst du viel finden. Ja, bald haette ich es vergessen, als er mir den Schluessel gab, sagte er, du moechtest dich vor seinem schwarzen Simson nicht fuerchten, der Hund wuerde es schon wissen, dass er dir gehorchen muesse und dich nicht mehr beissen duerfe; dann sagte er noch, du solltest nicht traurig sein, er sei lange am Heimweh krank gewesen und nun werde er gesund, da er heimkomme. Das sagte er—und da hast du einen Hutkopf voll Milch, die habe ich einer Kuh auf der Weide ausgemolken, die gehoert zum Totenmahle. Gute Nacht, Kind!"

Die Alte ging, und Bella sah ihr nach wie einem boesen Briefe, der ihr vor Schrecken aus der Hand gefallen, und den sie doch gern ganz wissen moechte; sie waere lieber mitgegangen, aber sie zauderte in ihrer Traurigkeit und scheute das rauhe Volk, was sie da antreffen wuerde, so sehr sie es liebte.

Die Zigeuner waren damals in der Verfolgung, welche die vertriebenen Juden ihnen zuzogen, die sich fuer Zigeuner ausgaben, um geduldet zu werden, schon suendlich verwildert; oft hatte Herzog Michael darueber geklagt und alle seine Klugheit angewendet, sie aus dieser Zerstreuung nach ihrem Vaterlande zurueckzufuehren. Ihr Geluebde, so weit zu ziehen, als sie noch Christen faenden, war geloest, denn sie waren schon aus Spanien vom Weltmeere zurueckgekehrt; nur der Wunsch nach der neuen Welt hielt sie in der alten, die nur Krieger, keine Pilger hinuebersetzen wollte. Das Zurueckfuehren nach Aegypten war aber bei der zunehmenden Tuerkenmacht, bei der Verfolgung ueberall, bei dem Mangel an Gelde unendlich schwer. Schon hatte der Herzog, was sonst ihre Nationalbelustigung war, Proben von Staerke und Geschicklichkeit (wie sie schwere Tische auf ihren Zaehnen im Gleichgewichte trugen, wie sie sich springend in der Luft ueberschlugen oder auf den Haenden gingen), alles das, was sie mit dem Namen der starken Mannskuenste bezeichneten, zu ihrer Erhaltung zu benutzen gesucht, aber von einem Gebiete ins andre zurueckgedraengt, erschoepften sich diese Erwerbsquellen, und auch die Besseren, wenn selbst das Wahrsagen nicht mehr galt, sahen sich gezwungen, ihre aermliche Nahrung zu stehlen oder mit jagdfreien Tieren, wie Maulwuerfe und Stachelschweine, fuerlieb zu nehmen. Da fuehlten sie erst recht innerlich die Strafe, dass sie die heilige Mutter Gottes mit dem Jesuskinde und dem alten Joseph verstossen, als sie zu ihnen nach Aegypten fluechteten, weil sie nicht die Augen des Herrn ansahen, sondern mit roher Gleichgueltigkeit die Heiligen fuer Juden hielten, die in Aegypten auf ewige Zeit nicht beherbergt werden, weil sie die geliehenen goldnen und silbernen Gefaesse auf ihrer Auswanderung nach dem gelobten Lande mitgenommen hatten. Als sie nun spaeter den Heiland aus seinem Tode erkannten, den sie in seinem Leben verschmaeht hatten, da wollte die Haelfte des Volks durch eine Wallfahrt, so weit sie Christen finden wuerden, diese Hartherzigkeit buessen. Sie zogen durch Kleinasien nach Europa und nahmen ihre Schaetze mit sich, und so lange diese dauerten, waren sie ueberall willkommen; wehe aber allen Armen in der Fremde.

Das musste voraus berichtet werden, jetzt zu unsrer Geschichte zurueck. Ein neuer Haufe, unter denen Happy und Emler, waren vor acht Tagen aus Frankreich ohne alles Geld angekommen, der Herzog entschloss sich, zu ihrem Unterhalt selbst seine Kuenste wieder einmal zu zeigen, er ging mit ihnen in ein Wirtshaus, und als er eben zu aller Bewunderung acht Maenner auf Arm und Schultern trug, kam das Geschrei, der Happy sei gefangen, er habe zwei Haehne im Hofe gestohlen, und im Fortgehen habe ihn ihr Kraehen verraten, und Michael, der Herzog, sei bloss darum im Zimmer geblieben, um die Leute heranzulocken. Die Genter Buerger verziehen wegen ihres Reichtums keinen Diebstahl; vergebens stellte sich Herzog Michael, als ob er den Happy im Augenblicke erschiessen wollte, er selbst und Emler wurden mit dem Happy verhaftet und als Diebe zum Strange verurteilt; damals gab es ein strenges Recht gegen die Zigeuner, sie totzuschlagen, wo sie sich finden liessen. Michael beteuerte umsonst seine und Emlers Unschuld vor dem Gerichte und sprach: "Uns geht es wie den Maeusen, hat eine Maus den Kaese angenagt, so sagt man, die Maeuse sind’s gewesen, da geht’s an ein Vergiften und Fangen aller, so sind wir Zigeuner jetzt nirgends mehr sicher als am Galgen!"

Dieser sichre Ort wurde ihm durch das Gesetz, und er weinte schmerzliche Traenen aus der Hoehe zur Erde, dass er, der letzte maennliche Erbe seines hohen Hauses, so ehrlos und unschuldig umgebracht werde; da schloss sich seine Kehle bis zum juengsten Tage, wo er seine Klage gegen die Unbarmherzigkeit der Reichen vortragen wird, die ein Menschenleben gegen die Sicherung ihrer toten Schaetze gering achten, da wird das Strick so wenig durch ein Nadeloehr gehen wie ein Kamel, und so werden die Reichen nicht eingehen ins Himmelreich, wo Bella ihren Vater wiederfindet.

Als Bella wieder zu sich gekommen, rief sie mehr als einmal: "Also das hat mir der Traum bedeuten sollen, dass mein Vater erhoeht wurde, ja wohl ist er jetzt erhoehet in den Himmel und weiss von uns nichts mehr oder alles!"

Der schwarze Hund kam jetzt gegen seine Gewohnheit von der Kammertuer, legte sich ihr zu Fuessen und heulte. "Also du weisst es auch schon, Simson?" fragte sie ihn, und der Hund nickte. "Willst du mir kuenftig dienen?" Der Hund nickte wieder, lief ans Fenster und kratzte. Bella sah hinaus, der Schieber war offen geblieben: sie sah die Gestalt ihres Vaters fernglaenzend schweben, und ploetzlich sank er hinunter. "Jetzt haben sie ihn heruntergenommen, jetzt halten sie ihm ein Ehrenmahl, ich muss auch unter freien Himmel zum Totenmahl."

Mit dem Weinkruge und dem Brote, den schwarzen Hund zur Seite, trat sie in den verwuesteten Garten; das Haus war schon seit zehn Jahren der Gespenster wegen unbewohnt geblieben, denn so lange hatten die Zigeuner sich darin eingenistet und den Besitzer, einen reichen Kaufmann der Stadt, der es sich als Sommersitz eingerichtet hatte, daraus zurueckgeschreckt, bis er selbst wegen eines Bankerotts eingesteckt und sein Vermoegen fuer die Glaeubiger in bekannter Nachlaessigkeit verwaltet wurde. Jetzt hatten sie unter dem Schwert der Gerechtigkeit vollkommene Ruhe, dort zu hausen, nur durften sie sich am Tage nicht zeigen, waehrend ihnen nachts alle Leute aus dem Wege gingen. So trat das bleiche, schoene Kind wie ein Gespenst zur Haustuere hinaus, und der Waechter in den nahen Gaerten fluechtete sich bei ihrem Anblick in eine entfernte Kapelle, um betend den heiligen Schutz des Glaubens zu fuehlen. Bella wusste nicht, dass sie erschreckte, die Trauer um den Verlust ihres einzigen Gedankens, ihres Vaters, ueber den sie sich ganz vergessen hatte, machte sie stumpfsinnig, sie wusste nichts als die Regeln der alten Braka genau zu erfuellen; es war ihr das Liebste, dass sie noch etwas zu ihres Vaters Ehre tun konnte. Sie breitete also, wie es bei Totenmahlen ihres Volkes gewoehnlich, ihren Schleier ueber einen Feldstein aus, setzte zwei Becher und zwei Teller darauf, brach ihr Brot fuer beide, goss Wein in beide Becher, stiess mit den Bechern an, leerte den ihren und schuettete den Becher des Toten in den schwimmenden Bach, der sich in geringer Entfernung von dem Hause in die Schelde verlor. Und wie sie dies erste Opfer in den Fluss schuetten wollte, da rauschte es in der Flut und tauchte empor, als ob ein grosser Fisch, der in dem Strome keinen Raum hatte, auftauchte und emporschwaemme, der Mond trat hinter dem Hause hervor, und sie sah ihres Vaters bleiches Angesicht, auf seinem Haupt die Krone, welche ihm die Zigeuner aufgesetzt hatten, ehe sie ihn in das fliessende Wasser warfen. Und wie die Welle mit dem teuren Haupte kreiste, so ging dem armen Kinde der Kopf um; sie glaubte, er lebe noch, er suche sich aus dem Wasser zu retten, sie sprang hinein und hielt ihn fest, der schwarze Hund hielt aber sie am Rocke fest und stemmte sich gegen das Ufer; so wurde sie in sinnloser Trauer festgehalten und konnte weder den Leichnam ans Ufer bringen, noch mit ihm fortschwimmen ins Meer. Endlich kam Braka zurueck, und da ihr an der Tuere nicht aufgemacht worden, schlich sie in den Garten, wo sie das wunderbare Bild wie versteinert sah, den kraeftigen Michael im Totenhemde mit der glaenzenden silbernen Krone, ueber ihm das bleiche Maedchen, die schwarzen Locken ueber ihm hinwallend, an ihrem Kleide gehalten von dem schwarzen Hunde mit feurigen Augen. Die Alte musste nach ihrer Art lachen, weil es etwas so Seltsames war, ungeachtet es ihr sehr zu Herzen ging und sie nicht von Herzen, sondern nur mit dem duerren Munde wie ein Hungernder lachen musste; dann sprang sie hinzu, hob das Maedchen mit Gewalt ans Ufer und sprach: "Lass ihn ziehen, er weiss seinen Weg besser als du!"

Bei diesen Worten zog die Leiche still hinunter, und der Mond ging unter Wolken, und Bella sank in die Arme der Alten.

Vier Wochen des Schmerzes waren vergangen, die Alte konnte ihrer eigenen Sicherheit wegen nicht alle Tage kommen, und Bella langeweilte sich mit dem Hunde, dessen Kuenste sie nicht mehr sehen mochte, der ewig schlief, oder, wenn gegessen wurde, wedelte, sich leckte, kratzte; sie kam endlich darauf, womit andere Erben anfangen, den Nachlass der Verstorbenen zu durchsuchen. Sie schloss die geheime Kammer auf, nicht ohne Schrecken und Ehrfurcht, aber ihre Erwartung war getaeuscht; da waren keine seltene Kleider und Kostbarkeiten, meist nur Buendel von Kraeutern, Saecke mit Wurzeln, einige Steine, lauter Dinge, von denen sie nichts verstand, weil der Vater ihrem kindischen Wesen keine Achtsamkeit fuer das Geheime zugetraut hatte. Endlich fand sie doch in einer Kiste alte Schriften, die sie durchblaettern konnte, manche mit koestlichen Siegeln geziert, auf wunderlichem Papier in fremder Sprache, die sie aber noch nicht gelernt hatte, andre aber niederlaendisch-deutsch, das sie wohl schreiben und lesen konnte, da ihre Mutter, aus einem alten Hause der Grafen von Hogstraaten mit Michael entflohen, diese Liebe zur alten Sprache ihrem Manne und ihrem Kinde zugebracht hatte. Sie nahm diese Buecher und las eben nachts, denn bei Tage schlief sie, um alles Geraeusch zu vermeiden, als Braka ihr durch eine zahme Ohreule, mit der sie sich seit einiger Zeit herumtrieb, ein dreimaliges Zeichen gab, dass sie eingelassen sein wollte. Bella sprang unwillig von ihrem Buche auf, das merkwuerdige Zauberhistorien enthielt, und wie Braka eingetreten, setzte sie sich wieder stillschweigend dabei nieder, dass die Alte ganz boese ihre Haende in die beiden Seiten stemmte: "Nun, kriegt die alte Braka heut keinen Gruss, keinen Kuss? ja wenn die Kinder klein sind, so wissen sie kaum, was sie einem alles fuer Liebes und Gutes antun sollen, aber kaum fangen sie an, was vollstaendig zu werden, da haben sie keine Ohren mehr fuer alles Gute, was man ihnen tun moechte; nun, den Kuchen sollst du heute nicht bekommen, wenn du mich nicht recht darum bittest, habe darum eine halbe Stunde beim Baecker warten muessen, der sollte heute auf des Prinzen Tisch, die Magd wird sich schoene wundern, wenn sie beim Baecker zum Abholen kommt und er schon fort ist."

"Wenn ich dich auch nicht bitte", sagte Bella, "du hast doch keine Ruhe, bis ich ein Stueck davon gegessen; gib nur her und sei nicht boese. Ich bin heute bei meines Vaters Buechern gewesen und habe da so schoene Geschichten gefunden, dass ich gern ein Gespenst werden moechte." Die Alte sah in das Buch hinein und sagte: "Es ist doch sonderbar, dass ich so alt bin und kann nicht lesen, und du bist nur so ein Kuckindiewelt und kannst es schon; nun hoer einmal, wenn du Lust hast, ein Gespenst zu werden, du kannst dazu kommen, das faellt mir soeben ein, und wir koennen es brauchen."

"Was ist denn, du siehst ja so bedenklich aus?"

"Sieh nur, Bella", fuhr die Alte fort, "es ist auch keine Kleinigkeit, was dir bevorsteht: denk nur, Prinz Karl ist gestern vor diesem Gartenhause mit seinem Lehrer Cenrio vorbeigeritten und hat gefragt, wie es kaeme, dass es so verschlossen und verfallen aussaehe. Cenrio hat ihm erzaehlt, wie die Gespenster alle Kaeufer und Mieter abgeschreckt haetten, alles, wie du es weisst; wie dein Vater einen, der sich durchaus hier niederlassen wollte, mit Ruten gehauen; die vielen Eulen, die er in einer Kammer eingesperrt hatte und sie einem andern um den Kopf fliegen liess, nun, du weisst alles; der Prinz aber, statt dass er dadurch geschreckt worden, schwur, dass er ganz allein eine Nacht in diesem Hause schlafen und die Geister bald vertreiben wolle. Was fangen wir nun an? es kann jede Nacht geschehen, dass er in dies Haus kommt, und seine Leute werden die Ausgaenge sicher so besetzen, dass keiner von den Unsern herausoder hereinkann."

"Hoer, Braka", sprach Bella, "den Prinzen moechte ich doch gern sehen, ich habe so viel von ihm gehoert, wie schoen er ist und wie edel, wie er fechten und reiten kann."

"Du denkst nun schon wieder an den Prinzen und nicht an unsre Not", fuhr Braka fort; "hast du wohl Geschick, das Gespenst zu spielen? Das koennte dich retten!"

"Warum nicht", meinte Bella, "aber wie soll ich’s anfangen?" und las weiter in ihrem Buche. "Sieh, Kind", sprach die Alte, "er kann in keinem andern Zimmer schlafen, als in dem schwarzen mit den goldenen Leisten, neben welchem das geheime Kaemmerlein deines Vaters versteckt ist, denn die andern Zimmer haben alle mehr Eingaenge, da ist es ihm nicht so sicher, auch steht nur in diesem eine Bettstelle. Nun sieh, wenn du merkst, dass er stille, dass er eingeschlafen, so schleich aus der Kammer heraus, leg dich zu ihm ins Bette, und ich schwoer dir, dass er vor Angst davonlaeuft und nie wiederkommt; sollte er aber Mut behalten und dich festhalten, sieh, so kostet es dir ja nur eine Luege, dass du aus Liebe zu ihm eingedrungen, und dein Glueck ist vielleicht gemacht."

"Ja, Alte", sagte Bella und las weiter, "wie du meinst, du musst das verstehen, ich weiss nichts davon."

"Aber sag mir nur, wo du das verfluchte Buch herbekommen hast", fragte die Alte weiter, "wenn ich mit dir ernsthafte Sachen rede, denkst du an nichts als an das Buch."

"Ich hab es aus des Vaters Kammer geholt", sagte Bella, "es liegen da noch mehrere, nimm dir auch eins."

"Wenn du es erlaubst", sagte die Alte, "so gehe ich gern einmal herein; ich habe mich immer gefuerchtet, es dir zu sagen, ich wusste nicht, ob dein Vater es nicht verboten."

"Geh nur", sagte Bella, "du wirst sonst nicht viel finden."

Die Alte ging mit einer gescheiten Neugierde; an der Tuere bat sie Bella, den schwarzen Hund wegzurufen, der immer vor der Kammertuer lag und niemand als Bella einzulassen Befehl hatte. Bella rief ihn zu sich, und die Alte ging ohne Aufenthalt in die Kammer. Als sie drin war, lachte Bella, wies den Hund wieder zur Kammertuer und versteckte sich, um den Schreck der Alten zu sehen; es war ein Prinzessinnenspass, aber sie war auch liebenswuerdig wie eine Prinzess und war von je wie eine Prinzess verehrt worden. Nicht lange nachher wollte die Alte mit einem grossen Kraeuterbuendel und mit einem Sacke zur Tuere hinaustreten, aber der schwarze Hund machte ihr ein Paar feurige Augen und zeigte die Zaehne; sie trat erschrocken zurueck und rief nach Bella in grosser Angst. Zu gleicher Zeit hoerten sie ein ungewohntes Getrappel von Pferden vor der Tuere, Menschen, welche ueber den Hof kamen, und Bella fluechtete sich erschreckt mit dem Lichte und den Speisen und mit dem Hunde zur Alten in die Kammer, die sie verschlossen, um dort in aller Stille abzuwarten, ob dies der Prinz gewesen sei, der seinen Kampf gegen die Gespenster ausfechten wollte. Sie hatten sich nicht geirrt, es war Karl, der kuenftige Beherrscher einer Welt, in der die Sonne nie untergeht, in der ersten Frische des vollendenden Wuchses, der in das verlassene Zimmer kam. Bella konnte ihn durch ein verstecktes Tuerloch recht deutlich sehen, ihr war nie so etwas vorgekommen; sie hatte nur braune Zigeuner gesehen, lustig und heftig; dieser aber trat so grossmuetig einher, so sanft in geuebter Kraft, sie wusste, dass er es war, der kuenftige Herrscher, noch ehe ihn seine Begleiter als Prinz gegruesst. Sein Hochmut entzueckte sie, mit dem er Cenrio zurueckwies, der die Wette zuruecknehmen wollte, weil er behauptete, der Prinz habe durch seine Anwesenheit bewaehrt, dass er sie wirklich ausfuehren wolle. Der Prinz warf aber rasch sein schwarzsammetnes Barett auf den Tisch, breitete seinen Regenmantel ueber die Bettstelle und befahl Cenrio, auf die Umgebung des Hauses zu wachen und ihm ein paar brennende Kerzen im Zimmer zurueckzulassen, er sei muede. Cenrio empfahl ihm, das Zeichen mit der Pistole nicht zu vergessen, wenn er jemand beduerfte; oder im Fall diese versagte, dabei besah er das Schloss, so wuerde sein Rufen schon genuegen, da er einen Soldaten unter dem Fenster ausstellen und selbst in der Naehe wachen wuerde. Der Prinz meinte, er moechte sich das Wachen und Bewachen ersparen, in seinem Panzerhemde, mit gutem Degen bewaffnet sollte ihm so leicht niemand gefaehrlich werden; die Ammenmaerchen von Geistern schreckten ihn aber nicht mehr. Cenrio verliess das Zimmer. Der Prinz stuetzte sich auf die Hand und lallte ein Lied, um wach zu bleiben; dann streckte er sich aufs Bette und sang wieder, indem er einschlummerte; da das Bette der Kammer gegenueberstand, konnte Bella ihn deutlich sehen und die Worte vernehmen:

Komm, lieblich schwarze Nacht, Und druecke schiessende Sterne, Wie Siegel deiner Macht, Als Zeichen meiner Ferne, In meine mutige Brust, Dass aller Funken Lust Aus kuenftigen Kronen geschmiedet, Mich wecke, den Dienen ermuedet.

Sie sitzt auf dunklem Thron, Ihr ruhet auf wolkigem Kissen Die ewig schimmernde Kron’.— O moecht’ ich die Liebliche kuessen! Und machte der Venus Stern Die einzige Nacht mich zum Herrn, Dann koennt’ ich die Erde umwallen, Mit allen Kronen,—mit allen.

"Der ist einmal ungeduldig, dass er zur Regierung komme", sagte die Alte mit leiser Stimme zu Bella. Seine Augen sanken nieder und sein Haupt. Er war eingeschlafen, und Bella starrte noch immer zu ihm hin und konnte sich nicht satt sehen; die Alte aber hatte schon ihren Anschlag gefasst. Die Waffen, Degen und Pistole, lagen vor dem Bette des Prinzen, die sollte Bella erst leise holen und dann den Geist spielen und sich zu ihm legen; aber nur mit Muehe beredete sie das Maedchen dazu, Schuh und Struempfe auszuziehen, damit sie leise gehen koenne, und ihr Kleid auszuziehen, damit sie nirgends anstossen moege, und musste sie fast zur Kammertuer hinausstossen, die sie vorsichtig nur anlegte, um ihr den Rueckzug zu sichern. Das alte Weib hatte sicher eine boese Absicht bei diesem Vorschlage: das Kuppeln war lange ihr Hauptgeschaeft, und diesmal konnte sie auf einmal das Glueck aus dem niedern Stande emporreissen. Bella ahndete von dem allen nichts, es war ihr lieb, den Prinzen in der Naehe zu sehen, darum untersuchte sie nicht lange, ob der Vorschlag der Alten wirklich vernuenftig angelegt sei. Sie trat also mit grosser Sorgfalt an das Bette des Prinzen, der so fest schlief, dass sie mit Sicherheit seine Waffen haette forttragen koennen; die Alte sah beide mit Freuden an. Bella nach Art der Zigeuner in eine blaue Leinewand statt des Hemdes gewickelt, die von einem goldnen Guertel festgehalten wurde, hatte die runden, blendenden Arme etwas scheu nach dem Prinzen ausgestreckt, die zierlichen, leisen Tritte der schimmernden Fuesse hinziehend zu ihm, aus ihren unzaehligen Locken tausend Glueckslose auf ihn taumelnd in tausend suessen Blicken, bis der Mund sich nicht mehr halten konnte und auf den Mund des Prinzen niedersank. Bis jetzt war ihr alles gelungen, der Prinz aber, von dem Kusse erweckt, vor den erschreckten Augen von tausend Phantomen seines Traumes wie mit gluehenden Kugeln umstuermt, sprang mit hoechstem Ungestueme auf und stuerzte atemlos schreiend in das Nebenzimmer; seine Pistole, seinen Degen, alles hatte er vergessen, solch ein Grauen wohnt in der Tiefe des hochmuetigsten Menschen vor der unnennbaren Welt, die sich nicht unsern Versuchen fuegt, sondern uns zu ihren Versuchen und Belustigungen braucht. Bella war so entsetzt von seinem Abscheu, dass sie sich stumm und willenlos der Alten ueberliess, die sie rasch durch die versteckte Tapetentuere in die Kammer trug. Bald darauf kam der Prinz mit Cenrio und einigen Soldaten zurueck, die in Wahrheit alle groessere Lust hatten, draussen zu bleiben, als einzudringen. Wer so etwas nicht empfunden hat, wird es nicht glauben, aber ein Gespenst schlaegt eine ganze Armee in die Flucht, denn was einem braven Manne uebermaechtig furchtbar ist, das ist es im Durchschnitte fuer alle. Der Prinz zeigte noch den meisten Mut; er schwur laut: "So schrecklich die schwarzen Schlangen an dem Haupte waren, ein schoeneres Antlitz habe ich nie gesehen, ungeachtet der ungeheuren Groesse in dem besten Verhaeltnisse, einen gluehenden Knopf trug es an der Brust; aber jetzt ist nichts hier bei der heiligen Mutter Gottes, leuchtet nur unter das Bette; will keiner dran, so muss ich’s selbst tun: hier auch nichts; so war’s denn doch ein Gespenst, Cenrio, und ich habe meinen Tuerkensaebel an Euch verloren, Cenrio; wuesste ich nur, was das liebe Gespenst verlangt haette, bei Gott, ich bleibe hier, seht, es faellt mir erst jetzt alles wieder ein. Sind meine Lippen nicht verbrannt? ich schwoere Euch, es hat mich gekuesst, dass mir vor Seligkeit das Herz stieg. Cenrio, ich will hier bleiben, will es fragen, was es von mir begehrt!"

Cenrio schwur, dass er es nach diesem Schrecke des Prinzen seiner Gesundheit wegen nicht zugeben duerfe, der Prinz selbst liess sich nicht lange bitten, diese harte Probe seiner Herzhaftigkeit aufzugeben. Er war nicht beschaemt, da alle bleich und erschreckt umhersahen und beim leisesten Geraeusch zusammenfuhren, auch konnte er jetzt noch, ohne dass Adrian, der bei seinen Buechern sass, etwas davon gemerkt haette, nach Hause kommen. Die Alte war nicht ganz zufrieden mit dem Entschluss, indessen wusste sie das Gute davon doch noch vollstaendig zu nutzen, um sich und den ihrigen das Haus zu sichern, denn kaum war die Haustuere von den rasch auswandernden Gaesten verlassen, so sprang sie zum Schrecken der guten Bella wie eine Rasende aus der Kammer, schlug mit allen Tueren heftig auf und zu, warf alle Tische um, dass die Abziehenden in stiller Angst ihre Pferde bestiegen und, ohne sich umzublicken, nach der Stadt ritten, wo sie auf ewige Zeiten durch vergroessernde Erzaehlungen den Geisterruf des Gartenhauses bestaerkten. Der Prinz musste noch in derselben Nacht mit einem Fieber fuer sein Wagestueck buessen. Der liebliche Kopf der Bella schwebte ihm darin vor, das Fieber verriet ihn, indem es ihm eine falsche Wahrheit zeigte, und er beichtete es mit grosser Betruebnis am anderen Morgen dem Adrian, wie er in ein Gespenst verliebt sei. Das war eine koestliche Gelegenheit fuer diesen, dem Kaiser Maximilian die Sorge fuer das Lateinlernen seines Enkels besonders uebertragen hatte, ihm zur Busse eine grosse Menge Vokabeln aufzugeben, die auch der Prinz mit einigem Erfolge gegen den naechtlichen Eindruck brauchte.

Die arme Bella in ihrer Einsamkeit musste ihre erste Zuneigung haerter buessen. Nachdem es ihr ein paar Tage genuegt hatte, statt zu schlafen, an ihn zu denken und nachts von allen Seiten umzuschauen, ob er nicht wieder zum Besuche in ihr Geisterhaus kommen wuerde, nachdem Braka sie ernstlich ausgescholten hatte, dass sie so toerichten Gedanken, die sie vor der Zeit bleichten, ihre frischen Tage hingebe, nachdem sie sich diesen und andern Rat gar oft wiederholt hatte und doch immer wieder vergass und in den beliebten fremden Gedanken abgleitete, fragte sie einmal Braka, ob es denn kein Mittel gebe, wie man unsichtbar werden koenne, um in der Stadt herumwandern zu duerfen. Braka lachte und sprach: "Ich weiss kein anderes, als viel Geld zu haben, da kann man eingehen, wo man will, das ist der wahre Hauptschluessel, die wahre Springewurzel, bei deren Beruehrung die Tueren aufspringen. Dein Vater mochte noch wohl andre Kuenste gewusst haben, aber wenn sie nicht in seinen Buechern stehen, so sind sie verloren!" Bella behielt diese Nachricht still vor sich, sie fiel ihr ins Gemuet, als ob sie dieselbe nie vergessen koennte; kaum war die Alte wieder auf den Erwerb ausgegangen, so suchte sie die Buecher wieder hervor, die seit dem Besuche des Prinzen in einem Winkel gerastet hatten; sie sah bei dieser Gelegenheit, dass die Alte ihr den ganzen Vorrat seltener heilender Kraeuter und Wurzeln fortgetragen hatte, und diese Untreue brachte sie zu dem Entschlusse, ihr nichts mehr von allem zu entdecken, wozu sie die geheimen Kraefte ansprechen wollte. Aber welcher neue Ekel war ihr in diesen Buechern vorbereitet, viel geheime Regeln, Zeichnungen, von denen sie nichts verstand, den Stein der Weisen zu finden, Geister zu zitieren, Krankheiten zu beschwoeren, das Vieh zu verzaubern, endlich auch ein Mittel, Gold zu machen, aber dies Mittel so weitlaeufig,.als muesste man zwei Monden anspannen, um zur Sonne zu fahren. So verging ihr eine Woche nach der andern, bis sie in einer Nacht ganz ermuedet auf eine ausfuehrliche Nachricht traf, wie Alraunen zu bekommen, und wie diese dienstbar Geld und was ein weltliches Herz sonst begehre, mit stehlender, untrueglicher Listigkeit zufuehrten. Aber welche Schwierigkeit, sie zu gewinnen, und doch war es die leichteste von allen Zaubereien; die Zauberei braucht die haerteste Schule; wer sie aushalten kann, moechte auch wohl in den gewoehnlichsten Geschaeften ohne alles Geheimnis zu zaubern scheinen. Wer kennt jetzt nicht die Bedingungen, einen Alraun zu gewinnen, und wer moechte sich ihnen noch unterziehen, wer koennte sie erfuellen? Es wird ein Maedchen gefordert, das mit ganzer Seele liebt, ohne Begierde zur Lust ihres Geschlechtes, der die Naehe des Geliebten ganz genuegt: eine erste, unerlaessliche Bedingung, die vielleicht in Bella zum erstenmal wahrgeworden war, weil sie von den Zigeunern, die sie bisher kennen gelernt, immer als ein Wesen hoeherer Art behandelt worden und sich dafuer anerkannt hatte; die Erscheinung des Prinzen war ihr aber so heilig rein, wie der Koerper des Allerheiligsten in der Messe, voruebergegangen, zu schnell, um ihre Betrachtung zu wecken. In solchem Maedchen, das so maechtig von der Phantasie in allen Segeln angehaucht wird, soll gleichzeitig der uebermaennliche Mut wohnen, nachts in der eilften Stunde mit einem schwarzen Hunde unter den Galgen zu gehen, wo ein unschuldig Gehenkter seine Traenen aufs Gras hat fallen lassen; da soll sie ihre Ohren mit Baumwolle wohl verstopfen und mit den Haenden suchen, bis sie die Wurzel erreicht, und trotz allem Geschrei dieser Wurzel, die keineswegs natuerlicher Art, sondern ein Kind der unschuldigen Traenen des Erhenkten ist, ihr das Haupt entbloessen, einen Strick aus ihren eignen Haaren umlegen, den schwarzen Hund daran spannen, dann fortlaufen, so dass der Hund, im Wunsche ihr zu folgen, die Wurzel aus der Erde zieht, wobei er von einer erblitzenden Erschuetterung des Bodens unfehlbar erschlagen wird. Wer in diesem Augenblicke, dem entscheidendsten, seine Ohren nicht wohl verstopft hat, kann von dem Geschrei auf der Stelle unsinnig werden. Bella war wiederum die einzige seit Jahrtausenden, bei der sich alle diese Erfordernisse vereinigten; wer war unschuldiger, als das teure Haupt ihres Vaters Michael, der in rastloser Tat fuer sein armes Volk, in steter Muehe und Not fuer die Seinen, um das Unbedeutendste einem Reichen zu entfremden, allzu ehrlich und stolz gewesen war. Welches Maedchen haette Mut gehabt, in der Mitternacht einen solchen Weg mit Ueberlegung zu machen, als Bella, die nun schon seit vier Jahren, wo ihre Mutter gestorben, ein verstecktes, naechtliches Leben gefuehrt hatte und mit dem Laufe des Mondes, mit den Sternen zu vertraulich bekannt war, um in der Nacht noch eine besondre Einsamkeit und Traurigkeit wahrzunehmen. Welches Maedchen hatte wie sie einen schwarzen Hund, aus dessen Augen mehr blickte, als sein Mund ausbellen konnte, und wiederum welchem Maedchen war dieser einzige Gesellschafter so verhasst, wie ihr, die ihn seit frueher Zeit, wo er sie gebissen, nicht leiden konnte und ihn jetzt noch mehr verachtete, nun er ihr mit einer widrigen Demut diente und sie doch auf allen Wegen belauerte und, wenn sie recht zaertlich mit einer Puppe aus alten Kleidern wie mit dem Prinzen sprach, sie auslachte; auch hatte der Vater immer behauptet, es stecke der boese Feind in dem Hunde. Welches Maedchen hatte endlich so langes Haar, wie Bella, um es zu Stricken flechten zu koennen, und welche mochte es, wie sie, ruhig zu dem Versuche hingeben; sie aber wusste nichts von ihren Schoenheiten, es war ihr lieb, dass sie kuenftig nicht so lange an ihren Haaren zu kaemmen haette, und so sank ihr Haar, in dessen glatten Locken sich oft die Sterne wie im Haupthaar der Berenize gespiegelt hatten, im raschen Schnitt einer Schere wie ein schwarzer Schleier auf den Boden rings um sie her, ihrem Hund Simson eine Kette daraus zu flechten, die ihm den Tod braechte. Sie merkte bald, dass er alles, was sie gesprochen, vernommen habe, denn statt dass er sich sonst kleine Vorraete an Knochen und Brot im Garten vergrub, so oeffnete er jetzt nach und nach alle diese vergrabenen Schaetze und frass unersaettlich. Haette jenes sie ruehren koennen, so empoerte sie dies noch mehr; uebrigens schien er nicht traurig, aber er sah sie spoettisch an, und als der erste Freitag kam, denn ein Freitag wird zur Ausfuehrung gefordert, durchkroch er das ganze Haus noch einmal, beroch alle Winkel und fuehrte sich in seinem Lager gegen seine Art unreinlich auf, welches sie ihm aber diesmal lieber verzieh als ihrer Alten die Langweiligkeit, mit der sie in unendlichen Erzaehlungen von "hat er gesagt", "hab ich gesagt", ihre ganze verfluchte erste Liebschaft erzaehlte, die Bella leicht um eine der Hauptbedingungen bei der Aufsuchung der Alraunenwurzel haette bringen koennen, wenn diese nicht aus Ungeduld ueber ihre lange Anwesenheit im Zaehlen der Minuten sie und die Stunden ueberzaehlt haette, bis es zwoelfe geschlagen: da sprang endlich Bella aus Ungeduld auf und fing mit der Alten aus Aerger, dass sie alles noch eine Woche aufschieben muesse, den Kranichtanz der Zigeuner an, dass diese endlich ohne Atem in einen Sessel fiel und hustete und schwur, so lustig habe sie auf ihrem Hochzeittage nicht einmal getanzt; dabei nahm sie ein Stueck Lakritzensaft in den Mund, um den Husten zu daempfen, und trabte endlich mit grossem Bedauern fort, dass sie schon weggehen muesse. Etwas Angst hatte Bella doch gespuert; nun die Woche versaeumt war, schien es ihr doch besser, dass sie sich noch vorbereiten koenne, und der schwarze Hund schien nicht minder diese Frist zu wuenschen, um noch recht essen zu koennen; sie gewaehrte ihm gerne die leckersten Bissen, weil sie wusste, was er fuer sie tun muesse, ja zuweilen, ungeachtet ihres Widerwillens gegen das Tier, kamen ihr bei seinem Anblicke Traenen in die Augen, doch troestete sie sich immer mit dem Zusatze im Zauberbuche, dass treue Hundeseelen, die in solchem Geschaefte blieben, zur Seele ihrer Herren gelangen, und sie war gewiss, dass sich der Hund beim Vater Michael besser als bei ihr gefallen muesse.

Endlich kam der zweite Freitag, es war schon kalt geworden, die ruhigen Gewaesser waren duenn befroren, und die Alte hatte sich bei ihr entschuldigt, dass sie in den naechsten Tagen nicht herauskommen koenne: ihr Husten sei aber so stark, sie muesse sich heimhalten. Alles schien erwuenscht, die Nachbarn waren alle nach der Stadt gezogen, die Nacht war dunkel, und der Wind fuehrte die ersten Schneeflocken ueber die trockene Erde. Bella durchlief noch einmal das Zauberbuch, ihr Herz schlug heftig, als es langsam eilf schlug, der schwarze Hund schleppte ihre Puppe, in der sie ihren Prinzen sah und verehrte, herbei, zerrte und biss darin: das brachte sie zum Entschluss; diesen Schimpf, den er ihrem Liebling angetan, musste er buessen; schnell nahm sie die Stricke, die sie aus ihren Haaren geflochten und die sie bisher, um der Alten keinen Argwohn zu geben, auf ihrem Kopf getragen, und schlug auf ihn. Er wollte zur Tuere hinaus, sie oeffnete die Tuere, und beide waren in die zauberhafte Winterwelt hinausversetzt und gingen dem Winde nach ihren Weg, ohne ihn zu kennen, bloss nach der Richtung, um den Berg zu erreichen, auf welchem das Hochgericht gehalten wurde. Diese Strasse war leer von Menschen, aber mehrere Hunde kamen mit grossem Laermen unter den Gartentueren hervorgesprungen, liefen auf den schwarzen Simson los, aber im Augenblicke, wo sich diese Philister ihm naheten, sah er sie an, zeigte seine Zaehne, und die groessten wie die kleinsten Hunde fluechteten mit einer Angst, den Schwanz zwischen den Beinen, in die Gaerten zurueck, dass sie sich selbst unter den Tueren einklemmten und erbaermlich schrien. Gleiche Angst zeigten ein paar Stachelschweine, die ihre Stacheln voll Aepfel und Birnen, die sie sich in den Gaerten angewaelzt und angestachelt hatten, quer ueber den Weg zogen, sich aber bei dem Anblicke des Hundes zusammenkugelten, dass dieser ihnen ihre Beute sehr behaglich abnahm und verzehrte. Bella hatte sich dabei ausgeruht, nun war es ihr aber sonderbar, dass, wie sie jetzt aufstand und sich dem Berge naeherte, ein anderer immer in ihre Fusstapfen zu schreiten schien, und zwar mit solcher Sorgfalt, dass er mit der Spitze seines Fusses jedesmal die Ferse des ihren anruehrte, sie wagte nicht umzusehen und lief immer hastiger zu, bis ein Schlag vor den Kopf sie niederstreckte. Der Schlag war indessen nur wenig betaeubend, sie fasste Mut, als alles umher still war; sie fasste um sich, als niemand sie anfasste, und fuehlte, dass sie gegen einen herabgelassenen Schlagbaum angerannt war; was aber in ihre Schritte so eilfertig getreten, war ein Dornstrauch, der sich an ihr Kleid gehaengt hatte. Sie musste sich ueber ihre Furcht verwundern und nahm sich vor, jetzt aufmerksamer und besonnener zu sein, und vergass es doch bald wieder, als eine Zahl von Pferden, die in einer Koppel lagen, bei ihrer Annaeherung aufsprangen und ueber Busch und Hecken fortjagten. Jetzt war sie oben, und sie sah ueber die reiche Stadt hin, wo noch manches Licht brannte ein Haus war aber hell erleuchtet, und da, meinte sie, muesse der Prinz wohnen: so hatte ihr die Alte sein Haus beschrieben, und sie wusste, dass sein Geburtstag gefeiert wurde. Sie haette alles bei dem Anblicke vergessen, selbst die trocknen Gehenkten ueber sich, die einander fragend anzustossen schienen, haette nicht der schwarze Hund aus eigener Lust unter dem Dreifusse gegraben. Sie fuehlte, was er gefunden, und hatte eine kleine, menschliche Gestalt in Haenden, die aber mit beiden Beinen noch in der Erde wurzelte; sie war’s, sie war’s, die geheimnisvolle Mandragora, das Galgenmaennlein, sie hatte es gefunden ohne Muehe, und in einem Halsumdrehen war der Strick ihrer Haare umgelegt und um den Hals des schwarzen Hundes angeschirrt; dann lief sie in Angst wegen des Geschreis der Wurzel fort. Sie hatte vergessen, ihre Ohren zu verstopfen, lief nun, so schnell sie vermochte, und der Hund ihr nach; er riss die Wurzel aus dem Boden, und ein erschrecklicher Donnerschlag stuerzte ihn und Bella nieder; doch hatte ihr sichrer, schnellfuessiger Lauf sie schon funfzig Schritte entfernt.

Das hatte Bellas Leben errettet; doch blieb sie lange ohnmaechtig und erwachte erst, als schon die beglueckten Liebhaber von ihrem Gluecke laessig heimkehrten, einer von diesen sang ein jauchzendes Lied von seinem feinen Liebchen und von den falschen Zungen, die heimliche Liebe ausschwaetzen; halb hatte er dabei Schlummer in den Augen, und so kam es, dass er sie uebersah. Als sie davon erwachte, wusste sie nicht, wie sie an diesen Ort gekommen, den sie nicht mehr erkannte; schwach richtete sie sich auf und sah im ersten Morgenschimmer ihren toten Simson. Sie erkannte ihn, erinnerte sich auch allmaehlich, warum sie hergekommen, und fand an den Haarflechten, die sie jetzt dem Hunde abnahm, ein menschenaehnliches Wesen, gleichsam einen beweglichen Umriss, aus welchem die edlen Sinne noch nicht hervorgetreten sind, aehnlich einer Schmetterlingslarve: so war der Alraun, und wunderbar ist es zu nennen, wie sie auf der einen Seite des Prinzen gar nicht mehr denken konnte, der eigentlichen Ursache, warum sie den Alraun aufgesucht, ganz vergessen hatte, so liebte sie diesen auf der andern Seite mit jener ersten Zaertlichkeit, welche zart durchdringend seit jener Nacht, wo sie den Prinzen gesehen, in ihr zur Erscheinung gelangt war. Zaertlicher kann eine Mutter ihr Kind, das sie bei einem Erdbeben verschuettet glaubt, nicht wieder begruessen, nicht vertrauter, nicht bekannter, als Bella den kleinen Alraun aus dem letzten Erdenstaube an ihre Brust hob und ihn von allem Anflug reinigte. Er schien von dem allen nichts zu wissen, sein Atem stroemte aus kaum bemerkbaren Oeffnungen des Kopfes, nur als sie ihn eine Zeitlang auf ihren Armen gewiegt hatte, bemerkte sie an einem ungeduldigen Stoss seines Armes gegen ihre Brust, dass er diese Bewegung liebe; auch beruhigte er Arme und Beine nicht eher, bis sie ihn wieder mit schaukelnder Bewegung erfreulich einschlaeferte. So eilte sie mit ihm in ihre Wohnung zurueck; sie achtete nicht des Hundegebells, nicht einzelner Marktleute, die sich frueh vor den Toren der Stadt sammelten, um die ersten bei der Eroeffnung der Tore zu sein; sie sah nur auf den Kleinen, den sie sorgsam in ihren Ueberrock eingeschlagen hatte. Endlich war sie in ihrem Zimmer, hatte ihr Licht angezuendet und besah das kleine Ungeheuer. Es tat ihr leid, dass er nicht einen Mund zum Kuessen, nicht eine Nase habe, die ein goettlicher Atem herrschend und sanft geformt, dass keine Augen sein Inneres kund machten und dass keine Haare den zarten Sitz seiner Gedanken umsicherten; aber ihre Liebe minderte das nicht. Sie ging sorgsam zu ihrem Zauberbuche, um sich wieder zu erinnern, was mit dieser gegliederten und beweglichen Ruebe anzufangen sei, um ihre Kraefte, ihre Bildung zu entfalten, und sie fand es bald. Zuerst sollte sie den Alraun waschen, das vollbrachte sie, dann sollte sie ihm Hirse auf den rauhen Kopf saeen, und wie diese aufginge in Haaren, so wuerden sich seine uebrigen Gliedmassen von selbst entwickeln, nur muesse sie an jede Stelle, wo ein Auge entstehen sollte, ein Wacholderkorn eindruecken, wo aber der Mund werden sollte, eine Hagebutte. Zum Glueck konnte sie diese Saemereien alle herbeischaffen, die Alte hatte ihr neulich einige gestohlne Hirse gebracht, Wacholderbeeren brauchte ihr Vater haeufig zum Raeuchern in seinem Zimmer; sie hatte den Geruch nie leiden koennen, jetzt war er ihr lieb, denn es war noch eine Handvoll uebriggeblieben; eine Hagebuttenstrauch hing im Garten noch voll roter Fruechte als die letzte Pracht des Jahres. Alles wurde herbeigeschafft, zuerst die Hagebutte an den rechten Ort eingedrueckt, sie merkte aber nicht, dass sie ihm diese bald aus Liebe schief kuesste; dann drueckte sie ihm zwei Wacholderbeerkerne ein, es schien ihr, als saehe der Kleine sie an, das gefiel ihr so wohl, dass sie ihm gerne ein Dutzend eingesetzt haette, wenn sie nur einen schicklichen Platz dazu haette ausfinden koennen; aber wo sie ihm am liebsten Augen eingesetzt haette, hinten, da fuerchtete sie, moechte er sich oft wehe daran tun; zuletzt brachte sie noch ein Paar Augen in seinem Nacken an, und wir muessen ihr eingestehn, dass diese Erfindung nicht ganz zu verachten gewesen sei. So froehlich und ernstlich zugleich begann sie dies Werk, ein Wesen zu schaffen, das, wie der Mensch seinen Schoepfer, bis an sein Ende sie betrueben sollte; selbstzufrieden wie ein junger Kuenstler, dem alles ueber Erwartung glueckt, besah sie ihr kleines, unfoermliches Ungeheuer und verbarg es in einer zierlichen Wiege, die sie im Hause vorgefunden, wohlbedeckt mit Betten, entschlossen, selbst gegen die alte Braka dies als das erste Geheimnis ihres Lebens zu bewahren.

Braka, die sich am andern Abende durch ihr verabredetes Katzengeschrei kund machte, merkte doch an ihr eine Veraenderung und fragte listig nach allen Seiten, insbesondre als sie den schwarzen Hund nicht mehr bemerkte: "Gott sei gelobt, ist der Hund fort! wie ist’s gekommen? Ich haette den infamen Koeter laengst tot gemacht, wenn ich gedurft haette; aber da er vom Vater hinterlassen war, so durft’ ich nicht; einmal hatte ich ihn doch schon im Sack und wollte ihn ersaeufen, da biss er mich aber beim Aufheben des Sacks so scharf in die Haende, dass ich ihn mit dem Sack laufen liess: nun sag, Kind, wie hast du es angefangen, ihn ueber die Seite zu schaffen?"

Bella sah seitwaerts auf ihre Arbeit nieder, sie schaelte Aepfel und erzaehlte recht umstaendlich, wie sie nachts im Garten gewesen, wie ein schaeumender Hund dort gegen sie angerannt sei, wie sich ihr schwarzer Simson auf ihn gestuerzt und beide einander so grausam zerzaust und herumgerissen, bis der fremde Hund sich gefluechtet haette, worauf der Simson lahm und blutend ihm nachgelaufen und seit der Zeit von ihr nicht wieder gesehen worden sei, vielleicht weil er gefuehlt, dass er toll werde, und sie nicht habe verletzen wollen. Eine recht ruehrende Erfindung! Bella hatte sie so wahrscheinlich vorgetragen, ungeachtet es ihre erste Luege war, dass Braka beruhigt war und sich in Verwunderung ueber das treue Tier und ueber das grosse Unglueck, dem sie entgangen, ausliess. Nun hatte Bella Mut, ihr alles einzubilden, was sie kuenftig von ihrem Wurzelmaennchen zu sagen noetig finden wuerde; doch wartete sie ungeduldig, dass die Alte ginge, denn sie fuehlte eine rechte Unruhe, ob noch nichts Lebendiges an ihm wahrzunehmen sei.

Nachdem die Alte ihr Zwiebelgericht, das sie sich bereitet, ausgetunkt hatte, ging sie endlich von dannen. Bella schloss die Tuere und eilte zu ihrer heimlichen Wiege; zagend deckte sie auf und freudig sah sie schon die keimende Hirse auf dem Scheitel des Wurzelmaennleins, auch die Wacholderkerne hatten sich schon angezogen; es war ueberhaupt ein Bewegen innerlich in dem kleinen Wesen, wie fruehlings im Acker beim ersten heissen Sonnenscheine nach dem Regen, es waechst noch nichts, aber die Erde trennt sich und lockert sich, und wie die Sonnenblicke alles foerdernd umgehen, so regte sie kuessend alle Kraefte der geheimnisvollen Natur auf. Erst nach spaeter Ermuedung entschloss sie sich, neben ihrem Kleinod schlafen zu gehen, ihre Hand aber liess sie auf der Wiege ruhen, dass es ihr nicht entfuehrt werden koennte. Was wundern wir uns ueber ihre sonderbare Neigung zu der halbmenschlichen Gestalt, nachdem sie zu dem schoenen Fuerstensohne so ausschliessliche Neigung gezeigt hatte; es ist das Heiligste, diese Anhaenglichkeit an alles, was wir schaffen, und ruft uns, waehrend wir vor den Haesslichkeiten der Welt und unsren eignen erschrecken, die Worte der Bibel in die Seele: Also hat Gott die von ihm geschaffene Welt geliebet, dass er ihr seinen eingebornen Sohn gesendet hat. O Welt, bilde dich schoener aus, dass du dieser Gnade wuerdig werdest. Vergessen war in ihr aller Eigennutz, wie sie sich durch den kleinen Wundermann zu ihrem geliebten Prinzen wollte hintragen lassen; dieses Wunderkind, in Gefahr errungen, fuellte jetzt alle ihre Gedanken, von ihm traeumte sie, aber ihre Traeume waren nicht gluecklich; sie sah den vergessenen Fuerstensohn vor sich, wie er im Wettstreite mit andern das zierliche Pfeilspiel der Spanier uebte, worin sie durch die Staerke und Schnelligkeit des Wurfs sowohl wie durch die geschickte Wendung der Pferde einander zu necken und zu uebervorteilen suchen, aber der Prinz siegte ueber alle, seine Pferde rissen Sterne vom Himmel und warfen sie wie zierlichen Schmuck ihr auf die Brust. Die meisten dieser Sterne verloeschen, einer aber bebte in tiefem Lichte auf der Mitte ihrer Brust; und sie sah immer tiefer hinein, unendlich tiefer und konnte sich nicht satt sehen, und darueber erwachte sie. Kaum war sie erwacht, so wusste sie nicht mehr, nach wem sie sich so eifrig gesehnt hatte; ihr war es, als sei es der kleine Wurzelmann gewesen, den sie mit lautem Jubel begruesste, als er ihr ganz vernehmlich wie ein kleines Kind entgegenwimmerte, mit runden schwarzen Augen sie ansah, als wollten sie ihm aus dem Kopf herausfallen; sein gelbfaltiges Gesicht schien entgegengesetzte Menschenalter zu vereinigen, und die Hirse auf seinem Kopfe hatte sich schon zu borstigen Locken vereinigt, so auch, was auf seinen Koerper von den Hirsekoernern heruntergefallen war. Bella meinte, er schreie nach Essen, und war in grosser Verlegenheit, was sie ihm geben sollte, wo sollte sie Milch hernehmen? Sie bedachte sich lange; endlich gedachte sie der Katze, die auf dem Boden gejungt hatte, ein Jubel war ihr diese Erfindung; die Jungen wurden heruntergeholt und zu dem Wurzelmaennlein, das sie schon spoettisch ansah, in die Wiege gelegt; die Katze ernaehrte jetzt willig ihn mit den uebrigen Jungen, und die kleinen Blindgebornen duldeten es, dass der nach allen Seiten sehende Fremdling ihnen voraus, ohne dass es die Alte merkte, die muetterliche Vorsehung aussog. Bald kniend, bald auf den Knien hockend konnte Bella stundenlang diesen Listen ihres Maennleins zusehen; wo er die andern ueberlistete, schien es ihr hohe Ueberlegenheit, wo er sich feig vor ihren Tatzen zurueckzog, Schonung und Klugheit; nichts machte aber dem Maedchen so viel Freude an ihm wie die Augen im Nacken. Schon verstand er sie damit, wenn sie ihm winkte, wo eines der Kaetzchen von dem Zitzen heruntergefallen war, und legte sich vor, bis er auch daran kommen konnte. Ihre Zuneigung wuchs so schnell, dass sie sich aber jeden Tropfen Milch kraenkte, der von den eingebornen Jungen dem Fremdlinge entzogen wurde, dass sie lange mit sich kaempfte, aber endlich nicht widerstehen konnte, eines dieser Jungen heimlich fortzutragen und nahe am Bach ins Gras zu legen. Dann floh sie schnell, damit es ihr nicht folgte, sie war aber kaum einige Schritte gelaufen, so hoerte sie etwas ins Wasser einplumpen, sie musste ihre Augen hinwenden und sah, wie der Strom die kleine, blinde Katze forttrug. Das jammerte ihr, sie gedachte ihres unschuldigen Vaters, der denselben Weg gezogen, sie haette nachspringen moegen, doch blieb sie am Ufer stehen und fuehlte, dass sie gesuendigt; der Himmel ward dunkel ueber ihr, die Erde frostig unter ihr und die Luft unstet um sie her; sie schlich ins Haus und weinte. Und als der kleine Wurzelmann mit den Augen im Nacken dies ersah, fing er an der Brust der Katze laut zu lachen an, dass die Katze aufsprang und eins der Jungen mit sich fortzog, das sich ihr in Angst angebissen hatte. Jetzt war das Wurzelmaennchen auch so mutwillig geworden, dass es sich nicht viel um die milde Nahrung der Milch kuemmerte, zwar sah es schon aus wie ein altes Maennlein, das zum Kinde zusammengeschrumpft war, aber es hatte noch alle Unarten der kleinsten Kinder dabei. Gerade weil es sah, dass Bella ueber den kleinen Mord mit ihm zuernte, draengte es sich immer mehr zu ihr, und schlagen konnte sie es nicht, und was sollte sie da tun, als es kuessen und ihm den Willen lassen, der sich durch Hingreifen nach allerlei Wurzeln zeigte, die nicht von ihrem Vater her im Zimmer so umherlagen, sondern von der alten Braka bei ihrer Mauserei aus Unkenntnis weggeworfen waren. Kaum hatte das Maennlein eine Springwurzel genossen, so fing es an so laecherlich ueber Tisch und Stuhl, kopfueber, kopfunter zu springen, dass Bella in Angst die Augen wegwenden musste und ihm aengstlich wie ein Huhn dem ausgebrueteten Entchen nachlief und nachsah, wie sie ihn nirgend fassen und erreichen konnte. Listig wusste er bald an allen Ecken aufzusuchen, was ihm diente, so fand er bald auch die Sprechwurzel, welche die gruenen Papageien vom hoechsten Gipfel des Chimborasso in die Ebenen bringen, wo sie die Baumschlangen von ihnen gegen Aepfel eintauschen, die am verbotnen Baume gewachsen; wer sie aber den Schlangen abjagt, das kann allein der Teufel, und sie von dem zu bekommen, ist schwer und hat schon manchen ehrlichen Erzieher in Verlegenheit gesetzt. Als er diese ekelhafte Wurzel gierig genossen, sprang er auf einen Ofen, und wie ein Vogel, dem die beschnittnen Fluegel wiedergewachsen, zur Verwunderung seines Herrn ploetzlich empor auf den Baum vor dem Fenster fliegt und erst spottend sein Lied pfeift, das er von ihm gelernt, eh er sich von ihm fort im wilden Natursang durch die Luft schwingt, so waren die ersten Worte des Maennleins ein spottendes Wiederholen ihrer Lehren: "Sei artig, sei gut, sei stille!"

Er konnte nicht aufhoeren, ihr das vorzusagen; sie haette ihn gern gezuechtigt, aber er sass ihr zu hoch. Zuletzt, um ihre Geduld ganz zu erschoepfen, setzte er sich eine alte, verrostete Brille auf und fabelte in leeren, spottenden Einfaellen von allerlei Neckerei, die er der Welt antun moechte, um sich zu unterhalten. Da musste sie laut weinen und konnte nicht mehr hinaufsehen, denn das Vertraulichste am Menschen sind die Augen, und es ist wohl zum Verzweifeln, wenn die Schwaeche der Natur solchen harten, fuehllosen Glasglanz zwischen dem geliebten Menschen und uns notwendig macht, und das kann den Scharfsehenden schwindlig machen, wenn er sehen muss, wie der Sinn, der sonst seine Freude nur in Luft und Licht sucht, jetzt die harte Gewalt der Erde zu seiner Hilfe brauchen muss, die ihn notwendig mit sich herabzieht und vernichtet. Eine Brille ist das schrecklichste Gefaengnis, aus welchem die ganze Welt veraendert erscheint, und nur die Gewohnheit kann den Schreck vor dieser Welt, wie sie dadurch erscheint, aufheben. Wirklich erschrak jetzt Bella bis im tiefsten Herzen vor dem Liebling, der im Luftraume ihrer Schoepfung vergoettert gewesen, sie sah ein, dass sie auf ein Mittel denken muesse, den Alraun zu bezwingen, und nahm sich vor, darueber mit Braka zu reden. Als sie das still in sich beschlossen hatte, rief ihr das Maennlein vom Gesimse des Zimmers zu: "Hoer, Bella, ich habe dich eben mit den Augen in meinem Nacken angesehen, da ahndet mir, du hast mich nicht mehr so lieb wie im Anfange, und wenn ich das gewiss weiss, so ist’s um dich geschehen!"

Bella erschrak wie eine ueberwiesene Suenderin, diese Allwissenheit oder vielmehr dieses ahndende Augenpaar in dem Kleinen setzte sie in Verzweifelung, die Angst befestigte in ihr den Entschluss, sich des kleinen, furchtbaren Teufels zu entledigen. Er rief dabei vom Gesimse: "Mir ahndet, du hast etwas Boeses mit mir vor, aber ich will dich schon wieder gut machen."

Zugleich stieg er herunter, sprang zu ihr auf den Schoss und kuesste sie so herzhaft, dass er ihr fast die Haut aufriss mit seiner harten Barthirse, dennoch fuehlte sie eine sonderbare Bewegung ihres Blutes, die sie nicht verstand, ueber die sie auch nicht nachdachte; doch war ihr der Kleine im Augenblicke so lieb, und sie erwartete und wusste nicht, was, von ihm.

Eine Woche spaeter, und der Alraun war in seiner Art voellig ausgewachsen, etwa dreieinenhalben Fuss hoch; Braka hatte schon etwas von ihm gemerkt, auch hatte er nicht Lust, sich laenger einsperren zu lassen, wenn sie kam, vielmehr wollte er sich der Alten recht glaenzend zeigen, zog ein silbergesticktes, altes Faltenkleid von Bellas Mutter an, das ihm Bella nach allen Seiten aufnaehen musste: so sass er eines Abends ganz ruhig in der Ecke und schien zu lesen, als Braka eingelassen wurde. Bella sagte, es sei ihre Base, ein sehr reiches Maedchen, die sie zu sich nehme, die auch Braka beschenken wolle. Braka, die ihr Kompliment auch zu machen verstand, wo sie es noetig glaubte, griff der vermeinten Base nach der Hand, um sie zu kuessen, war aber doch etwas verwundert ueber die harte, trockene, haarige Wurzelhand und zoegerte mit dem Kusse. Darueber wurde der Wurzelmann boese und gab ihr eine derbe Maulschelle. Braka konnte sich in solchem Falle nicht maessigen, sie stemmte beide Haende in die Seite und fing so heftig an zu schimpfen, dass die lachende Bella sie kaum mit der Vorstellung beruhigen konnte, die Nachbarn moechten sie hoeren, und dann waere ihr Zufluchtsort auf einmal verraten. Der Alraun hatte sich aber durch die Schimpfreden nicht weniger in der guten Meinung gestoert gefunden, er sprang sehr geschickt auf und rings um Braka her und verfolgte sie mit unzaehligen Fusstritten; dabei fiel ihm der Schleier herunter, sie erkannte ihn gleich fuer das, was er war, und demuetigte sich erschrocken vor ihm. Als er sie in Ruhe liess, setzte sie sich ganz zerschlagen auf einen Sessel und rief einmal ueber das andre: "Ach, Bella, was hast du fuer ein Glueck, solch ein Maennlein zu haben, das alle Schaetze finden und heben kann, ja da hatte mein Schwager einen, den nannte er Cornelius Nepos."

"So will ich auch heissen", rief der Kleine, "wo ist der geblieben?"

"Ach", sagte Braka, "mein Schwager wurde erstochen, das Maennlein wurde in seiner Tasche gefunden und den Kindern zum Spielen gegeben, die brachten es einem Schweine, das hat’s aufgefressen und ist davon krepiert."

Der kleine Herr Cornelius wurde darueber sehr aufgebracht, er verbot es sehr strenge, ihn nicht den Schweinen vorzuwerfen, und liess sich erklaeren, was dies fuer ein Tier sei. Braka wollte ihm erst beweisen, dass er sich um die Welt und was darin fresse, gefressen werde und sonst vorgehe, gar nicht zu bekuemmern habe, er muesse Schaetze graben und sich um weiter gar nichts bekuemmern; als aber der kleine Cornelius wieder sehr grimmig wurde, suchte sie ihn zu besaenftigen, indem sie ihm allerlei hohe Aemter vorschlug, die er verwalten koennte. Es war, als wenn er schon einmal gelebt haette, so schnell wurde er durch eine kurze Erinnerung mit allen menschlichen Verhaeltnissen bekannt. Bei verwachsenen Kindern findet sich haeufig ein Ansatz zu dieser fatalen Gescheitheit. Nichts unter allem, was Braka ihm von dem schoenen Leben eines Kuchenbaeckers oder Kellermeisters vorschwatzte, reizte ihn so maechtig als ein Kommandostab, wenn er in glaenzender Ruestung, wie in dem Schlosse ein Feldmarschall abgebildet war, vor tausend Rittern an dem Hause vorueberreiten wuerde und ihren Gruss annehmen, ja er befahl, ihn im Hause nicht anders als Marschall Cornelius zu nennen und ihm dazu eine Ruestung zu schaffen. "Dazu gehoert Geld", sprach die listige Braka, "umsonst ist der Tod, Geld, Geld schreit die ganze Welt."

"Dafuer lasst mich sorgen", sagte der Kleine, "ich sitze hier so unruhig, es muss hier in der Ecke der Mauer ein Schatz versteckt sein."

Mit ihren Naegeln haette Braka die Steine ausgerissen, wenn sie kein ander Werkzeug haette finden koennen, jetzt aber lag die eiserne Ofengabel ihr recht angenehm zur Hand vor der Tuere, sie war im Augenblicke damit bei der Arbeit; ein Glueck, dass der Schatz nur mit einem Stein vermauert war, alle Fusstritte des Marschalls haetten sie nicht abgehalten, das Haus zu durchbohren; auch liess sie sich durch das Kratzen und Beissen des Maennleins nicht abhalten, den Kasten voll guter Goldund Silbermuenzen in Beschlag zu nehmen. Sie setzte sich darauf und hielt dann ihren feierlichen Vortrag: "Liebe Kinder, Jugend hat keine Tugend, Kinder-und Kaelbermass wissen alte Leute, ihr wisst beide noch nicht mit Gelde umzugehen, ihr waeret verloren und kaemet gleich in die Haende der argwoehnischen Gerichte, wenn ich euch nicht mit Rat zur Hand ginge; darum hoert meine Meinung, was ihr tun muesst, damit wir in aller Sicherheit des Schatzes froh werden. Hoer, Bella, du hast mich oft Mutter genannt, das will ich nun in der Welt vorstellen, in die ich dich einfuehre; du aber, Cornelius, musst dich als mein Neffe, als Vetter meiner lieben Bella, artig auffuehren, so kannst du mit uns vertraulich zusammenwohnen, wir koennen dich einem vornehmen Kaiser irgendwo empfehlen, dass er dich zu seinem Marschall macht; eine Ruestung koennen wir dir gleich kaufen, auch einen Degen und Helm und einen Streithengst, da wirst du eine rechte Freude an dir haben, da werden die Leute auf der Strasse mit Fingern auf dich weisen und sprechen: Das ist der herrliche junge Ritter, der Feldmarschall, der kuehne Haudegen. Die Maedchen werden niedersehen, und du wirst dir den Schnauzbart in die Hoehe streichen und mit einem gewognen Nickkopfe vorbeireiten."

Haette Cornelius sich umgewendet, so haette er ihre Falschheit wohl sehen koennen, aber ihm war, seit er lebte, noch nicht so wohl geworden, als in diesen Worten der Alten; er sprang ihr auf den Schoss und herzte und kuesste sie, dass Bella aus Eifersucht ihn packte und, statt zu kuessen, ihn biss. Er verstand keinen Spass in so etwas, es haette viel Streit geben koennen, wenn nicht die Alte mit Beratschlagung, was nun anzufangen, hervorgetreten waere: "Schlagt euch ein andermal, wenn mehr Zeit dazu ist, heute muss ein Entschluss gefasst werden, wohin wir gehen, um mit Ansehen in Gent einzufahren! Da habe ich eine alte Diebshehlerin in Buik gekannt, die schafft am ersten Rat und was wir brauchen, eine Staatskutsche, worin wir den Herrn Cornelius fahren, als ob er in einem Zweikampfe verwundet worden sei und nur allmaehlich genese."

"Nein", sagte das Maennlein, "das will ich nicht spielen, es koennte mir wirklich so gehen, und warum soll ich mich nicht sehen lassen?"

"Ach", seufzte Braka heimlich, "der ist auch einer von den Bucklichten, die nicht begreifen koennen, womit sie ihre Hemden zerreiben"; laut aber sprach sie: "Seht nur, Herr, so auf einem Dorfe sind nicht gleich ritterliche Kleider zu bekommen, die Eurer wuerdig sind, auch muesst Ihr Haar und Bart sorgsam beschneiden lassen, die Leute meinen sonst, ihr waert der Baernhaeuter."

"Vielleicht bin ich auch von den Seinen", sagte Cornelius, "wer ist es, wo lebt er?"

"Erzaehl uns von ihm", bat Bella, "diese Nacht ist fast vergangen, heut koennen wir noch nicht scheiden, und morgen will ich noch Abschied nehmen von allem, was mir im Hause lieb."

"Erzaehl", sagte der Kleine, "oder ich schlage dich." Braka hub also an, indem sie die Oellampe zur Seite stellte und ihr Schnupftuch immer aus einer ihrer Haende in die andre strich:

Geschichte des ersten Baernhaeuters

"Als Sigismund, der Ungersche Koenig, von dem Tuerken geschlagen worden, ist ein deutscher Landsknecht aus der Schlacht in einen Wald entronnen; da er nun keinen Weg fand, keinen Herren, kein Geld hatte, an keinen Gott glaubte, so erschien ihm ein Geist und sagte ihm, wenn er ihm dienen wollte, so wollte er ihm Gelds genug geben und ihn selbst zu einem Herren machen. Der Landsknecht sagte: "O ja, er sei es zufrieden." Nun wollte aber der Geist wissen, ob er wohl einen rechten Heldenmut habe, damit er sein Geld nicht umsonst ausgebe, und fuehrte ihn an das Lager einer Baerin, die Junge hatte, und als diese gegen sie ansprang, befahl er dem Landsknecht, ihr auf die Nase zu schiessen. Der Landsknecht vollfuehrte das treulich, schoss ihr in die Naseloecher zwei Posten hinein, dass sie stuerzte. Da solches geschehen war, fing der Geist an mit ihm zu unterhandlen: "Zieh die Haut der Baerin dir ab, du wirst sie brauchen, gut fuer dich, dass du kein Loch hineingeschossen, denn soll ich dich reich machen, so musst du mir sieben Jahre darin, als in meiner Livrei, dienen, musst in den sieben Jahren alle Nacht eine Stunde um Mitternacht bei meinem Schlosse Schildwach stehen, musst in den sieben Jahren dir niemals Haar und Bart und Naegel weder abschneiden noch reinigen, dich auch nie waschen, abreiben, abstaeuben und einsalben; in den sieben Jahren sollst du bei Tage frei Licht, bei Nacht mit Abwechseln Mondschein, Sternenschein und nichts haben als guten Wein zum Trinken, Kommisbrot zum Essen; auch sollst du in der Zeit kein Vaterunser beten." Der Landsknecht ging alles ein und sagte zum Geist: "Alles, was du mir zu unterlassen befiehlst, habe ich mein Lebtage nicht gern getan, weder Kaemmen, Waschen noch Beten; was du mir zu tun befiehlst, soll mir bei einem guten Glase Wein nicht schwer werden." Darauf zog er seine Baerenhaut ueber, und der Geist fuehrte ihn durch die Luft auf sein wuestes Schloss, das mitten im Meere liegt, woselbst er gleich seinen Dienst antrat. Sechs und ein halbes Jahr versah der Landsknecht in seiner Baernhaut, wovon er den Namen des Baernhaeuters bekommen, seinen Wachtdienst; Haar und Bart waren ihm dermassen gewachsen und verfilzt, dass er von Gottes Ebenbildlichkeit wenig mehr uebrig behielt; Petersilie war ihm auf seiner Haut gewachsen, das sah gar erschrecklich aus."

Mit einem Schauder sah Bella bei diesen Worten die Hirse auf dem Kopfe des Alrauns, der sehr wohlzufrieden sie durch den Finger gehen liess, seiner Schoenheit gegen den unsaubern Landsknecht gewiss.

"Als nun sechseinhalb Jahr um waren", fuhr Braka fort, "trat der Geist zu ihm, freute sich ueber sein Ansehen, sagte ihm, er brauche ihn nicht mehr, er wolle ihn wieder unter Menschen bringen, doch mit der Bedingung, dass er sich noch ein halbes Jahr in dieser seiner Verwilderung unter ihnen sehen lasse, zugleich wolle er aber mit ihm abrechnen und ihm den verdienten Geldschatz ueberantworten, er moechte sich damit lustig machen, so gut er koennte. Dem Landsknecht war es doch lieb, wieder unter Menschen zu kommen, weil er das Sprechen fast verlernt hatte, er liess sich vom Geist recht vergnuegt uebers Meer nach Deutschland fuehren, nach Graubuenden, weil es dort in damaliger Zeit am schmutzigsten auf dem ganzen Erdboden war. Dennoch wollte ihn da kein Wirt aufnehmen, bis er eine Handvoll Dublonen und eine Handvoll Piaster einem ins Gesichte warf; der raeumte ihm seine besten Zimmer ein, dass er die gewoehnlichen Gaeste von dem Hause nicht zurueckschrecken moechte. Als aber der Papst, der mit gemalten Bildern die ganze Christenheit regiert, durch Graubuenden kam, von dem Konzilio nach Rom zurueckzureisen, da trat der Geist zu dem Baernhaeuter und malte sein Zimmer mit allen merkwuerdigen Menschen der Welt, sowohl denen, die gelebt, als die kuenftig noch leben werden, wie den Antichristen und das juengste Gericht, worueber der Wirt sich nicht wenig verwunderte, aber dennoch den Baernhaeuter zwang, die Nacht, wo der Papst bei ihm einkehrte, seine Zimmer einzuraeumen und im Schweinestall zu schlafen, den Papst aber legte er in das vom Baernhaeuter schoen gemalte Zimmer. Als der Papst am andern Morgen aufwachte, war das erste, dass er sich nach dem wunderbaren Maler erkundigte, der das Zimmer so kuenstlich verziert habe. Der Wirt erzaehlte ihm, was er von ihm wusste, und musste ihn dann aus dem Schweinestall heraufkommen lassen. Der Papst aber gruesste ihn freundlich, fragte ihn, wer er waere, und der Landsknecht nannte sich Baernhaeuter; darauf fragte ihn der Papst, ob er diese herrlichen Bilder gemalt? "Wer sonst?" sprach der Baernhaeuter. Da ruehmte ihn der Papst als den ersten Maler der Welt und sagte ihm, er habe drei natuerliche Toechter, die er sehr liebe, die aelteste heisse Vergangenheit, die andre Gegenwart, die dritte Zukunft, wenn er ihm die so malen koennte, dass er wuesste, wie jede nach einer Reihe von Jahren aussaehe, so wolle er ihm die zur Frau geben, welche ihm am besten gefalle. Der Baernhaeuter versprach alles in Hoffnung auf seinen Geist. Der Papst redete darauf weiter: "Du koenntest mir aber leicht einbilden, dass sie sich also verwandeln moechten, und wenn es nicht zutraefe, haettest du doch inzwischen meiner Tochter Liebe genossen, darum stelle ich dich auf eine Probe. Ich zeige dir nur meine juengste Tochter Zukunft, und du musst aus ihrem Anblicke die beiden aelteren, Gegenwart und Vergangenheit, malen; bestehst du diese, so ist das Maedchen dein, bestehst du sie nicht, so verfaellt mir dein grosses Vermoegen, wovon mir der Wirt erzaehlt hat." Baernhaeuter ging alles ein, lief neben dem Wagen des Papstes her und hielt ihn, wenn er umfallen wollte, und so kamen beide ohne Schaden nach Rom. Gleich am Abend stellte ihm der Papst seine Tochter Zukunft vor, die sehr schoen war, aber zweierlei Farbe von Haaren auf ihrem Kopfe trug; Baernhaeuter verliebte sich gleich, sie aber entsetzte sich ueber seinen Anblick. Als sie fort war, rief er seinen Geist, der mit einem Farbentopfe und einem Pinsel geflogen kam und die Bilder der beiden aeltern Schwestern sogleich anfertigte. Als Baernhaeuter das Bild der Gegenwart gemalt sah, vergass er darueber der geliebten Zukunft und weinte, dass er diese nicht bekommen koennte. Der Geist troestete ihn und sprach: In einem halben Jahre wuerde seine Braut dieser aehnlich und gleich sein, und so haette er in diesem Bilde auch das vom Papste verlangte Bild, wie die Tochter in einer gewissen Zeit aussehen werde; in dem Bilde der Vergangenheit werde er aber gleich sehen, wie die Gegenwart kuenftig aussehen muesse.

Der Geist malte dieses Bild der Vergangenheit, und es gefiel dem Baernhaeuter nicht. Als dieser nun aber vom Geiste verlangte, er solle ihm das Bild der Vergangenheit malen, wie sie kuenftig aussehe, da wischte der Geist seinen Pinsel auf der Wand aus und sagte: "Entweder so wie die Wolken, dass nichts zu erkennen, oder wie das Bild der Zukunft, das du im Herzen traegst, und das ich dir niemals gut genug malen wuerde!" Hier verschwand der Geist. Am Morgen zeigte der Baernhaeuter die Bilder dem Papst, der sehr nachdenklich dabei wurde, ihn umarmte und seiner juengsten Tochter als Braeutigam vorstellte. Baernhaeuter war so voll Freude, dass er nicht sah, wie seine Braut weinte, als er seinen Ring, der auseinandergeschroben werden konnte, mit ihr teilte und ihr die Haelfte an den Finger steckte. Darauf nahm er Abschied, denn so hatte ihm der Geist in der Nacht befohlen

ich hatte es zu erzaehlen vergessen -, und ritt nach Deutschland zurueck, um dort in Graubuenden sein siebentes Jahr noch auszuwarten; dann ging er nach Baden ins Bad, wo er zu seiner Reinigung ueber ein halbes Jahr bestaendig im Wasser lag und mit groben Besen abgebuerstet wurde; ein Dutzend Messer wurden stumpf, eh ihm der Bart und das Haar abgeschoren waren. Als das beendigt, schaffte er sich die kostbarsten Kleider an und eilte zu seiner Geliebten zurueck.

Diese war unterdessen in das Aussehen gerueckt, was die Gegenwart damals hatte, sie war sehr schoen, aber immer traurig, weil sie sich vor ihrem Braeutigam fuerchtete und weil sie von den Schwestern, die keinen Mann bekommen, bestaendig seinetwegen geneckt wurde. Eines Tages rief ein heller Trompetenschall alle drei Schwestern ans Fenster; es zog ein schoener, fremder Ritter mit vielen Knechten in die Stadt, den sich die beiden aeltesten sogleich zum Mann wuenschten, und, o Wunder, der Ritter hielt vor dem Hause still, liess auch um Erlaubnis bitten, ihnen aufzuwarten. Sie bewilligten es gern, und er gab sich fuer einen entfernten Verwandten von ihnen aus, der eine von ihnen zu heiraten begehre und sich deswegen durch einige Gaben empfehlen wolle. Die beiden aeltesten griffen begierig nach den Geschenken, die juengste aber blieb einsam wie ein Turteltaeubchen; die beiden aeltesten bemuehten sich um seine Gunst; sie gefielen ihm aber gar nicht mehr, die Gegenwart sah aus wie damals die Vergangenheit, und die Vergangenheit hatte ein vermischtes Gesicht wie eine Alabasterstatue, die lange unter der Traufe gestanden, die liebe Zukunft aber bluehte in hoechster Schoenheit, ihre Haare glaenzten in gleicher heller Farbe. Dennoch stellte er sich erst den beiden aelteren geneigt, um die Sinnesart der juengeren zu pruefen; als diese aber still und sittig blieb, waehrend jene stolzierten, erklaerte er sie fuer seine Braut, indem er ihr die andre Haelfte des Ringes am Finger anschraubte. Da war grosse Freude in der Verlassenen angezuendet; der Papst erschien und segnete beide ein. Als aber die Brautleute zu Bette gebracht worden, ergriff die beiden aelteren Schwestern eine Verzweifelung, dass sich die eine erhenkte und die andre in den Brunnen stuerzte. In der Nacht trat der Geist, die beiden toten Maedchen im Arm, zum letztenmal zum Baernhaeuter und sagte: "Du hast alles erfuellt, was du mir gesollt, ich bin im Vorteil, ich habe mir zwei, du dir eine Tochter geholt. Lebe wohl und bewahre deinen Schatz."

"Aber", unterbrach sie der Alraun, "warum haben sich denn die Schwestern so geaergert, dass sie zu Bette gegangen sind?"

"Weil sich die beiden geheiratet", antwortete die Braka.

"Was ist denn heiraten?" fragte der Alraun.

"Das kannst du nicht begreifen", sagte die Alte.

Der Alraun wollte sich umdrehen, um mit seinen ahndenden Augen sie zu erforschen, aber im Augenblicke schrie er entsetzlich auf und sprang unter den Tisch, der Alten unter den vielgeflickten Rock. "Was ist dir, Scheusal?" rief die Alte, sah auch hin, wohin er gesehen, und warf sich schreiend ueber den Geldkasten, und Bella legte den Kopf aengstlich in den Schoss und wagte nicht aufzublicken.

"Lebende Menschen", sagte eine rauhe Stimme, "sind doch rechte Toren, da hoeren sie mit grosser Freude meine schreckliche Geschichte an, und mich selbst moegen sie nicht sehen. Wacht auf aus eurem Schrecken, oder ich schreie, dass die Balken unter und ueber euch biegen und brechen."

"Nun", sagte der Alraun unter dem Rocke der Alten, "was will er, Baernhaeuter? ich will ihm zuhoeren."

"In welchem Mauseloche steckst du, kleiner Knirps?" fragte der Baernhaeuter.

"Wo du grosser Toelpel nicht stecken kannst", sagte der Alraun; "mach schnell, es wird mir sonst zu heiss hier, auch beissen mich die Schmetterlinge, was willst du von uns, unsaubrer Gast?"

"Ach", sagte der Baernhaeuter, "ich habe mich bei Lebzeiten so sehr in mein Geld verliebt, dass ich den Rest hier vermauerte und dabei nach meinem Tode Wache stehen muss, gebt mir mein einziges Vergnuegen wieder heraus."

"Gib ihn hin", fluesterte die Alte, "so dreht er uns nicht das Genick um."

"Nein", rief der Kleine, "du kriegst keinen Heller heraus, du musst ihn abverdienen, du bist aber ein starker Kerl, der uns nuetzlich sein kann, insofern du deinen Koerper noch gehoerig instand setzen, ausputzen und beschlagen kannst, um damit auf Erden als unser Knecht zu erscheinen."

"Ach", sagte der Baernhaeuter, "was den Koerper anbetrifft, es sind bloss ein paar Verknoecherungen in den Adern gewesen, woran ich gestorben, die putz ich mit einem scharfen Messer leicht weg, es ist mir nur eine verfluchte Arbeit, so einem kleinen Stehauf, wie du bist, auf der Welt zu dienen: das ist auch noch eine harte Strafe fuer meinen Geiz."

"Ei was", sagte der Alraun und kam unter dem Rocke der Alten hervor, "ich bin nicht eben zu klein, aber du bist zu gross, und ich weiss nicht, was mir lieber waere; ein Kleiner kann sich einschmiegen und einkriechen, wo ein Grosser nicht einmal hinriechen darf; kurz und gut, willst du mir treu dienen, so zahl ich dir reichlich alle Woche einen Dukaten, bis dein Schatz wieder beisammen."

"Ich geh den Vertrag ein", sagte der Baernhaeuter, "morgen Nacht komm ich mit meinem wirklichen Koerper, wenn ich ihn in der Zeit fertig kriege, zurueck, neben mir an ist der Diener eines vornehmen Herren begraben, mit dem will ich Kleider tauschen, so macht mein seidner Wams kein Aufsehen, und dem armen Teufel goenn ich die kleine Freude wohl, sich so stattlich begraben zu finden, wenn er am juengsten Tage aufsteht, er hat sich immer still und ordentlich bis auf ein bisschen Schnarchen neben mir aufgefuehrt."

"Es ist gut", sagte der Alraun, "das Weibsvolk hier hoert dich noch gar nicht sonderlich gerne, drueck dich, Mensch!"

"Nun adies", sagte der Baernhaeuter, "es bleibt dabei, aber einen Dukaten Mietsgeld wuerde ich mir wohl ausbitten, ich habe den Totenwuermern allerlei Kleinigkeiten versetzt, die ich wieder einloesen moechte."

"Da hast du", sagte der Alraun und zog mit Gewalt einen Dukaten aus dem Haufen, worauf die Alte lag (die ihm heimlich zufluesterte: gib ihm die Haelfte, es ist auch genug), "da hast du den Dukaten, fuehr dich ordentlich bei mir auf, es soll dein Schaden nicht sein."

Der Baernhaeuter verschwand, es dauerte aber noch eine Weile, ehe Braka und Bella aufzusehen wagten. Der kleine Cornelius lachte sie aus, und sie konnten sich einer gewissen Hochachtung gegen ihn nicht erwehren. "Wenn uns der grosse Kerl nur nicht einmal mit all unserm Hophei davonlaeuft", sagte Braka.

"Wie kann er denn", sagte der Alraun, "es ist ja eben seine grosse Not, dass er als ein Geist sein Wort halten muss; ihr Menschen braucht das nicht, wenn ihr euch nicht eurer Seele wegen nach dem Tode fuerchtet."

"Bist du denn ein Geist oder ein Mensch, lieber Cornelius?" fragte Bella.

"Ich", stammelte der Alraun, "das ist eine dumme Frage, ich bin ich, und ihr seid nicht ich, und ich werde Feldmarschall, und ihr bleibt, was ihr waret, mit solchen verfluchten, spitzfindigen Fragen bleibt mir vom Halse, wenn man darueber nachdenkt, so zieht es einem Blasen im Gehirn, wie der Meerrettich auf der Haut."

"Woher weisst du denn das vom Meerrettich?" fragte Braka.

"Als ich da oben stand unterm Galgen, da stand eine Meerrettichpflanze neben mir, die tat sich immer viel darauf zugute, dass sie Blasen ziehen koennte und dass die Augen bei ihr uebergingen, das nannte sie ihre tragische Wirkung. Gute Nacht", rief er zuletzt, "Braka, auf Wiedersehn! mach dich fort und besorg mir nur recht bald den Kommandostab." Als er fortgegangen, beredete Braka alles, was noch zu ihrer Wanderung noetig, die auf die naechste Nacht unabaenderlich festgesetzt wurde.

Am andern Abende ging Bella noch einmal in den kleinen Garten; was sie erlebt, draengte sich ihr zusammen, jeder Zweig schien ihr bedeutend. Der Nacht, wo sie den Erzherzog gesehen, erinnerte sie sich, er selbst war ihr aber ganz entfallen, sie konnte sich nicht denken, wie er ausgesehn habe, auch schien ihr das wenig wert; sie freute sich in die Welt einzutreten, aber sie fuerchtete, die sie umgaben, und das Gefuehl, dass sie ihr zu schlecht waeren, ueberraschte sie sehr schmerzlich; sie schaemte sich ihrer, weil sie ihren Vater gekannt hatte, und alle Dankbarkeit gegen Braka, alle Freude, die sie ueber das Gedeihen des kuehn und gluecklich erschaffenen Wurzelmaennchens hegte, konnte diese Scham nicht unterdruecken. Es lag ihr die Hoheit ihres aegyptischen Stammes im Blute, und sie sah zu den Sternen zutraulich als zu ihren Ahnen und fuehlte den Sommer ihres Landes jetzt in dem kalten Oktober, wo der Nil sinkt und alles sich zur Arbeit regt, aber sie wusste auch das alte Verbrechen ihres Volks, dass sie der heiligen Mutter Maria auf ihrer Flucht nach Aegypten kein Obdach geben wollten, als sie mit ihrem seligmachenden Kinde im starken Regen einritt; da erhob aber dieses seine Hand im Kreise, und ueber ihnen stand ein Regenbogen, der keinen Tropfen auf sie niederfallen liess. "Ist unsre Schuld noch nicht gebuesst!" seufzte Bella, und rings um den Mond erblickte sie einen wunderbaren farbigen Kreis, dass ihr Herz aufjauchzte und ohne Worte betete. "Mit welcher Sehnsucht hat mein geliebter Vater Michael", dachte Bella, "nach jenen Huegeln geblickt, den ersten Gruss der Morgensonne zu erwarten, und ich soll sie hier in der Stille nie wiedersehen. Was haben sie mit mir vor, die mich umgeben, soll ich fliehen in die Weite, so weit meine Fuesse mich tragen, die Welt ist ja nirgend verschlossen!"

Die Sehnsucht nach der Freiheit bewegte sie, da fluesterte ihr Braka leise zu, die sich ihr genaehert: "Der Baernhaeuter hat schon alles aufgesackt, der Cornelius reitet auf seinem Nacken, hast du noch was mitzunehmen?"

"Ei freilich", sagte Bella, "da sind noch meine Puppen und das Zauberbuch."

"Ach, liebes Kind", sagte die Alte, "das hat der grobe Baernhaeuter aus Unvernunft alles in den Ofen geworfen; sei nur nicht boese, troeste dich."

Bella sah nieder: "So muss ich auch das alles verlassen, womit ich gespielt habe."

"Ja, liebes Maedchen", sprach Braka und umarmte sie, "ich habe es dir schon seit ein paar Wochen sagen wollen, du bist nun erwachsen, kannst auch alle Tage einen Mann nehmen; freust du dich nicht, Blitzmaedchen? Wie ist dein Busen hervorgetreten wie eine Frucht unter Blaettern, und du hast es nicht bemerkt, sieh, der Mond hat Platz, seine Strahlen hinueberzurollen."

"Alte, bist du unsinnig?" fragte Bella.

"Ach lass mich", sagte Braka, "es ist Nacht, und ich mag auch einmal vergessen, wie ich mich in aller Welt gleich einem Rauchbesen herumgetrieben, alle Spinnweben, allen Schmutz ausgekehrt habe, dass ich schmutzig bin und bleibe. War auch einmal jung und artig, sang mit unsern schoenen Juenglingen und reimte Lieder, und nun ich dich so sehe und du von allem nichts weisst, was mit dir geschehen, da denke ich fuer dich und freue mich fuer dich. Sieh, du bist nun ein grosses Maedchen, und alle Lust geht dir auf, und wo du hinblickst, jeder fuehlt und will was bei dir, und wenn du nur eine Hand ausstreckst, wird es ihnen heiss in den Adern, sie stammeln und scheuen sich und rasen und hetzen, und blickest du einen an und dann den andern, so schlagen sie sich und rechnen ihr Blut fuer nichts gegen dein Blut und vergiessen es fuer dich."

"Ach Gott", rief Bella, "welch ein Unglueck steht mir bevor, lieber lauf ich davon und verberg mich aller Welt!"

Braka hielt sie und sagte: "Fliehen willst du, unartiges Kind? Wenn du dir das je unterstehst, ich will dich schon wiederkriegen, da peitsche ich dich mit Brennesseln. Du bist doch noch dumm wie ein Klotz; wenn man der dummen Gans alles Liebe sagt und tut, sie versteht kein Wort; kommt jetzt herein, wir haben keine Zeit uebrig, ein andermal sag ich dir mehr!"

Sie schob Bella ins Haus, die wunderlich bewegt von dem, was sie gehoert, noch mehr von dem, was sie erwarten sollte, sich ueber den Verlust ihrer Buecher und Puppen troestete und den Baernhaeuter kaum anstaunte, der in seiner braunen Livrei einem Baeren glich, auf welchem der Alraun wie ein menschlich angezogener Affe ritt, um sich auf einer Kirmes sehen zu lassen. Braka ging voran, Bella folgte ihr, der Baernhaeuter schlug die Tuer zu; alle waren still, nur Braka brummelte vor sich, wenn sie den verschneiten Weg nicht recht erkennen konnte. Auf dem Galgenberge sahen sie grossen Tanz, sie kehrten sich nicht daran; ein paarmal wurden sie durch Feldhuehner erschreckt, die aus dem Schnee aufflogen. Endlich sahen sie das Dorf Buik in einer Vertiefung liegen, und Braka erkannte die Lampe ihrer alten Diebsschwester, der Nietken.

Sie naeherten sich leise einer Gartentuer, und Braka machte ihre Gegenwart durch Wachtelgeschrei kund. Es kam ein kleines Maedchen, die sah sie an, machte die Tuere auf und fuehrte sie in einen Keller und durch den Keller die Treppen hinauf in ein Bodenzimmer, das durch die Tuere eines Nebenzimmers erleuchtet wurde. Braka ging unverzagt in dieses zweite erhellte Zimmer, wo eine dicke, alte Frau, die in einem schoenen, gruenen, seidnen Kleide einer Platznelke glich, weil sie dasselbe hin und wieder teils mit ihrem roten Gesicht und Haenden, teils mit ihrem rotwollenen Unterrocke durchschimmern liess, vor einem kleinen Hausaltare kniete, der mit einem schoenen Bilde der Mutter Maria und vielen bunten Wachskerzen geheiligt war.

"Nun, du alter Sausack", sprach Braka, "betest du wieder, weil du viel getrunken hast und der Schluckauf dir nicht vergehen will?"

Frau Nietken, denn das war die Betende, sah sich um, winkte mit der Hand und betete ihren Rosenkranz emsig fort. Der Baernhaeuter fand sich auch zur Andacht gestimmt, er kniete nieder, auch Bella, die recht schoene Gebete wusste; aber Braka, die alle Schluessel und Gelegenheiten des Hauses kannte, nahm eine grosse Kanne schwer Bier aus einem Wandschranke und trank fuer alle.

Unterdessen war der Alraun ueber allen laecherlichen Kram im Zimmer, wo alte Tressen, Lappen, Kuechengeschirre, Leinenzeug in abgesonderten Haufen lag, so verwundert, dass er sich nicht satt daran sehen konnte; alles war ihm neu, aber er wusste sich bald alles zu deuten. Frau Nietken, die eine Troedlerin von sehr ausgebreitetem Handelsverkehr war, versammelte die seltensten Vorraete von Altertuemern aller Art; da war im Hause auch das kleinste Hausgeraet nicht in der Art zusammenhaengend und dem Hause gemaess, wie man es sonst allerorten findet; sondern aus einer sehr natuerlichen Auswahl der Leute, die sich immer das Brauchbare aus ihren Ankaeufen herausgesucht hatten, war ihr zum Gebrauche nur das Abenteuerlichste geblieben, was die Laune irgendeiner Zeit oder eines Reichen fuer einen besondern Fall geschaffen hatte. Die Stuehle zum Beispiel in der Dachkammer waren von hoelzernen Mohren getragen, ueber jedem ein bunter Sonnenschirm, sie stammten aus dem Garten eines reichen Genter Kaufmanns, der viel Geschaefte in Afrika gemacht hatte. In der Mitte des Zimmers hing eine wunderliche gedrehte Messingkrone, sie hatte sonst die aufgehobene juedische Synagoge zu Gent beleuchtet, jetzt steckte ein gewundenes buntes Wachslicht zu Ehren der Mutter Gottes darauf. Der Altar war eigentlich ein abgedankter Spieltisch, an welchem die ledernen Geldsaecke ausgerissen und eine gewesene Salzmaeste, mit Weihwasser gefuellt, eingesetzt war. An den Waenden hingen gewirkte Tapeten, welche alte Turniere darstellten, die Ritter und die eisernen Harnische hingen in Plundern herunter.

Die gute Frau Nietken, die zu ihrem Geschaeft, das sich auch gelegentlich ueber gestohlne Sachen ausbreitete, die sich in dem Hause gar leicht verstecken liessen, alles Gaunervolk der Gegend brauchte, war eine Herzensfreundin von Braka, die ihr sehr gut nach dem Maule schwatzen konnte. Kaum hatte sie ihr letztes Ave gebetet, so erhob sie sich im Verhaeltnis zu ihrem dicken Leibe mit grosser Ruestigkeit, stellte sich mit eingestemmten Armen vor Braka hin und sprach: "Nun, du alte Vettel, kannst wohl gar nicht mehr beten, hat es dir dein Herrgoettchen, der Teufel, verboten? Wann wird er dich holen? Du altes Weib, wirst ja alle Tage runzlichter. Pfui Teufel, wenn ich so aussaehe wie du, ich ginge nicht ueber Feld!"

"Du bist schoen jung", kreischte Braka, "Siehst aus wie mein alter dicker Spitz, wenn ich ihn frisch geschoren; die weissen Haare wachsen strichweis aus dem roten Gesichte heraus; hast sicher heut zuviel Pfefferwasser getrunken. Kannst du noch russisch tanzen, du tolles altes Trompetergesichte?"

"Heida, das geht noch!" trompetete Frau Nietken und tanzte zu aller Erstaunen, als wollte sie die Beine sich ausschlenkern, rutschte dann auf den Knien, klatschte an ihr Fleisch, bis alle in ein entsetzliches Gelaechter ausbrachen, und sie schwur, dass ihr alle Knochen im Leibe zerbrochen waeren, und dass sie ein Glas spanischen Wein trinken muesse.

Nun sah sie erst beim Wein die uebrigen an. Als sie Bella erblickte, sagte sie zu Braka: "Lass mir die, die soll mir zur Hand gehen; was hast du fuer Schlechtigkeit mit der im Sinn, soll dir die Geld verdienen?" Braka versicherte ihr mit recht ehrerbietiger Stimme, dies sei ihre Herrschaft.

"Wer ist denn die Kroete da?" fragte Frau Nietken weiter und wies auf Cornelius.

"Ich bin der Feldmarschall Cornelius", antwortete der Alraun, "hab sie mehr Achtung gegen mich, alter Hahnenkamm!"

"Nun", fuhr sie fort, "der muss wohl Feldmarschall bei den Unterirdischen sein; wer aber bist denn du, alter Zeiselbaer, hast ja eine Livrei, die ich kennen sollte? Ei ja, ich hab sie dem Herren von Floris fuer eine neue gebracht, die er seinem alten Bedienten im Grabe nicht goennte. Am Ende ist die zum Stehlen auch nicht zu schlecht gewesen; hast du sie aus dem Grabe geholt, du siehst darnach aus!"

Der Baernhaeuter, den sie also anredete, ohne ihr zu antworten, reichte ihr eine derbe Maulschelle, worauf das alte Weib sogleich ganz nuechtern wurde und fragte, was sie befoehlen.

Braka konnte ihr jetzt alles deutlich machen, was sie an guten Kleidern und Schmuck brauchten, und dass sie in aller Fruehe in ihrem besten Staatswagen nach Gent gefahren sein wollten, um dort irgendein mietfreies Ritterhaus zu bewohnen.

Die treffliche Frau Nietken hatte es gleich weg, dass viel bei diesem Handel zu verdienen sei; also weckte sie im Augenblicke ihre Leute und lief treppauf, treppab, um das Schoenste ihnen aufzusuchen. Arme voll Kleider warf sie ins Zimmer, da wurde ausgesucht und zwei Koffer damit gefuellt, mit Waesche konnten sie nur sparsamer versorgt werden, denn die Niederlaender verkaufen lieber ihr Kleid als ihr Hemde. Nachdem fuer den Anzug gesorgt war, sprang Frau Nietken herbei mit Kohlen und einem Brenneisen, um die Haare nach damaliger Sitte zu locken. Da half es nicht, dass Bella ihr die natuerlichen Locken ihrer Haare zeigte, die waren ihrem feinen Geschmacke nicht gut genug; es war dem armen Kinde wie eine Teufelsklaue, die sie gepackt, als sie die Haare um das heisse Eisen gewickelt ihr heiss an die Stirn drueckte. Bellas Hinterhaare waren trotz des Abschneidens noch lang genug zur damaligen Lockentracht. Bellas fuerstliches Ansehen hielt Frau Nietken in gewissen Schranken; auch Braka, als sie gewaschen und frisiert war, hatte sich veredelt, sie erschien wie eine sehr ehrwuerdige alte Hofmeisterin, denn als Mutter der schoenen Bella haette man sie wohl nicht durch den Anblick anerkennen moegen. Die Eitelkeit erwachte in Braka wie in Bella nicht schlecht, und als sie erst ihre seidnen Kleider angezogen, stolzierten beide stillschweigend vor den Spiegeln herum.

Aus dem Feldmarschall konnte Frau Nietken am wenigsten machen. Umsonst hatte sie ihm sein grobes Haar gestutzt, er war und blieb nach der ganzen zusammengedrueckten Gesichtsform, den hohen Schultern und der beengten Sprache ein Zwerg. "Hoer, Kleiner", sagte sie, "wenn du kein Zwerg bist, so bin ich keine ehrliche Frau!"

"Was", sagte Cornelius, "ich bin ein Mensch, und du nennst mich einen Zwerg? Was ist denn ein Zwerg?"

"Ich weiss es wahrhaftig nicht", sagte Frau Nietken, "aber du kamst mir vor wie ein Zwerg, ich glaub, du koenntest dich fuer Geld sehen lassen!"

"Das waere mir lieb", sagte Cornelius, "vielleicht!" und meinte in seiner geldbringenden Natur, alles was mit Gelde bezahlt wuerde, sei auch ehrenvoll, und das sei eine Artigkeit der guten Frau.

Am Morgen waren alle ausstaffiert, Cornelius wurde im Schlafrock in die schoene, vergoldete Kutsche getragen, seinen Kopf hielt die Frau von Braka, Fraeulein Braka seine Beine, der Baernhaeuter sass auf dem Bocke: so fuhren sie mit ziemlichem Herzklopfen aus, teils von der Furcht, teils von den Kleidern eingeklemmt, denn der neue Staat wollte keinem recht passen; aber freilich war er auch ziemlich zusammengetroedelt und doch so teuer, dass der Baernhaeuter ueber die Anwendung seines Schatzes heimlich geseufzt hatte. Als sie eine halbe Stunde gefahren waren, fing Cornelius heftig an zu lachen und sagte: "Die alte Katze meinte, dass sie uns recht geprellt haette, ich hab sie aber angefuehrt: in den alten Stiefeln, die sie mir angezogen hat, ist ein schoener Schmuck von kostbaren Steinen eingenaeht, wer weiss es, wie sie dazu gekommen, sie hat’s aber nicht gewusst, trennt einmal die Naht ganz zierlich mit diesem Messerchen auf."

Braka machte sich darueber, schnitt die Stulpen auf und fand die kostbarsten Diamantketten zum Halsschmuck; sie griff sich aus Vergnuegen nach alter Gewohnheit in die Haare und verdarb sich damit ihren halben Kopfputz: "Ach, wie praechtig wird mir der kleiden!" sagte sie und machte Anstalten, ihn um ihren gelben Hals zu legen. Cornelius aber verlangte, dass Bella ihn tragen sollte, und es waere darueber vielleicht zum Streit gekommen, wenn die Naehe der Stadt die Aufmerksamkeit der Alten nicht gefesselt haette. Cornelius hing der schoenen Bella die Halskette ungestoert um, die ihr kuenftig so wichtig wurde. "Seht euch doch um, ihr Kinder", rief jetzt Braka, "euch ist es was Neues und ihr achtet nicht darauf: seht den lieben Reichtum rings an der Stadt, die Frachtwagen ziehen so breit, dass wir ihnen kaum ausweichen koennen." Aber Cornelius und Bella sahen nur nach den zierlichen Reitern, die ihre Pferde tummelten; nach den Schafen, die von den Metzgern zur Schlachtbank getrieben wurden; ein Wagen voll Kaelber, die jaemmerlich aufeinanderliegend bloekten, erschreckte Bella, so auch das Laermen in den Wirtshaeusern der Vorstaedte, wo der taegliche Erwerb schon so frueh Zank und Schlaegerei erweckt hatte.

Endlich kamen sie an die Torwache; ein Buerger trat mit der Hellebarde heran und fragte, woher sie kaemen. "Aus dem Lande Hadeln!" antwortete Braka in der Verlegenheit, "ich bin Frau von Braka, dies ist meine Tochter und dies mein Neffe, der Herr von Cornelius."

"Fahr zu", rief die Schildwache, und der Kutscher brachte sie, waehrend sie zitternd triumphierten, dass ihnen von der Wache kein Einwurf gemacht worden, nach dem Hause am Markte, das Frau Nietken zu vermieten den Auftrag hatte, wo sie ohne alle besorgliche Ereignisse abstiegen und sich einrichteten.

Die ersten beiden Monate wurden darauf verwendet, ein vornehmes Wesen zu erlernen; es wurden Lehrer und Lehrerinnen angenommen, und was sich im Betragen der alten gnaedigen Frau nicht schickte, wurde immer dem Lande Hadeln zur Last gelegt, wo das Adeln noch nicht recht tief eingedrungen sei. Bella erschien bald in allen ihren Sitten der feinsten Gesellschaft gleich; sie sprach spanisch mit Fertigkeit. So verborgen sie sich hielt, war sie doch schon das Gespraech der jungen Leute, die alle Tage vor dem Hause vorueberritten, um sie zu sehen und ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Herr Cornelius befand sich am schlechtesten bei seinem neuen Stande, die enge Kleidung wollte ihm gar nicht behagen, und das Fechtenlernen machte ihn zum Umsinken muede. Auf der Reitbahn konnte er es mit allem grimmigen Gesichterschneiden durchaus nicht vermeiden, dass nicht ueber ihn als ueber ein Wundertier gelacht wurde, die zahmsten Pferde wurden bei seiner ewigen Unruhe wild und warfen ihn herunter. Er aber war nicht abzuschrecken, er stieg gleich wieder auf, und das wiederholte sich oft zehnmal in einer Stunde, kein andrer Mensch haette diese Stoesse aushalten koennen. Gluecklicher war er in seiner uebrigen Ausbildung; seinen Lehrer der Rhetorik beschaemte er oft mit seiner Beredsamkeit und aergerte ihn mit seinen Spaessen. Er konnte den meisten Leuten in ihrer Sprache geschickt nachreden, hatte aber keine eigne Sprache; dennoch machte ihm sein boshafter Wille, der manches Versteckte mit ahndendem Auge auffassen konnte, eine Menge Bekannte, die ihn in Schutz nahmen und alle Leute auf den Fuss mit ihm setzten, dass dem Kleinen nichts uebel zu nehmen sei; ihm wurde jede Stadtgeschichte vorgetragen, und er musste sie vermehren und mit Einfaellen spicken, so wurde sie weiter in Umlauf gesetzt, dass eine Art von Reibung in der Stadt entstand, die endlich auch den Erzherzog beruehrte. Der Erzherzog hatte die Nachricht bekommen, dass er wegen eines im Briefe an seinen Grossvater Ferdinand ausgelassenen Titels von demselben enterbt worden sei, als er eben aergerlich nach Hause kam, weil er ein tragendes Reh, das er fuer einen Rehbock angesehen, geschossen hatte. Beide Ereignisse hatte der kleine Cornelius gleich in Verbindung gesetzt und bat einen Pagen, er moechte dem Erzherzog raten, statt beim Grossvater lieber im Walde einen Bock zu schiessen.

Der Erzherzog erfuhr die Worte, und da er leichten Blutes war, so musste der Edelknabe den Spoetter zum Essen laden. Der kleine Cornelius trat innerlich mit einem Beben, aber um so frecher und unverschaemter ins Zimmer; Karl war in der Bluete seines Lebens, und sein Mitleid beschwichtigte den laecherlichen Eindruck, den ihm der kleine stramme Kerl machte. Karl fragte ihn ueber sein Land aus, der Kleine war unerschoepflich in laecherlichen Beschreibungen von den Bauern im Lande Hadeln, und jedermann haette geschworen, es sei wahr. Ueber das ihm reichlich wie Zuckerwerk zugeworfene Lob stieg ihm der Mut immer mehr in der Eitelkeit, wie ein Tauchermaennlein, wenn der Druck der grossen Hand ueber ihm nachlaesst; er fing an von seinem Zweikampfe zu prahlen, den er zur Ehre seiner Damen gegen zwei fremde Ritter bestanden, die er toedlich verwundet haette, wobei er aber selbst an der Brust durchstossen, so dass er halbtot nach Gent gefahren sei. Als einige nach dem Wundarzte fragten, der ihn behandelt, und seiner Zuversicht mit zweifelndem Blick begegneten, riss er sich die Weste auf und zeigte seine eingekerbte Wurzelhaut, die jedermann fuer vernarbt ansah. Nach diesem Hauptschlag ruehmte er seine Reichtuemer und seine Familie; die Tante Braka wurde eine so altadelige herrliche Hofdame, voll Erfahrung und Charakter, Herzensguete, Zartgefuehl und feiner Lebensart, wie Gent noch keine aufzuweisen haette. Bellas Schoenheit uebertraf nach seiner Beschreibung die Helena; dabei erzaehlte er von ihrer Unschuld eine Menge Anekdoten, die allerdings wahr waren, die ihm aber niemand glauben wollte, weil sie ihre wunderliche Erziehung und Natur haetten kennen muessen. Zuletzt gab er zu verstehen, dass er sie heiraten werde. Der Erzherzog bekam einen eignen Anfall von Sehnsucht nach ihr, wie er aber schon frueh sich zu verbergen wusste, so suchte er nur durch Spott den Kleinen dahin zu bringen, dass er einmal oeffentlich mit seiner Braut erschiene, und dazu schlug er ihm die naechste Kirmes in Buik vor, die von allen vornehmen und geringen Gentern gleich zahlreich besucht werde. Der Kleine liess sich fangen und gab das Haus der Frau Nietken an, wo er mit den Seinen erscheinen wollte. Nach dieser Verabredung gingen sie auseinander, aber der Erzherzog, der noch kein Maedchen naeher kennen gelernt hatte und die meisten nicht der Muehe wert gehalten, empfand ein solches unwiderstehliches Vorgefuehl, dass er auch ohne Bellas taeglich herrlicher sich entfaltenden Schoenheit sich wahrscheinlich in ihr unschuldiges und heimliches Wesen verliebt haette. Er sprach mit Cenrio, der sein Vertrauen durch Aufopferung seiner Pflicht oft schon bei unbedeutenderem Anlass erkauft hatte, wie sie der strengen Aufsicht des Adrian von Utrecht, des Oberhofmeisters, entgehen koennten. Cenrio versprach ein altes Buch mit einem falschen Titel einzurichten, dass Adrian glauben koenne, es sei ein ihm unbekannter Anhang zu den Sentenzen des Petrus Lombardus, ueber die er einen Kommentar schrieb, das solle bei Frau Nietken zum Verkauf liegen, und so werde er sich gleich darueber machen, es zu durchlaufen, und liesse sie laufen, wohin ihr Lusten sie treibe. Der Erzherzog war des Vorschlags sehr froh. Nichts schmeichelt einem jungen Fuersten mehr, als in der Befriedigung seiner Leidenschaft die Klugheit laecherlich zu machen, und nichts verdirbt schneller.

Als die Begeisterung des Wurzelmaennchens ueber alle Ehre, die er beim Erzherzog genossen, etwas nachgelassen mit dem Weindunste, der seinen kleinen Kopf eingenommen hatte, so gingen ihm alle einzelnen Reden hindurch, die er mit ihm gefuehrt, dass er sich als Braeutigam ausgegeben, dass er Bella auf der Kirmes ihm zeigen wollte. In eitlem Vergnuegen rieb er sich die Haende und konnte sich nicht enthalten, alles dem alten Baernhaeuter zu sagen, der wie alle Bedienten klug genug war, so dumm er in seinem Dienste sein mochte, seinem Herren den Kutzen zu streichen, aus welchem ihm schon manches Trinkgeld gefallen. Dies vollendete, wozu der Kleine aus Nachahmerei seiner Bekannten schon vorgereift, eine feste Ueberzeugung in ihm, er sei in Bella verliebt, und bei der vielen Zaertlichkeit, die sie aus einer Art muetterlichen Gefuehls ihm bezeugte, glaubte er in ihr ein gleiches Gefuehl voraussetzen zu duerfen und hielt seinen Vorteil fuer so gewiss, dass er nicht einmal die ahndenden Augen auf sie zu werfen noetig fand, um zu unterscheiden, wie sich alles in ihr verwandelt hatte, wie sie nicht bloss mit ihren Augen die Fruehlingssonne, sondern auch mit ihrem Herzen die Liebe gesucht habe. Er kannte nicht die Macht des Fruehlings, der aus dem Himmel in alle Fenster ruft: "Ihr Maedchen schaut euch um nach einem, der mir gleicht."

Auch Bella hatte die Fruehlingsstimme gehoert und lief unzaehligemal von ihrer Arbeit ans Fenster, und so kam es, dass seit ein paar Tagen mit ihr eine so gerechte und natuerliche Veraenderung vorgegangen war. Sie hatte in der Abwesenheit des Kleinen, der die Zimmer nach der Strasse bewohnte, einmal gerade zu der Stunde durch die Teppiche der dichtverhaengten Fenster nur mit einem Auge gesehen, als der Erzherzog mit seinem Gefolge vorbeiritt, aber ein Schlag, maechtig wie jener, der sie auf dem Galgenberge betaeubte, doch ohne jenes Schrecken, hatte ihre Erinnerung aufgeklaert, und wie das goldne Vlies an einer starken, unaufloeslichen Kette um seinen Hals hing, so war sie an seinen Blicken haengen geblieben, das sanfte, liebe Lamm, mit ganzer Seele; und das alles, was sie vor dem Zauberschlage am Galgenberge in ihrer Seele fuer ihn gefuehlt hatte, das war in der Einwirkung seiner hellen Augen ihr wieder ganz gegenwaertig geworden. Ja, als er vorbei war, schlug sie die Haende ueber den Kopf zusammen und weinte so heftig, weil ihr alles verhasst war, was sie erlebt, was sie umgab, dass Braka herbeieilte und lange kein Wort ihr entlocken konnte und endlich selbst mit ihrem Troste in ein geselliges Heulen ausartete. Bella musste sich einem in der Welt vertrauen, sie bekannte ihr endlich, wer ihr wieder erschienen, wie verhasst ihr nun dieses Lernen im Stadtleben sei, wie froh sie jetzt im kleinen Hause vor der Stadt an den Bodenfenstern Fruehling und Sommer in Naehe und Ferne ueberschauen koenne, der jetzt kaum in einzelnen Baumspitzen und abgebrochenen Blumenstraeussen zu ihnen dringe. "Mutter", seufzte sie, "wie moechte ich still ungestoert in einsamen Naechten durch die Fluren schauen und beten."

Als Braka das gehoert, schlug sie lustig in beide Haende und sprach: "Sieh, verstehst du nun, was ich dir im Garten sagte, ehe wir nach Buik gingen? Nun, wenn’s weiter nichts ist, da will ich dir schon Mittel schaffen, die dir besser helfen als Seufzen und Beten. Du sollst ihn haben, du musst ihn haben, denn sieh, liebes Kind, das ist schon lange mein versteckter Plan mit dir, den auch die Oberhaeupter unsres Volks billigen. Du musst von diesem kuenftigen Erben der halben Welt ein Kind bekommen, das durch die Liebe seines maechtigen Vaters den zerstreuten Ueberbleib deines Volkes in Europa sammelt und in die heiligen Wohnplaetze unseres Aegypterlandes zurueckfuehrt. Also weine nicht, das macht dir die Augen truebe, ich will ja nichts andres, als was dir lieb ist."

"Aber wie soll ich von ihm ein Kind kriegen?" fragte Bella. "Wird er es mir gleich ohne Umstaende aus dem Brunnen holen, von dem mir der Vater erzaehlte, wo eines immer muss die Leiter halten, waehrend das andre heruntersteigt?"

"Liebes Kind", sagte Braka mit verschmitzter Bosheit, "wenn du mit ihm allein bist, musst du ihn recht dringend darum bitten; wenn er gerade in recht gnaediger Stimmung, so gewaehrt er es dir vielleicht im Augenblicke, und du wirst immer stark genug sein, ihm dabei die Leiter zu halten!"

"Ach, mein Karl ist gewiss gut, das sagte mir sein Auge, seine Stirn, als er im Vorbeireiten das Barett vor einem alten einbeinigen Kriegsknecht abnahm, er tut’s mir gewiss zu Gefallen", rief Bella, "wir wollen es ihm durch den Kleinen sagen lassen."

"Um unsrer lieben Jungfrau harte Haut am Fusse bitte ich dich", sprach Braka und hielt ihr den Mund, "sage dem kein Wort, denn sieh, der wuerde es dir in seiner Bosheit nicht vergeben, dass du dich bisher stelltest, als sei er dein Schatz."

"Mein Schatz, nein, das war er nie", sagte Bella, "aber er war mir bis zu dieser Stunde lieb; jetzt wollte ich, wir haetten ihn oben stehen lassen beim Meerrettich, er scheint mir jetzt recht unmenschlich, ich weiss nicht, warum?"

"Nun, Kind", fuhr Braka fort, "darin kann ich dir nicht unrecht geben; ich hab mich lange gewundert, wie du so schmeichelnd zuweilen den garstigen Kniehoch auf deinen Knien reiten liessest, waehrend er dir alles gebrannte Herzeleid antat, deine Zeichenbuecher zu Papierknallen zerriss, Suppe auf deine Kleider schuettete. Aber sei klug, folge mir, lass dir nichts merken, wenn ich ihm die verfluchten Augen hinten einmal packen kann, reiss ich sie ihm aus, dass er das nicht entdeckt. Er muss uns Geld und Gelegenheit schaffen, dass wir den Erzherzog sehen; schmeichle ihm recht, dass du ihn liebst."

"Aber ist das nicht unrecht?" fragte Bella.

"Wie dumm", rief Braka, "wenn es ein Mensch waere, ei nun, aber eine alte Wurzel, was kann man da fuer Unrecht tun, eine andre wird mir nichts, dir nichts klein geschnitten und gekocht; Ehre genug fuer diese, dass wir mit ihr wie mit einer Puppe zuweilen umgehen. Nun weiss ich wohl, es wird uns nicht leicht werden, seiner los zu werden, aber da hab ich mein Plaenchen mit dem Baernhaeuter, der ist des Dienens zum Verzweifeln satt und muede und moechte sich gern wieder zu Grabe legen, der mag ihn mit dem Schatze nehmen. Hat dich der Erzherzog lieb, so brauchen wir keine solche Schaetze, der wird uns nicht Hungers sterben lassen."

Bella, in ihrer Ungeduld nach dem Erzherzoge, ging alles ein, sie wollte sich gegen den Kleinen zaertlich stellen, und sie hatte in den naechsten Tagen schon Gelegenheit dazu, als er von dem Erzherzoge heimgekehrt war und ihr zum erstenmal von der Zukunft redete, wie sie sich in Gent vermaehlen und niederlassen wollten. Braka war gegenwaertig und fragte ihn listig, wie es denn mit seinem Kriegshandwerk jetzt stehe, ob er bald General oder Korporal sein wuerde.

Er laechelte selbstzufrieden und gab zu verstehen: seine Anstellung sei ziemlich unfehlbar, er vermochte alles ueber den Erzherzog; dann erzaehlte er ihnen, wie er mit diesem eine Zusammenkunft in Buik zur Kirmes verabredet haette, sie moechten sich doch bei Frau Nietken einige artige Zimmer bestellen.

Braka war heimlich erfreut, wandte aber scheinbar ein, dass die Frau sie kenne und sie verraten moechte, doch freilich sei dies in Gent ebenso moeglich, und mit Geld liesse sie sich leicht in ihr Interesse ziehen. Die Lustfahrt wurde also beschlossen und gleich die Schneiderinnen zu einem rechten Feststaate in Bewegung gesetzt; es entstand ein Geschicke nach allen Seiten, dass selbst der arme Baernhaeuter, trotz seiner kalten Leichennatur, schwitzen musste. Dieser gute Kerl tat wirklich alles, was man nur von einem lebenden Menschen erwarten konnte, dabei ass er aber so gewaltig, dass seine irdische Natur ein frisches Leben gewann und er sich immer mehr ueberzeugte, er werde sie nicht mehr so geruhig zu Grabe bringen, wie sie sonst darin gelegen, auch erhob sich zuweilen ein solcher Streit zwischen dem lebenden und verstorbenen Koerper in ihm, dass es ihm ueber der ganzen Haut zuckte und juckte. Ebensolcher Zwiespalt war in seiner Meinung von der Herrschaft: sein verstorbener Leib rechnete sich zu Herren Cornelius, sein neulebender war ganz der Frau Braka und der schoenen Bella ergeben und achtete den Herren nicht mehr als einen Glueckspilz. Wie nun die eine oder die andre dieser Seiten hervortritt, werden wir ihn bald fuer den einen, bald fuer den andern taetig sehen; doch verriet er keinen dem andern.

Alles war endlich zur Fahrt bereit. Der Wagen hatte dreifach bezahlt werden muessen, solch eine Menge Leute, die sonst im stillen Gewerbe lebten, hatten diesen Tag zum Auslueften sich erwaehlt. Da traten so viele verlegne Kleider ans Licht, da laermten die Kinder so frueh im Hause; aber nur die wenigsten konnten sich der Bequemlichkeit eines Wagens erfreuen, die meisten mussten sich in langen Reihen einen Weg durch das Korn draengen, um nicht im Staube des Fuhrweges zu ersticken; doch zogen andre diesen vor, weil viele die reichen, geputzten Kaufleute und den Adel nicht frueh genug zu sehen meinten, wenn sie dort alle versammelt waeren, sondern sie einzeln auf dem Wege dahin zu mustern wuenschten. Insbesondere war aber die Schaulust durch die allgemein verbreitete Nachricht gespannt worden, dass selbst der Erzherzog im grossen Staate des Vliesordens mit allen seinen Edelknaben und allen Rittern die Lustbarkeit der Buiker Kirmes mit seiner Gegenwart beehren werde, eine Herablassung, die ohne Beispiel war und die Vorsteher des Orts zu der gewaltigsten Anstrengung an Reden und Ordnungsgesetzen, Ehrenpforten und Blumenopfern begeistert hatte. Von einem sichtbaren Punkte zum andern waren Bauern mit Fahnen ausgestellt, durch deren Wink der Ausritt des Erzherzogs kundgetan werden konnte; bei jeder Fahne hatte sich ein Haufe Wanderer gesammelt. Dieser Prinz, der weniger mit dem Feste als mit seiner Liebe beschaeftigt sein wollte, taeuschte aber die allgemeine Neugierde, indem er sich ganz einsam mit Cenrio und Adrian in einer bedeckten Gondel einschiffte, um unmittelbar am Hause der Frau Nietken, wo Cenrio ihnen Zimmer bestellt hatte, abzutreten. Unterweges nahm er zum erstenmal einigen willigen Unterricht in der Dialektik bei Adrian, dem es eine Freude war, als der Prinz den Schluss erfunden hatte: Alle junge Maenner sind verliebt, Cajus ist ein junger Mann, also ist Cajus verliebt. Der genannte Cajus war aber unser Erzherzog selbst, der dabei heimlich mit Cenrio lachte. Der Erzherzog war in den blossen Gedanken an die schoene Unbekannte, die er an dem Tage sehen sollte, so verliebt, dass es ihm wie eine Ueberfahrt auf dem langsamen Styx zu einem neuen Leben schien, wo alles freier, wunderbarer, lieblicher und schrecklicher ihm erscheinen sollte. Adrian dachte heimlich an das Buch des Petrus Lombardus, wovon ihm Cenrio erzaehlt, dass er es bei einer Troedlerin gesehen, Cenrio an die kuenftige Gunst, die seiner warte, wenn der Erzherzog zur Regierung gekommen.

In solchen Gedanken landeten sie im Hofe von Frau Nietken, die, ungeachtet sie von Cenrio wohl unterrichtet war, doch sich stellte, als kennte sie ihre hohen Gaeste nicht, und es bedauerte, dass ein paar Familien aus Gent ihr Haus in Beschlag genommen haetten. Adrian fragte, ob sie nicht in der Bibliothek unterkommen koennten, aber Frau Nietken lachte, dass ihr der Kader schwoll, sie haette nur ein paar alte, wurmstichige Schwarten, die laegen in einer Bodenkammer, wo sich knapp ein Mensch umdrehen koennte. Adrian liess nicht nach, bis sie dahin gefuehrt wurden; erst dort sagte er ihr, dass ihrem Hause die Gnade heut geworden sei, den Erzherzog zu beherbergen, die Familien aus Gent wuerden wohl aus Achtung gegen ihn ein paar Zimmer nach der Strasse frei machen. Das dicke Weib schien beinahe in die Knie zu fallen aus Verwunderung und Demut, kuesste die Zipfel der erzherzoglichen Feldbinde und eilte in das Zimmer der Frau von Braka, um ihr anzuzeigen, dass der Erzherzog gekommen, dass sie ihm die benachbarten Zimmer einraeumen und die Tueren offen lassen wolle.

Der Kleine war in der Zwischenzeit mit dem Baernhaeuter schon auf den Jubelplatz in der Mitte des Orts gegangen, um den Erzherzog zu erwarten, von dem er sich recht viel Ehre versprach. Zu seinem Leid musste er dessen Abwesenheit von Edelknaben des Prinzen erfahren, die vor dem Rathause, dessen prachtvoller alter Bau mit grossen Fenstern und Tuermen der einzige Rest von der ehemaligen Groesse des Ortes war, alle Reden der Gemeindevorsteher, die auf den Prinzen berechnet waren, abhoerten. Er wollte gleich nach Hause, um die fehlgeschlagene Erwartung mit dem Prinzen seinen Frauen anzukuendigen; aber ein paar Vertraute Cenrios, die ihn auch kannten, nahmen ihn beiseite und sprachen ihm vor, warum er sich jetzt keine ansehnliche Stelle unter dem neuerrichteten Faehnlein vom Prinzen erbitte, den er so gut kenne und der ihm so gewogen. Der Kleine wurde ganz heiss vor eitler Lust bei diesem erwuenschten Vortrage, der seinen Lieblingsgedanken zutage foerderte, er liess sich wohlgefaellig mit den beiden in ein Gespraech ein, und als sie ihn auf ein Glas Wein in ein nahgelegenes Haus noetigten, schickte er den treuen Baernhaeuter an seine Frauen mit der Nachricht zurueck, dass sie den Erzherzog nicht unnuetz erwarten moechten, er sei ausgeblieben, einige wichtige Geschaefte hielten ihn mit Edelleuten des Hofes zurueck, nachher wollte er ihnen die Zeit vertreiben. Die Zeit verging dem Kleinen sehr schnell, denn ausser den schmeichelnden Freunden und dem guten Weine wirkte auf ihn der Rausch einer unendlichen Volksmenge, die sich mit Leib und Seele diesen drei lustigen Tagen aufopfern wollte und deswegen auch nicht die kleinste Zeit in dem angefangenen Werke zu verlieren strebte. Welche Vorraete an Fleisch, Kuchen und Brot wurden da teils von den Ankommenden ausgepackt, teils aus den Wirtshaeusern geholt; es war ein Fruehstueck, wie sonst ein erstes Mittagsbrot nach dem Fasten, und sicher waere den Heisshungrigen mancher der ungeheuren Bissen im Halse stecken geblieben, wenn sie nicht eine kuenstliche Schleuseneinrichtung mit Wein und Bier gemacht haetten, wodurch alles gluecklich an seinen Ort hinuntergeschwemmt wurde. Die Niederlaender verstehen so etwas vortrefflich, und die Staedter waren in dieser Zeit so uebermaechtig reich durch Handel und Wandel mit aller Welt, dass ihnen alles einlaendische, unmittelbare Landeserzeugnis fast unbedeutend wenig kostete. Einem Reichen war es eine Kleinigkeit, Tausende durch Wohltaten zu saettigen, darum gab es eigentlich keine Notleidende in den Staedten und nur Bettler, die in dem muessigen Leben ihre Freude fanden. Aber auch diese entzogen sich zu solchen oeffentlichen Festen ihren Lumpen und trieben als Schauspieler in Koenigstracht ihren Mutwillen vor der Welt, deren Mitleid sie sonst anflehten. Einige Faesser, die mit Brettern ueberlegt waren, dienten ihnen zum Theater, ein Platzknecht, ein langes, ausgestopftes Kissen an der Peitsche, hieb auf die Kinder, die in ihrer Neugierde an das Theater heranklettern wollten; zugleich hatte er eine Schellenkappe mit Eselsohren auf dem Kopfe, sprach als Narr im Stuecke und mit den Zuschauern. Unser Kleiner war ganz entzueckt von dem Schauspiele. Die Geschichte des Menschen, der, von seiner Frau in einen Hund verwandelt, soviel vergebliche Versuche macht, sich den Leuten als ein vernuenftiger Mensch zu beweisen, zog ihn so an, dass er so nahe kletterte, bis ihm der Platzknecht einen derben Schlag ueber den Ruecken zog. Unser Kleiner glaubte sich vor den Augen aller Welt grimmig beschimpft, er zog seinen Degen und ging gegen den Schalksnarren an, der sich sehr laecherlich mit seiner ausgestopften Wurst gegen ihn verteidigte; alles schrie vor Vergnuegen. Viele, weil sie den Spass zwischen dem kleinen und dem grossen Manne fuer eine verabredete Posse hielten, munterten beide auf; die Kinder kletterten auf die Schultern der Erwachsenen, andre stiegen auf Tische und auf die eisernen Stangen zwischen den Bogen des Rathauses, auf die Baeume, woran sie wie seltsame Fruechte hingen. Die beiden Edelleute sahen diesem Ritterzug ihres Schutzempfohlnen eine Zeitlang mit ungemeiner Freude zu, als er aber dem Narren ein kleines Loch in die Wade mit seinem Degen gestochen, da fuerchteten sie fuer ihn, denn die Zuhoerer waren mit dieser Stoerung gar nicht mehr zufrieden, und ein Bauer sprach schon davon, ihm Nase und Ohren abschneiden zu wollen. Sie griffen ihn deswegen, steckten ihn unter ihre Maentel und trugen ihn, so heftig er sich straeuben mochte, in das erste beste Haus, was sich ihnen oeffnete. Der Zufall wollte, dass es das Haus der guten Frau Nietken war, die wegen einer Zahl feiler Stadtjungfern, die ein paar Zimmer gemietet hatten, diese Tuere stets offen lassen musste, damit die Menschen so unbemerkt wie moeglich einschluepfen konnten. Welch eine Freude dieser Jungfern ueber die beiden schoenen Edelleute und ueber den kleinen Zwerg, denn so nannten sie ihn, bis er grimmig auf sie einging und sich als einen jungen Offizier ihnen kund gab. Es gab tausend Spass mit ihm, wir wollen ihn nicht wiederholen; aber der Mutwille der Edelleute, die Frechheit der Weiber und der Hochmut des Kleinen trieb sich wie Kreisel und Peitsche, und wurde der Kleine ungeduldig und wollte ausreissen, da schrien ein paar, als staende der Narr mit den Bauern noch vor der Tuere und wollte ihm die Ohren abschneiden.

Wie benutzten diese Zeit die Verliebten? Der Erzherzog hatte kaum sein Zimmer betreten, so horchte er an der Tuere und merkte, dass die beiden Frauen im Nebenzimmer waeren; er bat Cenrio, ihm einen Bohrer zu verschaffen. Dieser holte in aller Eile den Anbrechbohrer eines Weinkuepers, der im Hofe ein Ohmfass abgezogen hatte: das ging vortrefflich; ganz leise konnte er durch die Tuere dringen, bis der erste feine Punkt der Spitze hindurch sah, waehrend sein Auge sich in die breite Hoehlung einlegen konnte. Schade war’s, dass die Muehe unnuetz, denn die Tuere war seinetwegen offen gelassen. Wie pochte sein Herz, und er wusste doch nichts davon, als er nun zum erstenmal hindurchblickte, und wie fuhr er zurueck und fuehlte sich an den Kopf, als ihm das verschoenerte Bild desselben Geistes, der ihn damals im Landhause geneckt hatte, vorueberschwebte. "Cenrio", sagte er, "Wir sind in den Haenden von wunderbaren Geistern, wir glaubten mit ihnen zu spielen, und sie spielen mit uns; ich moechte fliehen, aber ich kann nicht, sie ist zu schoen!"

Cenrio war verwirrt.

"Es ist derselbe Geist, der mich schon damals im Anfange des Winters im Landhause verjagte, aber er ist menschlich gewachsen, und ich widerstehe ihm nicht mehr; schaff Rat, wie ich sie sprechen kann, ich koennte ihr jetzt alles sagen."

"Ich hab es wohl gedacht ", sprach Cenrio, "zum Glueck koennen wir frei schalten mit der Zeit; Adrian sitzt eben in der hitzigsten Arbeit, um zu beweisen, dass der von mir geschmiedete Anhang zum Lombardus nicht echt sei; zum Ueberfluss habe ich noch die Tuere seines Vorzimmers zugeschlossen, so dass er uns nicht ueberraschen kann. Nun will ich Euch, mein Prinz, meinen Vorschlag sagen: das junge Maedchen leidet an Kopfweh, Ihr muesst den Arzt vorstellen, so seid Ihr allein bei ihr, und die Worte werden sich im Pulsfuehlen schon finden."

Wirklich war Bella durch die Vorbereitungen zur Fahrt, durch die schlaflose Nacht und die Hitze unwohl geworden, und Frau Nietken hatte eigentlich diese Erfindung gemacht, die beiden Sehnsuechtigen zusammen zu bringen. Der Erzherzog hatte sehr bald einen grossen, schwarzen Doktormantel und darueber Aderlasskram, Pflasterzeug und Klistierspritze gehaengt, so trat er zagend in das Zimmer, von Frau Nietken gefuehrt, die ihn fuer einen spanischen Doktor ausgab. Bella erkannte ihn beim ersten Blicke, und Neigung und Beschaemung drueckten sie ebenso nieder, wie Braka die Einwirkung der fuerstlichen Gegenwart; jene verbarg ihr Angesicht im Schleier, diese schluepfte mit einer tiefen Verbeugung in ein Nebenzimmer. Die beiden Liebenden waren nun allein, und alles konnte sich schnell und gluecklich erklaeren und entscheiden; der Erzherzog, welcher aber mit keinem Maedchen vertraulich geworden, brachte kein andres Wort als Pulsfuehlen heraus, "Pulsfuehlen" wiederholte er, "Pulsfuehlen" sagte er zum drittenmal. Bella reichte ihm den weissen, runden Arm, er fuehlte an einer Fingerspitze, dann spielte er mit dieser, wollte wieder etwas sagen, wahrscheinlich von der Erscheinung in dem Landhause, brachte aber nichts heraus als: "Geist, Geist gesehen"; dabei schob er ihr einen Ring an den Finger, welches wir als den Triumph seiner Ueberlegung ansehen muessen. Hier endete sein ruhiges Glueck, denn mit grossem Gepolter brach der verfluchte kleine Wurzelmann, der sich bei den Maedchen bespitzt hatte und der Aufsicht der Offiziere entflohen war, ins Zimmer, sprach verwirrt von seinem kuenftigen Regiment und erkannte nicht Bella, die auf dem Sofa lag. Der Erzherzog bekam aber im Augenblicke seine ganze Fassung wieder, er bat ihn, dass er eine Kranke nicht stoeren moechte, insbesondre da sein Aussehen verriete, er werde nicht lange mehr zu den Lebendigen gehoeren. Der Kleine stutzte, die Edelleute traten herein und bestaetigten ihm, er sei sehr veraendert und muesse wohl von der Pest angesteckt sein, weil er sich heute unter so mancherlei Leuten umhergetrieben habe. Bei dieser Vermutung wurde er ganz hinfaellig, die Kraft des Weines und seine Beine wollten ihn nicht mehr halten; der Erzherzog warf ihm geschickt ein grosses Pflaster, das er in seinem Doktorapparate fand, ueber das Gesicht; der Kleine behauptete, ihm werde ganz dunkel vor den Augen. Die Edelleute versprachen ihm in geheucheltem Mitleiden, ihn nach Hause zu tragen, denn bis jetzt hatte er weder das Zimmer noch seine Geliebte erkannt, und schleppten ihn wirklich aus dem Zimmer.

Braka war in der Zeit auf der Folter gespannt gewesen. Die Liebe des Erzherzogs hatte sich noch nicht erklaert und seine Freigebigkeit war nicht so weltkundig, im Gegenteil hatte sie von Frau Nietken erfahren, dass er etwas im Rufe der Knauserei stehe; der Alraun dagegen konnte so viel Schaetze entdecken, als irgend in der Welt verborgen waeren, er kuemmerte sich durchaus nicht, wie das Geld verwendet wuerde, solange es ihm selbst nicht fehlte. Stoerten die beiden Liebhaber einander gegenseitig, so entgingen ihr vielleicht alle Hoffnungen fuer die Bequemlichkeit ihres kuenftigen Lebens, und die grossen Absichten fuer ihr Volk wurden auch nicht erfuellt. Der Erzherzog war jetzt wieder allein mit Bella, er hatte mehr Mut gewonnen, sie aber war besorgt und erzuernt, wie es ihrem Kleinen gehen moechte; sie aeusserte das, und er nahm es nicht ohne eine kleine Eifersucht auf. Er fragte mit einem gewissen Stolze, ob es ihr Braeutigam wirklich sei, und verlor in Erwartung ihrer zoegernden Antwort so gaenzlich alle Haltung, dass er seine vergebliche Doktorrolle aufgab und sich ihr als Erzherzog darstellte. Sie konnte sich zu wenig verstellen, um sich darueber zu verwundern, und so waren sie miteinander in einem Vertrauen, ehe sie einander etwas vertraut hatten. Endlich sagte Bella, dass die Vermaehlung mit ihrem Vetter nur ihrer Mutter, nicht ihr Wille sei. Der Erzherzog beschwor sie jetzt, dem Willen ihrer Mutter nicht so gaenzlich nachzugeben, dass sie Lebensglueck und Schoenheit der Trauer einer ungluecklichen Verbindung hingebe; von seiner Liebe schwieg er. Bella stotterte, wie es ihr vorgeschrieben war, dass ihr Vermoegen ganz in der Gewalt dieses reichen Vetters sei, dass sie dem Wunsche ihrer Verwandten sich ergeben muesse, insbesondre da sie niemand in der Welt kenne, der sie gegen den Zwang derselben schuetzen moechte. Der Erzherzog versicherte ihr jetzt, dass jede Kraenkung, die sie erfahren wuerde, unerbittlich von ihm bestraft und geraecht werden sollte. Diese Worte fuehrten eine Liebeserklaerung herbei, die nicht nur die beiden Verklaerten, sondern auch die horchende Braka von einer schweren Last befreite. Wie schwer fiel es aber ploetzlich auf das Herz der Alten, als Bella, die von der Liebe zum Erzherzog durchdrungen, jede Falschheit verfluchte, ihm zu Fuessen fiel und ihn bei seiner Liebe beschwor, sie nicht zu verachten, wenn sie ihn betrogen, sie sei nicht, wofuer sie sich ausgegeben, die Tochter ihrer Begleiterin, sie sei die Tochter—hier erstickte die Stimme in einem Traenenstrom. Einer der Edelleute, die den Kleinen begleitet hatten, trat herein und meldete dem Erzherzog, er moechte sich in sein Zimmer zurueckziehen, der Kleine lasse sich nicht mehr halten; sie fuehrten ihn durch Umwege in dasselbe Haus zurueck, woraus sie ihn fortgefuehrt, er halte sich fuer todkrank. Der Erzherzog sprang fort, entruestet, in seiner ersten Neigung betrogen zu sein. Bella ging in das Nebenzimmer, weil es in ihrem Gemuete noch von den Blaettern nachregnete, nachdem der erste Gewitterschauer verzogen.

Der Kleine liess sich die Treppe vom Baernhaeuter hinauftragen, der aengstlich nach der gnaedigen Frau rief, weil er das Ende seines guten Dienstes fuerchtete. Als Braka kam, rief der Kleine ihr mit schwacher Stimme entgegen, er sei von der Pest so schwach, dass er auf seinen Fuessen nicht mehr zu stehen vermoege, alles gehe mit ihm herum, er sehe gar nichts mehr, und seinen Gedanken hinke er mit der Zunge so weit nach, dass er es fast aus den Augen verloren, was er eben sagen wolle. Braka stellte sich sehr mitleidig und erschrocken; Bella hatte bei seiner sichtbaren Blaesse einiges Bedauern.

"Ach", seufzte der Kleine, "wenn ich nur den Doktor festgehalten haette, der mir die Pest gleich angesehen, vielleicht weiss er auch ein Mittel dagegen."

"O", sprach Braka, "die Pest habe ich oft schon kuriert, ich lege ein Kraut in lauwarmes Wasser, und davon trinkst du alle fuenf Minuten eine Tasse, so wird alles gluecklich voruebergehen."

"Schnell, schnell", sprach er und versank in einen dumpfen Rausch, waehrenddessen ihn der Baernhaeuter auszog und auf den Sofa legte, mit Decken wohl verhuellt. Braka floesste ihm von Zeit zu Zeit eine Tasse heisses Fenchelwasser ein, wie die kleinen Kinder zu bekommen pflegen. Entsetzliche Uebelkeiten erweckten ihn, endlich erleichterte sich die Natur von dem Ueberflusse des Weines, womit die Ehre des Zutrinkens sie ueberfuellt hatte; schluchzend und stoehnend sprach er: "Wo mag der Doktor jetzt sein, den ich im anderen Hause sah, waere der Mann nur zu finden, er koennte mir wohl noch helfen, ich habe so ein Zutrauen zu ihm, da er mir die Krankheit gleich angesehen; macht doch die Tuere auf", fuhr er fort, "es wird hier so heiss."

"Die Tuere ist verschlossen", sagte Bella, "der Erzherzog ist dort eingezogen."

"Der Erzherzog!" Bei diesem Worte sprang der Kleine, wie er war, aus dem Bette, konnte sich aber taumelnd nicht halten, sondern sank in das Waschbecken.

"Der Erzherzog ist hier, und ich kann ihn nicht um meine Hauptmannsstelle ansprechen, ich versaeume mein ganzes Glueck, wenn ich sterbe."

Der Baernhaeuter rollte ihn wieder ins Bette, aber der Kleine weinte bitterlich und jammerte nach dem Arzte, den er unterwegs gesehen. Braka entschloss sich endlich, indem sie ihm versprach, alle Sorgfalt anzuwenden, den Mann zu entdecken, zu Frau Nietken zu gehen und durch diese den Prinzen noch einmal als Arzt kommen zu lassen. Der Erzherzog zog aber sein Messer gegen diese Frau und befahl ihr mit drohender Stimme, ihm zu sagen, was sie von den Fremden wuesste, die vielleicht von einem Feinde seines Hauses zu seinem Verderben gesendet waeren. Frau Nietken liess ohne Rueckhalt alle Geheimnisse von sich gehen; sie sagte, dass Braka eine alte Zigeunerin sei, die sie lange gekannt, dass diese in einer Nacht mit der schoenen Bella und dem Kleinen zu ihr gekommen und sich nach Gent habe fahren lassen, wo sie bekanntlich viel Geld ausgegeben. ihr Kind sei Bella gewiss nicht, dafuer wolle sie stehen, ob aber das Maedchen aus einem hohen Hause, dafuer wolle sie nicht einstehen, doch sei es so ihre Philosophie. Geraubt sei das Maedchen aber nicht, denn sie habe mit der Alten zugleich befehlend und doch mit Liebe gesprochen, unter sich in einer fremden Sprache, die sie fuer franzoesisch gehalten.

Dies verwandelte die ganze Ansicht des Prinzen, erst glaubte er sich in der Falle einer Buhlerin, jetzt meinte er ernstlich, dass es die franzoesische Prinzess sein koennte, deren Heirat mit ihm von dem franzoesischen Hofe gegen den Willen seines Grossvaters betrieben wurde. Es ist bekannt, dass sein spaeteres politisches Talent in seinen frueheren Jahren, die sich ganz zur koerperlichen Ausbildung hinneigten, wenig durchschien, er hielt so manches fuer moeglich, was ein andrer bezweifelt haette, und Cenrio war eben mit Adrian zu beschaeftigt, um ihm zu raten, er nahm also die Bitte, als Arzt wieder zu erscheinen, mit einer gewissen Ehrfurcht an, welche die zitternde Frau Nietken sehr ueberraschte.

Er machte sich jetzt durch einige Zuege mit Kohle in den Augenbrauen und vor der Stirn unkenntlicher und liess sich in das Krankenzimmer fuehren. Der Kleine war entzueckt, ihn zu hoeren; der Erzherzog befragte ihn sehr ernstlich nach allen Kennzeichen. Der Kleine erzaehlte von dem wuesten Kopfschmerz, von der Uebligkeit, vom Aufstossen, von der gaenzlichen Dunkelheit seiner Augen und wie er ueber sein ganzes Gesicht einen Ausschlag spuere (seine Augen im Nacken hervorzubringen schaemte er sich vor den Leuten, auch hatte er sich ihrer in der guten Gesellschaft laengst entwoehnt; endlich sagte er, dass er sein ganzes Glueck versaeume, wenn er nicht bald hergestellt waere, weil der Erzherzog im Nebenzimmer seinetwegen angekommen sei und die Stellen im neuen Faehnlein wahrscheinlich in diesen Tagen vergebe:

"Ach, lieber Herr Doktor", rief er in seiner militaerischen Begeisterung, "wenn ich so wegstuerbe, haette mich die Welt nie in dem Glanze und der Herrlichkeit gekannt, wozu meine Abstammung und mein Mut mich berechtigen; oft kommt es mir vor, als wenn boese Zauberer der wahren Verwandlung meines Lebens entgegenstreben."

Der Erzherzog hoerte ihn geduldig an und konnte sich das alles wiederum nicht mit der fremden Prinzessin reimen, es sei denn, dass er ein von der alten Fee verzauberter Prinz sei, wie damals die Geschichten in spanischen Romanen haeufig umliefen. Dieser Gedanke, zusammengehalten mit der Erscheinung im Landhause, setzte ihn in ein gewisses Staunen, was ihn leicht haette verraten koennen, wenn der Kleine nicht allzu berauscht gewesen waere und seine ahndenden Augen haette brauchen duerfen. Endlich fasste doch der Erzherzog einen Entschluss, sagte ihm, das Mittel der gnaedigen Frau sei wohlerdacht, er muesse sich jetzt ganz mit Decken ueberspannen und einwickeln lassen, um in einer recht gewaltsamen Duenstung den Kern des Uebels auszutreiben. Vergebens seufzte der Kleine, er erschrecke vor sich selbst, als wenn er einen gluehenden Ofen anfasse; Braka warf ihm mit beredter Zunge eine Decke nach der andern ueber, band sie zusammen und entfernte sich mit dem treuen Baernhaeuter unter dem Vorwande, als ob sie dem Kleinen etwas zu seiner Erfrischung schaffen wolle. Der Erzherzog war jetzt wieder mit Bella allein, doch mussten sie aus Ruecksicht gegen den eingepackten Kranken jedes laute Wort vermeiden; auch war Bella noch sehr beschaemt, als der Erzherzog sich auf ein Knie niederliess und zu ihr sprach: "In welchem schoenen Bekenntnisse sind Sie gestoert worden, Angebetete, ich ahnde, Sie sind eines edlen Fuersten Tochter, ich ahnde alles, was Sie mir zu sagen haben, aber ich wuenschte die Gewissheit aus Ihrem Munde, die Gewissheit Ihrer Liebe, die allen Glanz Ihres Standes aufgegeben hat, um dem verhassten Zwange der Politik zu entgehen. Nichts soll uns scheiden, ich kenne meine Niederlaender, sie kennen ihre Freiheiten und werden auch meine Freiheit schuetzen, und selbst wenn die Gewalt ueber uns siegte, traegt uns das Meer zu einer neuentdeckten reicheren Welt!"

Wer koennte es Bella verdenken, die von aller Politik Europas nichts wusste, als dass der Fuerst ihr Vater in derselben nicht geachtet, sondern verfolgt worden, dass sie bestimmt glaubte, der Erzherzog habe ihre Abstammung erfahren und erwaehle sie zu seiner Gattin. Sie stand mit geruehrtem Blicke vor ihm, blickte auf und nieder und sprach dann gebrochen: sie habe sich nur einmal verstellen koennen und nimmermehr wieder, sie leugne nicht ihre Abkunft, sie leugne nicht ihre Zaertlichkeit, die er schon frueher in ihrem heimlichen Aufenthalte in ihr erweckt, die sein Anblick ihr bestaetigt habe.

Sie senkte ihr holdes Angesicht, der Erzherzog wollte eben den Rand ihrer Lippen beruehren, als der Kleine unter den Decken Bewegungen machte, entsetzlich ueber den Magen klagte und zuschwor, er muesste ersticken, ehe er kuriert sei. Der gluecklich Liebende duldet keinen Leidenden, der Erzherzog sprang hinzu und oeffnete das Gebinde, es dampfte, als wenn man die Serviette oeffnet, worin ein Pudding gekocht worden; der Erzherzog sah ihn an, schob das Pflaster leicht von dem triefenden Gesichte und versicherte, er sei schon kuriert; er eile jetzt, um ihm noch ein paar staerkende Mittel zu senden, er moechte sich inzwischen ruhig halten.

So eilte er fort, und der Kleine, dem allmaehlich der Rausch verflogen, der wieder um sich sehen konnte, lag auf dem Bette mit dem seligen Gefuehle eines vom Tode Erretteten, der sein Leben sehr lieb hat; er nahm Bellas Hand, drueckte sie und sprach, dass ihm der Gedanke des Todes darum laestig gewesen sei, weil er sie haette verlassen muessen. Er schien so sanft und zaertlich, dass Bellas alte, gleichsam muetterliche Zuneigung zu ihm nicht erlaubte, ihn zum Vertrauten ihrer neuen Liebe und ihres neuen Gluecks zu machen. Er kuesste sie, wie er gewohnt war, und der Erzherzog, der wieder an seiner Tuerwarte, an dem kuenstlich gebohrten Loche, lauerte, ergrimmte, weil er sich von neuem verraten glaubte, doppelt verraten, weil er in seiner Leichtglaeubigkeit gegen Bella unverzeihlich kindisch und gutmuetig sich erschien. Der Kleine versuchte sich jetzt auf seinen Beinen, und er konnte wieder gehen und stehen, ordnete seine Kleider und sagte Bella, sie moechte jetzt recht artig sein, er werde den Erzherzog zu ihr fuehren, und wenn dieser in recht heitrer Stimmung schiene, sollte sie um die Hauptmannsstelle fuer ihn anhalten, sie moechte aber recht schmeicheln, das Glueck seines Lebens haenge daran; auch wolle er sie dann sicher heiraten. Sie schwieg verlegen. Er vergass ueber seine kriegerischen Aussichten so ganz alle Krankheitsfurcht und alles Uebelbefinden vom Trunk, dass er wie vor tausend Mann in dem Zimmer aufund niederstolzierte und Braka zur Tuer hinaustrieb, als diese mit ihrem heissen Wasser ihm in die Quere kam. So sind die meisten kleinen Leute, das Herz ist ihnen so nahe am Kopf, dass es in den Kopf ueberkocht oder ueberdampft.

Unser Wurzelmaennlein konnte sich nicht mehr halten, er buerstete sich bald rechts, bald links; gleich wollte er dem Erzherzoge seine Aufwartung machen und fiel diesem, der in einem Anfalle der heftigsten Eifersucht Tag und Stunde verfluchte, ins Zimmer. Kaum hatte er sein Anliegen vorgebracht, so ueberhaeufte ihn der Erzherzog mit Schimpfreden, nannte ihn einen laecherlichen, kleinen Wurzelburzius, einen Dukatenmacher, ein Alraunchen, dass der Kleine in die groesste Verwunderung geriet, wie er diese seine Entstehung erfahren habe, und sich eilig davon machte, indem er verlegen ausrief: "Gnaediger Herr, woher wissen Sie das?"

Als er zurueckgekommen, sagte er nichts von diesem Empfange, nur sah es ihm Braka an seinem ganzen Wesen an, dass er gedemuetigt worden. Er sprach nur, dass er den Erzherzog nicht getroffen, dass er sich bald fort von dem Orte wuensche, wo ihm in jetziger Pestzeit jeden Augenblick eine neue Gefahr drohe; zugleich erkundigte er sich, ob der Arzt nichts gesendet. Braka, um ihren Aufenthalt zu sichern, ging selbst ueber die Strasse in den Laden eines reisenden juedischen Doktors, kaufte die staerksten Tropfen, welche manchen Sterbenden schon belebt hatten, und brachte sie dem Kleinen als etwas, das der belobte Arzt im Hause abgegeben. Kaum hatte der Kleine diese Hoellentropfen eingenommen, so kam ihm der alte Mut wieder zurueck. Er haette rasend werden moegen, dass er dem Erzherzoge nicht derb geantwortet hatte; ihm fiel so viel Beissendes ein, dass er, bloss um es ihm oder einem seines Gefolges aufzuhaengen, sich leicht bereden liess, den Tag noch im Orte zuzubringen.

Es war jetzt die Zeit des hoechsten Tumultes herangerueckt. Die Rennen auf umgesattelten Pferden, wo der Reiter einer Gans, um sie zu gewinnen, den Faden, der sie an einem Seile aufgehaengt haelt, mit der Schere abschneiden muss, hatten angefangen; das Wiehern der Pferde, das Lachen der Menge ueber die getaeuschte Zuversicht, die sich im Sande erniedrigt fand, rief alles herbei; auch unser Wurzelmaennlein fuehrte seine Damen zu diesem Schauspiele. Kaum war er dort, so verlor er aus Eifer die beiden Frauen fast ganz aus dem Gesicht, so dass Braka ihre Pflegetochter etwas ueberhoeren konnte. Bella erzaehlte ihr, dass der Erzherzog sie heiraten wolle; Braka sagte, das haette seine schlimme Seite, sie koennte darueber ins Zuchthaus kommen, aber sie moechte ihm nur dreist und ohne Umschweife zu verstehen geben, dass sie ein Kind von ihm haben moechte, dass dies ihres Volkes Glueck sei, so wuerde sich alles von selbst ohne weitere Einsegnung finden. Bella versprach, nach ihrer Vorschrift ihm alles zu sagen, wenn die Gelegenheit kaeme. Diese wurde aber durch den Zorn des Erzherzogs auf eine wunderliche Art herbeigefuehrt. Er hatte seine rasende Eifersucht ohne alle Zoegerung seinem Freunde Cenrio verraten, dem sogleich ein trefflicher Einfall gekommen war. Er hatte bei einem Guckkasten einen gelehrten Juden aus Polen wiedergefunden, der ihm schon frueher durch seine Kunst, Golems zu machen, manche Ergoetzlichkeit verschafft hatte. Diese Golems sind Figuren aus Ton nach dem Ebenbilde eines Menschen abgedruckt, ueber welche das geheimnisreiche und wunderkraeftige Schemhamphoras gesprochen worden, auf dessen Stirn das Wort Aemaeth, Wahrheit, geschrieben, wodurch sie lebendig werden und zu allen Geschaeften zu gebrauchen waeren, wenn sie nicht so schnell wuechsen, dass sie bald staerker als ihre Schoepfer sind. Solange man aber ihre Stirn erreichen kann, ist es leicht, sie zu toeten, es braucht nur das Ae vor der Stirne ausgestrichen zu werden, so bleibt bloss das letztere Maeth stehen, welches Tod bezeichnet, und im Augenblicke fallen sie wie eine trockene Tonerde zusammen.

Der alte Jude wurde herbeigeholt, der Erzherzog verlangte ein solches Bild der schoenen Bella und er wolle ihn fuerstlich lohnen. Der Jude warnte ihn, er moechte sich mit solchem Bilde nicht abgeben, in seinem Vaterlande sei manches Unglueck damit geschehen: einem Vetter sei der Golem, den er zu haeuslichen Diensten gebraucht, so hoch gewachsen, dass er ihm nicht mehr an die Stirn habe langen koennen, um das Ae auszuloeschen; da habe er befohlen, er sollte ihm die Stiefeln ausziehen, und waehrend sich der Golem danach gebueckt, habe er ihm listig das Ae von der Stirne gewischt, aber die ganze Last der Erde sei auf den armen Vetter gefallen, und er sei davon erdrueckt worden. Der Erzherzog schwor, dass ein solcher Unfall dem nicht schade, dem er ihn bereiten solle, doch eine neue Schwierigkeit sei zu ueberwinden, wie das Bild der schoenen Bella aehnlich zu machen sei. Der Jude verlangte, sie nur einmal in seinen Kunstspiegel einsehen zu lassen, so bleibe ihr Bild darin festgemalt. Der Kunstspiegel steckte in einem Guckkasten, und die ganze Kunst war, Bella zu demselben hinzulocken. Cenrio, der den Wurzelmann kannte, uebernahm diese Besorgung, ihn und seine Schoene zu dem Guckkasten zu fuehren, waehrend der Erzherzog verkleidet hinter dem Guckkasten versteckt war; alle eilten an ihren Posten. Cenrio traf den Kleinen noch bei dem Pferderennen; er sagte ihm heimlich ins Ohr, er solle sich den Zorn des Prinzen nicht zu Herzen nehmen, ein geheimer Feind von ihm habe dem Prinzen eine verhasste Erzaehlung von seinem Betragen gegen die Schauspieler gemacht; doch sei dieser Eindruck noch zu ueberwinden, wenn er behaupte, dass er einmal von einem tollen Hunde gebissen sei. Der Kleine wurde froh und noetigte ihn, bei der Gesellschaft zu bleiben, indem er ihm seine Braut vorstellte. Cenrio sagte ihr manches Artige und bat sie, doch ja einem Guckkasten nicht vorbeizugehen, der eine Welt im Kleinen, alle Staedte, Voelker in bunten Bildern zeigte. Sie gingen dahin, Bella sah zuerst hinein, ungeachtet der neugierige Kleine nur mit Missgunst diese Artigkeit erlaubt hatte; sie war ueberrascht von aller Herrlichkeit und haette gern die ganze Vorstellungsreihe noch einmal uebersehen, wenn nicht des Kleinen Ungeduld sie von dem Glase zurueckgerissen haette. Er war ganz ausser sich ueber alles, was er erblickte: in jeder Stadt dachte er sich als Fuerst; sah er fremde Soldaten, so pruefte er sich, wie er als Heerfuehrer in der Tracht sich ausnehmen wuerde.

In dieser Zeit hatte sich der Erzherzog leise in ein Gespraech mit Bella eingelassen. Er warf ihr die schaendliche Falschheit vor, mit der sie ihm Liebe geheuchelt, um dem kleinen Braeutigam eine Hauptmannsstelle zu verschaffen. Bella brach in Traenen aus und schwor ihm, es sei alles anders, ihre Liebe zu ihm sei ungeheuchelt, ja, es sei ihr edelster Wunsch, von ihm ein Kind zu haben, das ihrem Volke Glanz und Freiheit gebe. Diese Freimuetigkeit setzte den Erzherzog in einige Verlegenheit (sie war tiefinnerlich unschuldig, er aber war nur unschuldig aus Stolz); er schwor stammelnd, dass er alles Moegliche tun wolle, ihren Wunsch zu erfuellen, der auch seinem politischen Verhaeltnisse angemessen sei.

Unter solchen Versicherungen fuehrte er sie, ohne dass es der Kleine merkte, waehrend Braka ihnen Zeichen zum Abzuge gab, ungestoert von dannen.

Der Kleine hatte diese Welt im kleinen schon zweimal angesehen, und sie gefiel ihm viel besser als die wirkliche, waehrend der Jude unter allerlei Gespraechen mit Cenrio das Ebenbild der feldfluechtigen Bella bearbeitete. Cenrio bat den Juden, ihm doch nur eine Moeglichkeit anzugeben, wie solch ein Bild belebt werden koenne.

Der Jude sprach: "Herr, warum hat Gott die Menschen erschaffen, als alles uebrige fertig war? Offenbar, weil das in ihrer Natur lag, als diese von Gott sich losgedacht hatte. Liegt das in ihrer Natur, so bleibt’s auch in ihrer Natur, und der Mensch, der ein Ebenbild Gottes ist, kann etwas Aehnliches hervorbringen, wenn er nur die rechten Worte weiss, die Gott dabei gebraucht hat. Wenn es noch ein Paradies gaebe, so koennten wir so viel Menschen machen, als Erdenkloesse darin liegen; da wir aber ausgetrieben aus dem Paradies, so werden unsre Menschen um so viel schlechter, als dieses Landes Leimen sich zum Leimen des Paradieses verhaelt!

Als er das gesprochen, hatte der alte Jude sein Werk beendigt, er hauchte die Bildsaeule an, schrieb das Wort auf ihre Stirn, das sich unter Haarlocken versteckte, und eine zweite Bella stand vor beiden, die alles durch jenen Spiegel wusste, was Bella bis dahin erfahren, die aber nichts Eignes wollte, als was in des juedischen Schoepfers Gedanken gelegen, naemlich Hochmut, Wollust und Geiz, drei plumpe Verkoerperungen geistiger, herrlicher Richtungen, wie alle Laster; dass diese hier ohne die geistige Richtung in ihr sich zeigten, das unterschied sie selbst vom Juden, ueberhaupt aber von allen Menschen, die sie uebrigens so wunderbar taeuschen konnte, wie jenes alte Bild von Fruechten alle Voegel, dass sie an die Leinewand flogen und davon zu naschen suchten. So naschten auch Cenrio und der alte Jude an dem Bilde, jeder gab ihr einen Kuss, ehe sie dieselbe an den Arm des Kleinen hingen, der endlich sich satt gesehen hatte und mit seiner Bella durch die uebrige Lust des Abendgewuehls, wo jetzt schon manches Messer unter den trunkenen Bauern gezogen wurde, sich nach Hause zurueckzog. Braka war des Austausches der beiden Gestalten so wenig inne geworden wie der Kleine. Sie speisten alle drei in einer gewissen Stummheit miteinander, die nach den geraeuschvollen Abwechselungen eines so wunderlichen Tages sehr natuerlich war. Als sie abgesessen hatten, kam der Baernhaeuter mit einem halbzerkratzten Gesicht ins Zimmer und sprach: "So hat mich das verfluchte Weib, die Frau Nietken, zugerichtet, die in ihrer Trunkenheit ein Auge auf mich geworfen hatte und mich nicht loslassen wollte, da ich doch so dringende Neuigkeiten mitzuteilen habe. Sie hat mir verraten, dass der Erzherzog einen Anschlag auf unser Fraeulein vorhaben muesse, weil er sich so heftig nach ihr erkundigt habe."

Golem Bella, die nur bis zu dem Punkte etwas von der wirklichen Bella wusste, wo sie in den Spiegel gesehen, rief ganz laut: "Wie lieb ist mir das, da werde ich ein Kind bekommen, das mein Volk frei machen wird!"

Braka erschrak ueber diese laute Vertraulichkeit, und der Kleine sprang wie ein Rasender auf: "Also, du weisst davon, Bella, liebst ihn?"

"Freilich", antwortete Golem Bella.

Der Kleine riss sich die Hirsenhaare aus und erstickte fast in gekraenkter Eitelkeit, endlich brach sein Jammer, nach der Vorschrift seines rhetorischen Lehrers bearbeitet, in folgenden Worten aus: "Warum hast du mich zum Menschenleben aus dem sichern Schosse meiner Vorwelt durch hoellische Kuenste herausgerissen? Ohne Falsch bestrahlten mich Sonne und Mond; ruhig sinnend stand ich da am Tage und faltete abends meine Blaetter zum Gebete; ich sah nichts Boeses, denn ich hatte keine Augen, ich hoerte nichts Boeses, denn ich hatte keine Ohren, aber die Anlage zu allem, die ich in mir fuehlte, machte mich so sicher und reich. Meine Augen werde ich mir ausweinen und werde sie vermissen, mein Leben werde ich aufgeben und werde es ewig suchen, aber dieses Suchen soll deine Qual sein; wenn du mich fern von dir glaubst, werde ich bei dir sein. Du kannst mich nicht zerstoeren, wie du mich leichtsinnig spielend geschaffen hast; ich bleibe bei dir, werde die Wuensche deiner Habsucht nach Geld befriedigen, werde dir Schaetze bringen, soviel du verlangst, aber es wird dein Verderben sein. Du wirst mich von dir werfen, mich vernichten wollen, aber doch bleibe ich bei dir, dir bin ich gebannt, bis eine andre mit noch groesserem Verrat, als du gegen mich veruebt, mich an sich kauft. Wehe allen kommenden Geschlechtern! Du brachtest mich zur Teufelei in die Welt, von der ich mich bis zum juengsten Tage nicht frei machen kann!"

Golem Bella sprach ihm ganz in der Gesinnung der echten Bella von ihrer Zaertlichkeit vor, die sie trotz aller Liebe zum Erzherzoge fuer ihn hegte. Der Kleine sah sie verwundert an und sprach: "Du koenntest mich wieder beluegen, Bella; wer weiss, was diese Nacht mit dem Erzherzog verabredet ist. Gib mir ein Zeichen der Aufrichtigkeit. Der Mond scheint helle, wir fahren in der herrlichsten Kuehlung bis zum naechsten Morgen nach einem Dorfe, wo wir in aller Stille getraut werden koennen, so kehren wir verbunden nach Gent zurueck, um es bald auf immer zu verlassen, dass der glattzuengige Erzherzog uns nicht mehr versuchen kann. Wir reisen nach Paris, und ich erbiete meinen kriegerischen Mut dem Koenige von Frankreich, der tapfere Maenner, wenn sie auch klein von Gestalt sind, doch zu schaetzen weiss."

Golem Bella schwieg still, sie hatte keinen Willen und keine Redensart auf diesen Fall. Der Kleine legte sich das zu seinen Gunsten aus, und als Braka noch etwas dazwischen reden wollte, zog er seinen Degen und schwor, ihn mit ihrem Blute zu faerben, wenn sie sich seinem Gluecke widersetzte. Braka schuettelte sich vor Schrecken; sie konnte keinen Bissen essen. Der Kleine befahl dem Baernhaeuter, zusammenzupacken und einen Fuhrmann, es koste was es wolle, anzuschaffen, der sie nach dem naechsten Pfarrdorfe fuehre, da in Buik, wegen der Nachtmessen, wohl kein Pfarrer zu einer Trauung bereit sein moechte. Der Baernhaeuter betrieb alles, aus Furcht vor der trunkenen Wirtin, mit dem groessten Eifer und mit der lobenswertesten Verschwiegenheit. Der Wagen stand vor der Tuere, alle sassen darin, ehe Frau Nietken etwas merkte. Ihrem widersinnigen Geschrei zu entgehen, wurde ihr das Dreifache, was sie fordern konnte, zugeworfen; und die sonderbare Gesellschaft, eine alte Hexe, ein Toter, der sich lebendig stellen musste, eine Schoene aus Tonerde und ein junger Mann, aus einer Wurzel geschnitten, sassen in feierlicher Eintracht, hegten grosse Gedanken vom Glueck des Lebens, das sie eben zu begruenden fuhren, von Schaetzen, Heldentaten und Biergeldern, auf die der Baernhaeuter bei dieser Festlichkeit ungemein rechnete. Wie vergebens quaelt uns das Verhaeltnis zu manchen Menschen; koennten wir uns einbilden, er sei ein Toter, eine Erdscholle, eine Wurzel, unser Kummer und unser Zorn muesste verschwinden, wie aller Gram ueber unsre Zeit, wenn wir nur endlich gewiss wuessten, dass wir bloss traeumten.

Wenn es sich in stuermender Nacht zuweilen in Blumenbeeten ereignet, dass ein paar getrennte Blumenkelche zusammengebeugt werden und sich nicht erkennen, bis der Mond wieder hervortritt, so ist die Freude stumm, die Grillen singen aber davon die lange Nacht bis zum Morgen, wo die Voegel sie abloesen. Der Erzherzog wollte sich raechen wegen des Verrats an seiner Liebe, das machte ihn gegen jede Sorglichkeit Bellas taub, die nicht wusste, was mit ihr vorgehe, als er sie heimlich auf sein Zimmer in sein Bette gebracht. Beide waren eingeschlafen, als der Gesang: De profundis clamavi ad te, Domine: Domine, exaudi vocem meam in der Kirche, die nicht fern lag, sie erweckte: ein Gesang, in den die Haufen auf den Strassen, die darin nicht mehr Platz finden konnten, einstimmten. Es war eine helle Sommernacht, und beide eilten ans Fenster. Bella erwachte erst jetzt aus ihrem Taumel: "Heiliger Gott, ist es schon so tief in der Nacht, wie soll ich in mein Bette kommen, wo bin ich, was ist mir geschehen, was soll aus mir werden?"

Der Erzherzog hatte sie zu lieb gewonnen, seine Freude war ihm zu neu, um sie durch eine Erinnerung an ihre Falschheit zu kraenken: "Du sollst nun auf immer bei mir bleiben, wir verlassen uns nicht, wie Leib und Seele!"

"Ist es wahr?" fragte Bella treuherzig, "da bin ich sehr gluecklich!"

Der Erzherzog verwunderte sich: "Aber deine Heirat mit Cornelius, willst du die aufgeben?"

"Bin ich nicht dein?" fragte sie, "soll ich nicht ein Kind von dir haben, das mein Volk zur Heimat fuehrt?"

"Welchem Volke gehoerst du, liebes Maedchen?" fragte der Erzherzog, "betruege mich nicht; fuerstlich muss ich dich nennen, aber ich moechte wissen, ob das Schicksal dir gerecht war und dich einem Fuerstenstamme einsegnete?"

"Mein Vater war Fuerst Michael von Aegypten", sagte Bella geruehrt, "ich bin der letzte Zweig des alten Geschlechtes, das sich bei allen Umwaelzungen oft siegreich, oft fliehend, doch in steter Unabhaengigkeit erhalten hat, so sagte der Vater. Ich bin das letzte Kind aus meinem Stamme; mein Vater starb in den Verfolgungen, die ueber unser Volk ausbrachen; eine alte Wahrsagung bestimmt, dass ein Kind von mir und einem Weltbeherrscher die letzten Ungluecksscharen unserer verfolgten Untertanen zum segensreichen Nil wuerde fuehren."

"Ich traue deinen Worten ganz", sprach Karl, "doch sage an, wie war es moeglich, da dich so grosser Sinn trug, dich gegen mich mit deinem kleinen Freunde zu verbinden? Wie konntest du dich mir hingeben wollen, ihm eine Anstellung zu schaffen? Nun ich dich hier so schoen und heilig sehe vor mir stehen in dem Mondenscheine, da moecht’ ich meine Ohren Luegen strafen; doch hoerte ich es, als ich nach deiner Schoenheit durch die Tuere lauschte, und wollte im Genuss mich an dir raechen; doch hat mich diese Lust bezwungen, und ich bekenne dir jetzt meine Wut!"

Bella verstand ihn nicht, er schien ihr lauter Guete. Sie lachte seines Argwohns und erzaehlte ihm so natuerlich alles, wie sie durch Braka zu einer Nachgiebigkeit gegen die wunderlichen Launen des Kleinen beredet worden sei; zugleich vertraute sie ihm unter dem Versprechen der Verschwiegenheit dessen geheimnisvolle Entstehung. Der Erzherzog, aus der gewohnten folgerechten Natuerlichkeit in alle Wunder der Lust und der geheimen Kraefte in einer Nacht hineingerissen, versank in ein tiefes, ernstes Nachdenken; er stand innerlich, wie ein Stern hinaufgerissen, ueber der Welt, mit der er bis dahin fortvegetiert hatte; was er kuenftig taete und spraeche, alles schien ihm bedeutsam. Er hatte ein reiches Geheimnis, das er sich bewahren wollte und dessen er selbst seinen Cenrio nicht wuerdig achtete: wie er seine Liebe fortfuehren sollte, beschaeftigte ihn mit stillem Ernste.

"Bist du nicht gluecklich wie ich?" fragte Bella -, "alles ist mir so merkwuerdig, und wie alles hat so kommen muessen. Denn wie ich mit dir gegangen, ahndete ich von allem dem nichts; und sieh, wie die Spinnweben am Baum im Mondschein sichtbar glaenzen, waehrend ich das Tauwerk des Schiffes dort im Dunkel nicht unterscheiden kann: so fuehle ich hoehere Wege und ahnde doch nichts, was mir in den naechsten Tagen bevorsteht. Der Kleine ist boese, merkt er, dass ich mich ganz zu dir wandte, von ihm kommt unser Reichtum, er wird uns alles versagen, kannst du mich dann ernaehren?"

Der Erzherzog liess eine Traene fallen: "Ach, liebes Kind, durch die Haerte meiner Eltern bin ich sehr beschraenkt; fuer die toerichte Lust an Pferden habe ich mich tief verschuldet, meine Lehrer duerfen mir gar kein Geld mehr einhaendigen, sondern sie bezahlen, was ich brauche. Aber fuer dich schaffe ich Geld, und sollte ich mein kuenftiges Reich verpfaenden."

Bella kuesste ihm die Augen und schwor, es sei nur ein Nachsprechen von ihrer Tante gewesen, wenn sie ueber ihre Zukunft sich so bedenklich gestellt haette; wenn sie aus ihrem Herzen spreche, so sei ihr die Art Staat, die sie in Gent um sich gesehen, laestig, ihr Anzug quaele sie, und jede Stunde sei zu allerlei Beschaeftigungen, die ihr verhasst waeren, abgemessen. "Was soll ich Spanisch und Latein sprechen? Was bedarf ich’s, Amo, ich liebe, Amas, du liebest, zu lernen? Ich weiss ja nichts andres, als dass ich dich liebe und dass du mich liebest." Sie umarmten sich still traulich, als Cenrios Stimme ploetzlich an der Tuere schallte; er sagte, dass Adrian von dem Orte forteile, weil er ein wunderbares Sternzeichen entdeckt. Gleich darauf hoerte der Prinz Adrians heftiges Husten, trieb Bella in das Seitenzimmer, wo der Kleine krank darnieder gelegen hatte, und eilte den eigensinnigen Adrian zu besaenftigen. Dieser war aber ausser Fassung; er schwor, dass diese Nacht den wunderbarsten Sohn der Venus und des Mars gezeugt habe, er muesse zu seinen Buechern, um die Beobachtungen weiter zu vergleichen; er meinte im Erzherzoge gleiches Interesse fuer die Beobachtung und hoerte dessen Einwuerfe kaum. Er war ein echter Hofmeister, der in seinem Schueler seine Gedanken voraussetzte und durch ihn seine Zwecke verfolgte. Der Prinz war aber seiner Willkuer ganz ueberlassen und musste endlich folgsam sich anziehen, um mit ihm nach Gent zurueckzukehren. Gern haette er seiner lieben Bella noch ein Lebewohl ins Seitenzimmer gerufen; doch fuerchtete er dadurch ihre Verbindung den Ihren zu verraten, da er so wenig von dem Schicksale der Golem Bella wie von der Abreise seiner Nachbarn in der Eile durch Cenrio unterrichtet werden konnte. Sorgen machte er sich am wenigsten heute, wo sein Herz in den ersten Freuden der Liebe schwebte und nachschwelgte. Die ganze Welt war ihm aufgegangen, er dachte weder an Pferde noch an Jagdhunde, zum erstenmal war ihm die zaertliche Saite seines Herzens angeklungen, die noch im spaeten Alter im Lager bei Regensburg bei den Toenen einer schoenen Harfenspielerin nachklang, als Krankheit und Sorge um seine Lieblingswuensche ihn schon von der Welt losloesten. Vielleicht waere aus ihm nie der Unermuedliche, der nach allem griff, alles zu verbinden strebte, geworden, wenn ihn nicht das Geschick so rasch aus diesem Verhaeltnisse, das seine ganze Seele befriedigen konnte, herausgerissen haette.

Nachdem das Geraeusch seiner Abreise voruebergegangen, waehrenddessen Bella kaum durch die Scheiben ihm truebe nachzublicken wagte, als das Schiff im Dunkel anfing zu schwanken, die weissen Segel sich ausbreiteten und die Ruderer endlich das Wasser anregten: Ach, dachte sie, die maechtige Gewalt des Tauwerks, das sich vorher unserm Blicke verbarg, tritt so schnell hervor, uns zu trennen, wird es auch eine unsichtbare Gewalt geben, die uns wieder verbindet?

Als sie sich in den Gedanken an ihn recht ersaettigt und gestaerkt hatte, oeffnete sie leise das Nebenzimmer, wo sie mit Braka schlafen sollte, war aber verwundert, die Fenster offen, die Betten geschlossen und den Reisekoffer nicht mehr an Ort und Stelle zu sehen. Sie nahte sich dem Bette der Alten, rief sachte, endlich lauter; aber alles blieb still, und sie sah jetzt im Mondenscheine, dass keine Spur ihrer Anwesenheit mehr zu sehen als schmutziges Wasser im Becken und einige nasse Handtuecher, ueber die Stuehle gehaengt. Bella konnte sich das alles nicht erklaeren; aber sie hatte auch kein Schrecken darueber. Sie ging endlich in das dritte Zimmer, das Cornelius bewohnen sollte, schuechtern und leise, fand aber auch hier niemand. Erst jetzt machte sie ihre Verlassenheit aengstlich, sie kannte niemand im Hause als die widrige Frau Nietken; doch lieber wollte sie heimlich entlaufen, ehe sie ihre Zuflucht zu der genommen haette.

Aber Zufall fuehrte sie ihr entgegen. Es wollten sich ein paar alte Edelleute bei Wein und Spiel mit Maedchen erlustigen, und sie hatte keine andre Zimmer frei als diese von der Brakaschen Familie und von dem Erzherzoge verlassenen. Sie kam mit einem Licht, alles darin aufzuraeumen, und erschrak wie vor einem Gespenste, als sie Bella vor sich erblickte.

"Was ist Euch, Frau Nietken, wo ist meine Mutter?"

"Ei, Jesus Maria", seufzte die Alte, "da muss ich doch gleich was auf meinen Schreck nehmen; haben Sie was vergessen gehabt, liebes Fraeulein? ei, ei, das muss Sie so lange aufhalten! wie weit waren Sie denn schon? bei mir waer’s so sicher aufgehoben, und wenn’s ein Scheffel mit Gold gewesen." Bella konnte sich diese Reden nicht erklaeren; sie fragte nach ihrer Mutter, wohin sie gefahren, und kam dabei in Verlegenheit, wie sie es ihr erklaeren solle, dass sie nichts davon wisse. Dadurch ward Frau Nietken, die sich sogleich der Ausfragerei des Erzherzogs erinnerte, klug genug, irgendein geheimes Einverstaendnis mit diesem anzunehmen, und da sie von diesem oder vielmehr von Adrian, der die Kasse fuehrte, schlecht bezahlt worden, so suchte sie sich durch diese Entdeckung schadlos zu halten. "Ei", schloss sie ihre Rede mit einem wunderlich ernsthaften Gesichte, "das haette ich von einem gnaedigen Fraeulein mein Seelen nicht gedacht, dass Sie sich so schlecht auffuehren wuerden. Pfui Teufel, mein guter Ruf leidet es nicht, die Jungfer Demut muss in die Wache; sie soll ausgestaeupt werden auf oeffentlichem Markte zur Warnung!"

Bella zitterte in Scham und Aerger. Sie sah und hoerte nichts mehr, so aus dem Gluecke in die entsetzlichste Hilflosigkeit und Verachtung gestossen, ohne irgendeine Welterfahrung; kaum konnte sie glauben, dass sie dieselbe sei, so schauderte ihr vor ihrem Zustande. Nicht das Unglueck, aber die Schande, die ihr so unvermeidlich nahe schien, konnte die Sicherheit ihres fuerstlichen Gemuetes vernichten; sie weinte und warf sich auf einen Stuhl.

Frau Nietken liess diese Verzweiflung noch tiefer in ihre Seele fressen, um sie zu dem Vorschlage, hier zu bleiben und ein paar alten guten Edelleuten die Zeit zu vertreiben, vorzubereiten. Bella, als sie ihn erfuhr, ahndete nichts Schlimmes, sie meinte allenfalls, dass sie ihnen aufwarten, den Tisch decken solle, und entschloss sich gern dazu, um ungekraenkt am andere Tage zur alten Braka zurueckzukommen. Aber alles, was sie an Unmut in sich spuerte, setzte sie heimlich in Reden um, die sie der alten Braka recht scharf ans Herz legen wollte.

Frau Nietken war sehr vergnuegt, sie so willig zu finden. Als die beiden alten Herren hereintraten, sperrten sie beide ueber die wunderbare Schoenheit der Bella ihre Augen weit auf und entschuldigten sich, dass sie in ihr Zimmer gekommen waeren: wer konnte sich einbilden, in der Gewalt der Frau Nietken eine so junge, bluehende Schoenheit zu treffen. Als aber dieser Irrtum berichtiget war, indem Bella ihnen schuechtern sagte, dass sie zu ihrer Aufwartung bestimmt waere, so erwachte in dem raschen Liebesfeuer, das Nasen und Wangen der beiden Alten durchgluehte, eine Eifersucht, den Besitz dieser seltenen Jugend einander nicht zu goennen, dergestalt, dass jeder seine Stirnfalten hinaufrueckte und einer List nachsann, den andern zu entfernen oder bei der Frau Nietken zu ueberbieten. Waehrend sie nun aus hohen Glaesern den Wein tranken und miteinander im Brett spielten, benutzte es der eine nach dem andern, waehrend jener am Zuge, mit Frau Nietken heimlich ein Wort zu reden, die in seliger Erwartung, wie hoch sie die arme Bella in dieser Versteigerung hinauftreiben werde, sehr viele Schwierigkeiten in Hinsicht ihres Besitzes aufzuzaehlen wusste. Bella war in ihres Stammes Natur zu klug, um die Gefahr nicht einzusehen, worin ihre Liebe und ihre Freiheit schwebten; die alten Herren erlaubten sich schon manche unbequeme Zudringlichkeit, und sie sann auf einen Anschlag, wie sie dem Hause entkommen moechte. Aber was sie auch erfinden mochte, sie war zu strenge belauscht, und niemand gestattete ihr unter irgendeinem Vorwande das Zimmer zu verlassen. Die beiden Alten, je mehr sie tranken, wurden immer heftiger, sie sprachen von ihren Kriegszuegen und fingen an sich zu streiten. Die Wirtin fuerchtete, sie moechten zu den alten rostigen Degen greifen und ihre Tassen und Glaeser zerschlagen; sie war deswegen sehr erfreut, als sie eine Musikantenbande, wie sie damals haeufig auf den Kirmessen der Niederlande anzutreffen waren, die vor dem Fenster mit Kuechenmoerseln auf Rosten zum Gesange klapperten, in das Zimmer rufen konnte. Das lustige Voelkchen, unter grossen Maenteln und Larven versteckt, trat ins Zimmer, sah sich um und sang, wie sie die beiden alten Herren so zaertlich gegen das junge Maedchen erblickten, vom Glueck des Alters, das noch lieben kann und geliebt wird:

Vaeterchen, sang Jugendmut Aus der Lippen rotem Blut, Mische Honig zu dem Wein, Und er wird dir lieblich sein; Zuende auch ein Feuer an, Dass sich Amor waermen kann: Sieh, der lose kleine Bub Kommt auf Stelzen in die Stub’.

Bella stellte sich bei diesen Worten, als ob sie den alten Herren den guten Willen durch Zuvorkommen erwecken wollte, sie trat zu den Musikanten und sagte, dass sie mit ihnen singen wollte, sie saenge recht huebsch, doch muessten sie ihr Tracht und Larven leihen. Frau Nietken war seelenvergnuegt, dass sie sich so leicht in ihr Schicksal gegeben: "Herzchen, tanz", sagte sie, "dass die Roecke uebern Kopf fliegen, den Herren will ich ein Glas Malaga einschenken."

Bella benutzte diese Zeit, einer Musikantenfrau jene kostbare Demanthalskette, die Cornelius damals in dem Stiefel entdeckte und ihr umhing, anzubieten, wenn sie unter ihrer Larve entfliehen koennte und jene an ihrer Stelle zurueckbleiben wollte. Das Weib war mit dem Gebot sehr zufrieden, sollte es darueber auch Haendel geben; die Musiker waren ihrer sechse, die an Raufereien, wie andere Menschen ans Kaemmen, gewoehnt waren, und weil sie nichts als einige alte Lumpen zu verlieren hatten, nur immer dabei gewinnen konnten. Die Umkleidung war hinter dem Schirme bald vollendet, und Bella entwich, waehrend ihre reiche Haube von Gold und ihre Halskette an dem verlarvten Weibe den alten verliebten Toren herrlich entgegenglaenzte; das Weib tanzte, und ihre Spruenge schienen ihnen so reizend, dass einer nach dem andern aufsprang und ihr um den Hals fiel. Endlich entfiel ihr bei diesem abwechselnden Zugreifen die Larve, und die alten Herren erschraken nicht wenig, ein fremdes, abgelebtes Gesicht zu sehen, das sie mit rechter Bosheit verlachte. "Wo ist Bella, ihr Spitzbuben?" schrie Frau Nietken, und statt der Antwort warf sie ein derber Faustschlag des einen Musikanten darnieder. Die alten Herren sprangen zu, aber mit ihnen wurden die ruestigen Kaempfer noch schneller fertig; sie knebelten sie, nahmen ihnen die vollen Geldbeutel, mit denen sie Frau Nietken bestechen wollten, aus den Haenden, verschlossen die Tuere und fluechteten sich aus dem stillen Hause, wo alles von den Rasereien des Tages im Fruehmorgen darniederlag, in das Freie; sie hatten genug gewonnen, um allen Untersuchungen aus dem Wege zu gehen.

Bella hatte sich unterdes mit einer Schnelligkeit auf den ihr wohlbekannten Fusspfad nach Gent begeben, dass sie sich nach einer Stunde ganz erschoepft hinter einen Dornstrauch versteckte, um ein wenig sich zu erholen. Es zog allerlei betrunknes Volk vorueber, was auch von der Kirmes kam, aber keiner bemerkte sie, nur die Hunde schnupperten und bellten sie an; da aber der Dornstrauch als Grenze einer Feldmark sie versteckte und auch mancherlei Knochen den gewoehnlichen Gebrauch dieses Ortes verrieten, so gab lange Zeit niemand auf sie Achtung. Sie verfiel in einen tiefen Schlaf, aus dem ihr das Bewusstsein erst am folgenden Abende wiederkam. Nun konnte sie zwar in dem krampfhaften Zustande, der sich ihrer bemaechtigt hatte, selbst dann noch nicht ein Glied erheben oder die Augen aufschlagen, doch hoerte sie in einzelnen Momenten, was ringsumher auf dem Wege gesprochen wurde. Sie hoerte das Bellen eines Hundes, wie in dichter, nebeldunkler Nacht der verirrte Schiffer davon ueberrascht wird, aus einem unbemerkt angenaeherten Schiffe; jetzt hoerte sie auch Stimmen, und sie merkte aus der Art, wie sie sprachen, dass es ein paar Flurschuetzen von den beiden aneinanderstossenden Doerfern waeren. Der eine sprach: "Hoer, Peter, das tote Weib liegt auf deinem Grund und Boden."

"Soll es gelten", antwortete der, "und wir muessen sie auf unsere Kosten begraben lassen, so leg ich hier einen grossen Stein in die Erde, und das Stueck gehoert unser, und die Grenze kommt jenseits."

"Den Teufel nein", sagte der andre, "du bist verflucht gerieben und bist noch ein halbwachsener Bengel, ich haett’ sie euch gern aufgeladen, ja da werden wohl beide Gemeinden die Leichenbestattung zusammen bezahlen muessen, das macht viel Muehe und Kosten und gibt sicher noch Streit."

"Hoer, Alter", sagte der andre, "ich hab ein Kunststueckchen vom vorigen alten Flurschuetzen, dem rothaarigen Benedikt, gelernt, der sagte immer: wenn ich einen Toten finde, so seh’ ich’s ihm gleich an, er sieht so graemlich aus, bei uns will er nicht gern begraben sein: ei nun, sein Wille geschehe, ich mache ein Kreuz ueber die Schelde, werf ihn hinein, und wo er ans Land treibt, da will er gern hin—aber, Bub, es muss niemand sehen."

"Hoer, Peter, der Gedanke ist so dumm nicht; siehst du niemand, wir fassen zusammen an und tragen sie ins Wasser."

Bella wollte rufen, aber sie vermochte auch nicht die kleinste Lebensaeusserung zu zeigen; schon griffen die beiden Leute sie an, als der junge Flurschuetz rief: "Halt, lass liegen, was fuehrt der Teufel da fuer einen struppigen Kerl vom Galgenberge herunter, lass uns nach den Wiesen gehen, in zwei Stunden ist’s dunkel, da sieht uns niemand." Bei diesen Worten gingen sie miteinander die Grenze herunter, und Bella war von der unsaeglichen Angst in einen wunderlichen Traumzustand uebergegangen, in welchem sie den Vater mit herrlicher Krone auf der aegyptischen Pyramide, die er ihr oft gezeichnet hatte, sitzen sah; seine Beine waren aber aneinander gewachsen und seine Haende an den Leib gelegt, und sie fragte ihn ganz ruhig: "Deine Hand kannst du mir wohl nicht mehr reichen wie sonst?"

"Nein", sagte er, "sonst haette ich dir eben beigestanden; sonst haette ich dich frueher zurueckgehalten, als du den Alraun gegraben: sei froh, du bist frei von ihm! Du bist gesegnet, ein Kind zu tragen, das unser Volk heim fuehrt. Du aber wirst noch Trauer erleben, sei aber furchtlos wie ein Nachttau, welcher der Sonne entgegengeht und sie anblickt, auf dass sie ihn von hinnen nehme." Nachdem dies Traumgesicht ihr entschwunden, wachte sie auf. Die Sonne war im Sinken, und sie konnte sich erheben und fuehlte nur Ermattung noch in allen Gliedern. Sie schlich langsam der Stadt zu und ging mit einem Seufzer bei dem verlassenen Landhause vorueber, das ihre Jugend geschuetzt hatte: es war ihr jetzt zu eng, zu klein, und sie eilte nach dem Hause, wo sie vor drei Tagen mit wunderlichen Erwartungen ausgefahren war. Zutraulich bewegte sie den Klopfer der Tuer, es trat ihr die bekannte Magd entgegen, sie fiel ihr um den Hals; diese aber trat zurueck und kannte sie nicht. Als sie sich nannte, schrie das Maedchen auf, liess den Blaker fallen und lief hinauf zur Herrschaft und schrie, dass sie es hoeren konnte: "Jesus Maria, da ist noch eine Bella!"

Braka, Cornelius und seine junge Gemahlin, die Golem Bella, stuerzten zum Zimmer hinaus, die Ankommende zu beschauen. Wie laesst sich alles gegenseitige Erstaunen malen? Braka wusste durchaus sich nicht zu fassen; Golem war gleichgueltig, als waere sie ihrer Sache zu gewiss, um sich in ihrer eignen Person zu irren. Bella weinte; von der Muedigkeit, vom Hunger erschoepft, hatte sie kaum die Kraft aufzublicken. Cornelius, der sich auf einmal im Besitze zweier Frauen sah und durchaus jetzt nicht begreifen konnte, wozu er ueberhaupt eine genommen, sprang wie ein brennender Frosch, so nennen es die Feuerwerker, zwischen allen herum, fluchte und schimpfte und wusste eigentlich selbst nicht, was er sagen sollte. Die Magd und Braka kamen zuerst darauf, unsere Bella moechte doch wohl die echte sein, aber Cornelius widersprach heftig, weil ihm die geschmueckte Golem besser gefiel als Bella in den alten Lumpen der Dorfsaengerin. Bella bat nur um ein Nachtlager und Nahrung, weil sie erschoepft sei von Muedigkeit; wenn sie am Morgen nicht mehr geduldet werden sollte, koennte sie leicht weiterziehen. Aber auch dies wollte Golem nicht leiden, die, wie wir wissen, ausser den wenigen Gedanken, welche der Spiegel von Bella zu ihr uebergetragen und die ihr eine auswendig gelernte Form waren, ein echtes Judenherz in ihrem Koerper bewahrte und jetzt in der Furcht, die Fremde koennte sie verdraengen oder Geld kosten, schrie: dass, wenn sie nicht freiwillig gleich das Haus verliesse, wenn sie ihre truegliche Aehnlichkeit missbrauchen wollte, ihres Mannes Liebe zu teilen, so wuerde sie ihr das falsche, luegenhafte Antlitz mit den Naegeln zerreissen. "Du, Mann", rief sie und wendete sich drohend gegen ihn, "dass du noch so dastehst und ihr nicht schon laengst das Genick gebrochen, das beweist mir deine Schlechtigkeit, du hast dich auch mit ihr abgegeben, und ich will euch dafuer die Koepfe zusammenstossen, dass euch das Kuessen auf ewig vergehen soll, ihr Ehebrecher!"

Cornelius fuerchtete sich gewaltig vor ihrer Staerke; er stellte sich darum grimmiger, als er es eigentlich meinte, erhob sein Stoeckchen und rief: "Erbaermliches Fraeulein, ich will dich strafen."

Braka musste ueber sein naerrisches Hahnreigesicht fast lachen, wie er sich so grimmig anstellte; aber Bella schlich einsam hinunter, Cornelius hieb auf das Gelaender, trat zurueck und sagte: "Der habe ich ein paar aufgezogen, daran soll sie ihr Lebtag gedenken." Golem kuesste ihn dafuer und nannte ihn ihren lieben Mann, und er ahndete nicht, dass er die herrliche Bella fuer eine Lehmpuppe verworfen, denn leider hatte ihm Golem Bella in der Nacht der Hochzeit die beiden ahndenden Augen, die er noch immer im Nacken bewahrt hatte, unwissend, weil sie da keine Augen vermutete, eingedrueckt. Solch Unglueck ist leicht bei ausserordentlichen Eigenschaften; ich erinnere mich eines ausserordentlich begeisterten Redners, der diese Eigenschaft ganz verloren, seit die Zuhoerer, um einen Versuch mit ihm zu machen, ihn einmal waehrend dieser Begeisterung mit kaltem Wasser uebergossen. Bella war jetzt entschlossen, beim Erzherzoge eine Zuflucht zu suchen; sie kannte sein Schloss, das ueber die andern Haeuser hervorragte, aus der Ferne, und so heftig ihr das Herz klopfte, ihre Knien zitterten und ihre Sprache fast versagte, sie brachte es endlich doch beim Tuersteher an, dass sie den Erzherzog notwendig sprechen muesse. Der Tuersteher, ein alter Mann, war ganz in dem Interesse des alten Adrian, der aengstlich die Unschuld seines Prinzen bewachen liess, um seine Lebensdauer zu verlaengern. Der alte Tuersteher liess Bella in ein Zimmer treten, ging heimlich zu Adrian und hinterbrachte ihm, dass ein verdaechtiges Maedchen nach dem Erzherzoge gefragt habe. Adrian sass eben bei seinem Nachtessen, einem feisten Hahnenbraten, auf seinem Studierzimmer, wie er da abends allein zu essen gewohnt war; er befahl mit zornigen Augenbraunen, das Maedchen hereinzufuehren. Bella wurde eingefuehrt, aber nach dem Erschrecken ueber die Abwesenheit des Prinzen machte ihr der Anblick des kraeftigen, wuerdigen Adrian einen sehr beruhigenden Eindruck. Er sah sie an und sprach nichts als: "Kurios, kurios!"

Sie sah den Braten, und vom langen Hunger getrieben, rueckte sie einen Stuhl ihm gegenueber zum Tisch, schnitt sich ein Stueck ab und ass mit dem Heisshunger eines armen Leibes, der seit zwei Tagen nichts genossen. Adrian schuettelte mit dem Kopfe, sagte wieder: "Kurios, kurios", legte ihr dann gekochte Fruechte vor, die dem Braten zugesellt waren, und schenkte ihr ein Glas Wein ein. "Du bist ein wunderliches Maedchen", sagte Adrian, "sprich, wann bist du geboren? ich moechte deine Zeichen erforschen."

"Ach, wuerdiger Herr", sagte Bella, "ich weiss es mir nicht mehr recht zu erinnern, ich muss zu der Zeit noch sehr dumm gewesen sein."

"Kurios, kurios", sagte Adrian, "wie hiess aber dein Vater?"

"Ach, mein armer Vater", sagte Bella, "wenn der das gewusst haette!"

"Kurios, kurios", sagte Adrian; "nun, ich will deine Geheimnisse nicht wissen."

"Aber kommt denn der Erzherzog nicht bald?" fragte Bella.

"Kurios, kurios", sagte Adrian, "du meinst wohl gar, ich soll dich zu ihm fuehren, das geht nicht."

"Ei, Vaeterchen", schmeichelte Bella, "tu’s doch, ich muss ihn sprechen, fuehr mich zu ihm, es macht ihm sicher Freude, ich hab ihn so lieb."

"Ein wunderliches Maedchen", fluesterte Adrian vor sich, "macht mich zu ihrem Liebesboten; wer weiss, ob ich mit dieser Liebschaft nicht des Prinzen leichten Sinn an einen Menschen binden koennte; es wird nicht lange mehr gelingen, ihn von dem Umgang mit den Frauen abzuhalten, gar viele muehen sich um ihn, die ihn auf eitle Wege fuehren koennten, und diese scheint noch schuldlos jung." Die Religion war in ihm beim Lesen der alten roemischen Dichter zu einer Art klugen Naturkunde geworden.

"Was sprichst du vor dir, lieber Vater?" fragte Bella.

"ich will dich bald zum Erzherzog fuehren", sagte Adrian, "wart nur etwas, und bist du muede, ruhe aus auf meinem Bette und sprich recht zutraulich, woher du bist, ich will es treu behalten."

Bella fand ihre ganze Seele gegen ihn erschlossen; sie erzaehlte ihm aufrichtig ihr ganzes Schicksal, nur eins konnte sie ihm nicht sagen, wie sie mit dem Prinzen in Buik zusammengetroffen, sie sagte, dass sie sich im Gedraenge von der alten Braka verloren haette. Nach dieser Erzaehlung versank Adrian in ein tiefes Nachdenken und in mancherlei Rechnerei, worueber Bella einschlief. Sowie er wieder etwas Merkwuerdiges ueber sie herausgerechnet zu haben meinte, trat er an ihr Bette, lehnte sich sachte ueber und sah sie verwundert an; ueberhaupt war es ihm merkwuerdig, wie ein Maedchen auf seinem harten, geistlichen Lager schlafe.

Endlich hoerte er den Erzherzog, der bei dem Grafen Egmont zu Nacht gegessen hatte, im Schlosse einreiten; er wartete noch einige Zeit und ging dann fort, ohne dass es Bella bemerkte, ihn in seinem Schlafzimmer aufzusuchen. Cenrio, von seiner Ankunft sehr ueberrascht, winkte ihm, leise aufzutreten, weil der Prinz sehr muede gewesen und gleich in einen tiefen Schlaf gesunken sei. Adrian ging an das Bette, sah das hellblonde Haar des Prinzen, wie er es gewoehnlich mit einem goldenen Netze umspannte, und zog sich auf den Zehen, mit der Hand Ruhe winkend, zurueck. Cenrio biss sich lachend auf einen Finger und kruemmte vor Lustigkeit den Leib und hob ein Bein auf; der gefaehrliche Betrug war gelungen, und Adrian hatte die ausgestopfte Puppe fuer den wahren Erzherzog gehalten, der inzwischen seine lebendige Bella versaeumte, um bei der leblosen Puppe Golem Bella an dem Nachgenusse der Liebe, die ihn das erstemal so reich entzueckt hatte, zu verzweifeln. Er hatte naemlich schon am Morgen jene Golem Bella, die ausser den Liebesgedanken der wirklichen Bella noch ein gemeines juedisches Gemuet hatte, durch Cenrio bestimmt, seinen Besuch in der Nacht anzunehmen, nachdem das Wurzelmaennlein mit einem Schlaftrunke, den er ihr mitgeteilt, zur Ruhe gebracht sei. Auch Braka wusste darum und sollte in ihrem Bettplatze vikariieren, weil der Kleine so eifersuechtig war, dass er selbst schlafend einen Finger von ihr in Haenden hielt; dies war seine einzige Art, ihr zu liebkosen, dass er diesen Finger zuweilen kuesste. Der Erzherzog war in das Haus geschlichen, als der Kleine, ueber die zweite Bella noch immer sehr verwundert, kaum zur Ruhe gebracht worden; er musste lange harren, ehe Golem Bella sich losmachen und zu ihm kommen konnte, und jetzt war seine Neugierde aufs hoechste gespannt, wie es ihr ergangen und wie sie dem Herrn von Cornelius vermaehlt worden, was aus der Golem geworden sei, die er vom Juden habe nachbilden lassen, um ihren Mann zu taeuschen. Golem Bella antwortete auf das alles so natuerlich, dass er keinen Argwohn schoepfte, sie selbst moechte diese Puppe sein: insbesondre, da er die taeuschende Kunst der Sinne fuer unfaehig achtete, sein scharfes Auge zu taeuschen. Sie sagte ihm, dass Cornelius aus Argwohn gegen sie, als ob sie mit dem Erzherzoge ein Verstaendnis habe, erst sehr boese gewesen und sie dann gezwungen haette, sich ihm im naechsten Dorfe zu vermaehlen, wofuer sie in der Liebe des Erzherzogs eine Entschaedigung zu finden hoffe. Die geheimnisvolle Stunde war nicht zu langen Eroerterungen geschaffen; der Erzherzog hatte die Zauberei spielend herausgefordert, seine Lueste zu beguenstigen, diesmal taeuschte sie ihn um seine Lust; in der Liebe ist alles so ehrlich, dass jeder Betrug, wie ein falscher Stein in dem prachtvollsten Ringe, das freie Zutrauen stoeren kann, und betrog nicht der Erzherzog Bella, als er sie durch sein Kunststueck in seine Gewalt brachte? es war nicht Liebe allein, es war der Wunsch in ihm, sich zu raechen, weil er sich betrogen glaubte, dass er sie so wild und rasch seiner Lust opferte.

Als der Morgen daemmerte und die Kraehen, die einzigen Singvoegel grosser Staedte, schrien, als ihn Cenrio erweckte, da konnte er nicht begreifen, was ihm mitten im Genusse gefehlt hatte; sein ganzes Herz war traurig und schwer, weil es nicht jubeln konnte, wie damals, als er sich von Bella in Buik trennte; ja es war ihm, als sei es ein anderes Wesen gewesen, die bei ihm geschlummert, und waere sie nicht frueher fortgeschlichen gewesen, er haette sicher die dunkeln Locken von der Stirn erhoben, um das Wort des Todes zu entdecken. Er verfluchte die Nacht und schwor sich, nie wieder diesen Weg zu gehen, auf welchem er sich verkleidet in sein Schloss schlich, wo ihm Cenrio erst erzaehlte, welche Gefahr er gelaufen, von dem alten Adrian entdeckt zu werden.

Der alte Adrian war unterdessen in einer viel aergern Verlegenheit gewesen; gleich nachdem er den ausgestopften Erzherzog verlassen, hatte er sich ernste Vorwuerfe gemacht, dass er auf den Gedanken gekommen, die Liebschaft des Erzherzoges zu beguenstigen. Er haette Bella ohne Barmherzigkeit verstossen, wenn er nicht vorher schon dem Tuersteher haette sagen lassen, das Schloss zu verschliessen, er habe das verdaechtige Maedchen schon zur Hinterpforte hinausgelassen. Die Nachtposten waren jetzt auf den Gaengen verteilt, und es haette ohne ein boeses Gerede nicht endigen koennen, wenn er so spaet noch ein Maedchen aus seinem Zimmer entlassen haette; er musste sich also in zagender Geduld fuegen und der armen, mueden Bella sein eignes Bette zum Nachtlager anweisen, waehrend er sich selbst vornahm, sich durch ein hartes Busslager von jeder Versuchung frei zu halten. Seine Verlegenheit ging aber bald an, als ihm unwiderstehlich nach dem Wasserglase verlangte, das sich Bella an ihr Bett gesetzt: es war das einzige, und es draengte ihn der Durst, dass er aufstehen musste und Bella, vom festen Schlafe roetlich angewaermt, schnell atmend in schoener Lage erblickte. Ihm war nie solch ein Anblick vorgekommen, und er konnte es selbst nicht recht begreifen, warum er so langsam trinken musste und gar nicht fertig werden konnte, die einzelne Fliege abzuwehren, die immer zu dem schlafenden Engel zurueckkehrte; endlich stach ihn selbst eine Art Goetterverehrung, die bis dahin nur ganz aeusserlich aus den roemischen Dichtern in seine Rhetorik uebergegangen war. Venus war jetzt Fleisch geworden, er rief sie in Horazens Versen leise an, und wer weiss, wozu ihn diese laeppische Schulweisheit verfuehrt haben moechte, wenn er nicht mitten in seiner Adonisrolle seine Tonsur und sein graues Haar im Spiegel gesehen haette. ihm schauderte, es war ihm, als habe er einen Heiligen gesehen, der sich im Nachtmahlwein vor seinem Tode betrunken. Er legte sich seufzend auf die harten Dielen, konnte aber nicht schlafen, denn seine Gedanken waren immer beschaeftigt, bald reuig, bald suendig, bald wie er sich aus der Verlegenheit ziehen sollte, wie er Bella fortschaffen und doch fuer sie sorgen koennte; auch war es ihm zumute, als koennte er sie nicht von sich lassen. Allmaehlich verweilte sein Auge bei den Kleidern eines Knaben, der ihm lange aufgewartet hatte, und den er wegen seiner Tuecken endlich fortgejagt hatte; diese schienen ihm geschickt, das Maedchen unbemerkt aus dem Hause zu fuehren. Als Bella aufwachte, sich die grossen Augen rieb und erschreckend fragte, wo sie sei, und fast weinte, hatte der gute Alte erst genug zu troesten. Er betete ihr ein Ave Maria, das sie ihm fromm nachsagte, dann erst erzaehlte er ihr, dass sie sich in Geduld fuegen muesse, er koenne sie nicht zum Erzherzoge fuehren, das sei gegen sein Gewissen; aber er wolle fuer sie sorgen, ob sie ihm nicht einen Rat geben koenne, wo sie unterzubringen, da er niemand kenne. Sein voriger Knabe, der habe bei armen Verwandten gewohnt und sei morgens und abends gekommen, um sich zu erkundigen, ob er fuer ihn etwas zu laufen oder sonst zu verrichten habe; wenn sie dessen Kleider anlegen wolle, koenne sie ihm dieselben Dienste, welche ihm die vornehmen Hoflakaien immer unordentlich versorgten, in den Kleidern des Knaben verrichten. Bella nahm alles an, was ihr der Alte riet, denn sie sah die Moeglichkeit, den Erzherzog in dieser Verkleidung zu sehen, und das war jetzt ihr einziges Verlangen; sie eilte zum Ankleiden des neuen Staates, aber ihr fehlte alle Kenntnis, wie sie diese verschlitzten und vielfach mit Haken und Oesen verbundenen Beinkleider und den Wams anlegen sollte, so dass ihr der alte geistliche Herr nicht ohne Lachen dabei helfen musste. Sie erzaehlte ihm, dass sie wieder nach dem Landhause zurueckkehren und sich dort verstecken wolle; ihre Haut wisse sie durch Pflanzensaefte so zu braeunen, dass niemand sie fuer ein Maedchen halten sollte. Adrian sah wohl die Klugheit ihres Volks bei allen ihren Aeusserungen, aber er fuerchtete sich doch vor Verrat und war gar sehr erleichtert, als er sie aus dem Schloss entlassen ueber den Platz hinschreiten sah, wo die Buben, welche einen Reifen trieben, ihr in der Meinung zuriefen, es sei ihr alter Kamerad, der vorige Knabe Adrians.

Das war seine letzte Angst fuer diesen Tag; nachher eilte er zum Erzherzoge, und als er ihn noch schlafend fand, der die Nacht versaeumt hatte, schuettelte er ihn auf und hielt ihm eine lange Strafrede ueber die Traegheit, dass in ihr, wie in einem bodenlosen Meere, kein Anker der Tugend fassen koenne, sondern verloren gehe. Den Abend habe er ihn nicht stoeren wollen, denn die Stunden vor Mitternacht seien der edelste Schlaf, wo eine einzige fuer Koerper und Seele mehr wert als zwei nachher; jetzt aber, wo ihm die Sonne in die Naseloecher scheine, sei das Schnarchen etwas ganz Ungeziemendes.

Er konnte stundenlang so fortreden und brachte diesmal den Erzherzog aus einem Schlaf in den andern, so dass der alte Herr endlich unmutig aufstand und Cenrio die Beweise vortrug, dass jenes vermeinte Werk des Petrus Lombardus, was er in Buik aufgefunden, entweder erdichtet oder aus einer Zeit des Verfassers sei, wo er seinen Geist und seine Grundsaetze schon aufgegeben haette. Cenrio tat verwundert; heimlich lachte aber der Schelm, dass die alte Scharteke dem gelehrten Manne so viel Studium gekostet; er fragte ihn dann nach der merkwuerdigen Sternenjunktur, die er in Buik beobachtet, worauf ihm Adrian deutlich machte, dass in der Nacht ein maechtiger Herrscher im Morgenlande gezeugt sei, wo aber, das koenne er nicht herausbringen. Auch hierin fand sich Cenrio heimlich wieder viel besser unterrichtet, ungeachtet ihm einige Dinge im Kopfe herumgingen, die er nicht bequem reimen konnte, vielleicht weil die Natur bloss Assonanzen machen wollte, er hatte nicht herausbringen koennen, wo die Golem Bella geblieben; auch wusste er nicht, wie Bella wieder zur alten Frau von Braka zurueckgekommen, nachdem sie von dieser in den Armen des Erzherzogs zurueckgelassen, Dinge, die er aus Zeitmangel und aus Ueberfluss an Zeugen mit dem Erzherzoge noch nicht ueberlegen konnte. Nachdem der Alte das Zimmer verlassen mit den Worten: "Kurios, kurios, ich gaebe was darum, dies Wunderkind zu entdecken!"

so wendete Cenrio seine Fragen an den Erzherzog, der nicht wenig erstaunt war, da er selbst in seiner Lust nach einer verlornen Bella geschmachtet hatte.

"Gewiss ist jene verloren, die ich liebte, die im Tor meines Lebens wie die zarte Morgenroete vor der hellen Sonne verschwunden ist, statt des Goetterbilds habe ich eine irdische Gestalt umarmt, die mich in niederer Glut an sich zieht, und vor der mein Herz zurueckweicht. Ach, dass Millionen auf mich blicken! Duerft’ ich ein armer Pilger werden, wie wollte ich die Welt durchirren, meine Klagen allen Winden singen und sie aufsuchen, der ich ewig gehoere, und wenn ich sie nicht faende, als Einsiedler in den stillen Kapellen des Monserate vertrauern: Cenrio, das waere, was ich mir wuenschte, und da ich es nicht erreichen kann, da werde ich auch vieles nicht erfuellen, was die Welt von mir will."

Cenrio gehoerte zu den verkehrten Fuerstenhofmeistern, die jeden ernsten Gedanken wie eine Zugluft von dem verehrten jungen Leben abhalten moechten. Sie wollen sie im Genusse bilden, und der Genuss eines Fuersten ist so beschraenkt und die Entsagung so ueberschwenglich; der Scherz bleibt vor ihrer Tuer stehen, und der Ernst herrscht wie ein alter Geist im Schlosse. Cenrio versprach dem Erzherzoge, in Buik alle Erkundigungen einzuziehen, um das Raetsel zu erklaeren, und eilte dahin.

Unterdessen wurde der Herr von Cornelius bei dem Erzherzoge angemeldet, und dieser nahm ihn an, weil er der Golem zur Sicherheit ihres Verhaeltnisses versprochen hatte, ihm eine Anstellung zu schaffen, insofern er von vielen Herren seines Standes ein Zeugnis braechte, dass er ein Mensch sei.

Der kleine Kerl war schon den ganzen Morgen herumgelaufen und hatte sich die Meinungen der Herren, ob er ein Mensch wirklich sei, aufschreiben lassen, sah aber zu seinem Erstaunen, dass bei allen mehr oder weniger Zweifel darueber obwalteten. Die Zeugnisse waren immer nur bedingungsweise ausgestellt, so sagte von ihm der Baron Vanderloo: Wenn er hinter einem Tische saesse, wuerde man ihn schon fuer einen ordentlichen Menschen passieren lassen, er duerfe aber niemals aufstehen wegen unverhaeltnismaessiger Kuerze seiner Beine, welche ihm Aehnlichkeit mit einem verkleideten Dachshunde gebe.

Herr von Meulen erklaerte, er wuerde durchaus untadelhaft sein, aber seine Mutter muesse einen zu heissen Leib gehabt haben, darueber sei er, wie ein allzu scharf gebackenes verbranntes Brot, aufgerissen und zusammengekrochen.

Graf Egmont schrieb auf den Umlaufzettel: Da es eine Hauptkunst sei, dem Feinde in gewissen Kriegsfaellen seine Staerke zu verbergen, so koennte er sehr nuetzlich in einer Hosentasche jedes tuechtigen Soldaten angestellt werden, die Muskete auf dessen Hosenknopf anlegen und den Feind durch einen ganz unerwarteten Schuss aus den Hosen des Soldaten erschrecken.

Diese und aehnliche Meinungen, die jeder ihm, als sehr guenstig fuer seine Anstellung, eingeredet hatte, brachte der Kleine jetzt dem Erzherzoge, der sie mit verbissenem Lachen durchlas und ihm dann eine ihm angemessene Anstellung in einem Regimente versprach, das er bald errichten wolle, und wozu er neue Art von Helmen erfunden, die durch eine Schelle sich hoerbar und durch zwei lange Ohren sichtbar machten. Der Kleine war ueber die nahe Erfuellung seiner Wuensche entzueckt; er hatte noch nie einen Schalksnarren gesehen als in Buik, und da hatte er ihn fuer eine militaerische Person gehalten und die Gewalt seiner Waffen gegen ihn versucht. Er war deswegen auch sehr bereitwillig, den Erzherzog bei sich zu empfangen, der sich nach seiner jungen Frau erkundigte und sie kennen zu lernen wuenschte. Derselbe Tag noch wurde zu einem Feste bestimmt, das Herr von Cornelius in seinem Hause geben sollte. Der Erzherzog fuehlte, trotz der unbefriedigten Nacht, trotz der Vermutung, eine Zaubergestalt treibe ihren Spott mit seiner Liebe, eine unwiderstehliche Begierde zu diesem Golem. Es war ein Drang andrer Art, als er geahndet, aber er konnte ihn doch nicht abstreiten, nicht zurueckweisen; auch konnte er nicht leugnen, dass diese Empfindung etwas Bestimmtes, etwas Moegliches forderte, waehrend jene sich vielleicht ins Unendliche traumartig ausbluehte; ja in diesem Zwiespalte seines Gemuetes schien ihm das Wesenlose, das Ungewisse in jenen hohen Freuden leer und veraechtlich gegen diesen erkannten Sieg seiner Sinne.

Bella war am Morgen traurig den Weg nach dem Landhause gewandelt, wo sie durch einige bekannte Loecher in der Gartenmauer unbemerkt einzuschluepfen hoffte. Es begegnete ihr aber in der Naehe des Kirchhofes der arme Baernhaeuter, der sich beim Ueberzaehlen seines verdienten Schatzes im Sarge etwas zu lange verweilt hatte; als er Bella erblickte, konnte er sich der Traenen nicht enthalten, sondern fasste ihre Hand und fragte, was die liebe, junge Herrschaft mache, er habe es gleich bemerkt, dass sie von einer falschen, nachgebildeten Figur verdraengt sei, aber aus Furcht, seinen Dienst zu verlieren, habe er nichts zu sagen gewagt. Bella bat ihn zu schweigen: seit dem Empfange in dem Hause habe sie einen unwiderstehlichen Widerwillen gegen Braka, Cornelius und alle bekommen, dass sie sich nie entschliessen koennte, ihre fuerstliche Freiheit dem Zwange der Stadt zu unterwerfen; sie wolle wieder in ihrem alten Hause leben, bis sie freie Leute ihres Volkes antreffe. Dann fragte sie ihn aus, wie sich alles begeben, und warum er an dem Abende nicht erschienen. Da erzaehlte er ihr, dass er von der falschen Bella ausgestellt worden sei, um den Erzherzog durch die Hintertuere einzufuehren, der erst spaet anlangen konnte. Bei diesen Worten verschloss Bella den Mund des Baernhaeuters; sie wollte nichts mehr hoeren, nachdem diese unselige Betruegerin ihr auch das letzte, was sie auf Erden reichlich troestete, die Liebe des Erzherzogs, entwendet hatte. Der Jammer fuellte ihre Seele, und es fiel ihr wie ein Stein vom Herzen, als sie weinen konnte; sie hing sich an den Baernhaeuter und liess ihn wohl eine Stunde nicht los; ein Glueck, dass den Weg wenig Leute gingen, es haette sonst Aufsehen gemacht. Der Baernhaeuter war bald in ein neues Rechnen in Gedanken gekommen, wie lange er noch dienen muesse, und so liess er die Traenen an sich voruebergehen, wie eine Muehle den schoensten Wasserfall, sie ist zufrieden, dass nur ihr Rad dabei gehen kann. Zuletzt, als er fuerchtete, zu spaet zu kommen, wusste er sich nicht anders loszumachen, als dass er eine Pflaume, die wurmstichig vom nahen Baume gefallen war, aufdrueckte und sprach: "Wieviel gluecklicher ist doch solch eine Made als wir Menschen, je laenger sie lebt, je suesser wird die Frucht am Baume; was ich aber als eine Undankbarkeit an dem Tiere betrachte, ist wohl, dass sie alles in ihr Zimmer macht und sich dadurch ihren eignen Lebensgenuss verdirbt."

Der einfaeltige Kerl dachte nicht, dass sein eignes Sammeln ins Leben nichts anders gewesen war, als was die Maden in der edlen Frucht anhaeufen. Bella war zu traurig, um ihn darauf aufmerksam zu machen, sie liess ihn aber los, und er verliess sie eilig mit den heiligsten Versicherungen, er wolle fuer eine Kleinigkeit jede Nacht zu ihr kommen und einholen, was sie brauche.

Sie dachte nicht, was sie noch brauchen koenne; ihr fehlte alles. Gleichgueltig gegen alle Welt ging sie, ohne eine Vorsicht zu brauchen, nach dem Gespensterhause und oeffnete die Tuere in der ihr bekannten Art. Keine Betrachtung ueber die Veraenderlichkeit ihres Schicksals stoerte sie; ganz entehrt fuehlte sie sich, seit der Erzherzog sie nicht mehr liebte, ohne Sicherheit und Wuerde; sie wollte ihn vergessen, und doch war es ihre Angst, wo er eben sein moechte. Auch war es dieser Gedanke mehr als der Hunger, der sie abends nach dem Schlosse zurueckfuehrte, wo sie aber diesmal Adrians Zimmer verschlossen fand, weil er mit einigen Geistlichen darin disputierte. Als sie unbestimmt auf dem dunklen Gange des Schlosses stand, kam der Erzherzog und hielt sie in der schwachen Beleuchtung fuer den ehemaligen Knaben Adrians, den er sich durch kleine Geschenke lange zu eigen gemacht hatte; er rief ihm zu, eine Fackel zu nehmen und ihm nach dem Hause des Herrn von Cornelius vorzuleuchten. Bella erfuellte eilig seinen Befehl, zuendete eine Fackel und ging voran. Der Erzherzog war in heftiger Bewegung: ein geheimer Freund war aus Spanien mit der sichern Nachricht angekommen, sein Grossvater koenne nur wenige Tage noch mit dem ihn lange bedrohenden Tode kaempfen; umsonst suche er dem Tode zu entfliehen und ziehe aus einer Stadt in die andre, wie andre Kranke aus einem Bett in das andre. Carvajal, Zapara und Vargas haetten ihm endlich die Naehe seines Todes vorgestellt, und er haette, sein Unrecht gegen Karl zu verbessern, statt Ferdinands den Kardinal Ximenez zum Reichsverweser ernannt und die rechtmaessige Erbfolge Karls unangefochten gelassen. Der magnetische Kreis der nahen Herrschaft bewegte Karls herrschendes Gemuet so unruhig wie ein Nordlicht die Magnetnadel; dabei war er so in sich versunken, dass er keinen Blick auf Bella warf, sondern, ohne darauf weiter zu achten, dem Schein der Fackel nachlief und Bella befahl, vor dem Hause bis zu seiner Heimkehr zu warten.

Die arme Bella! sie loeschte ihre Fackel wie ein guter Genius, der nicht mehr helfen kann. Der ernste Blick und Ton des Erzherzogs hatte allen ihren Mut, ihn anzureden, niedergeschlagen; sie gab ihn ihrer Liebe verloren und war in sich still versunken, als sie das Geschrei einer Musikantenbande aus ihrer Schmerzenstiefe erweckte. Sie hoerte nichts von dem Liede, womit sie sich eine Gabe aus dem erleuchteten Hause zu erflehen suchten; die Erinnerung ihrer Retter aus den Haenden der Alten stieg in ihrem Herzen auf, zugleich die Erinnerung jener ueberstandnen Angst; sie zagte fuer ihre Zukunft und wusste doch nicht, was sie noch verlieren koennte. Es wohnt aber in den Menschen, die zu einer grossen, allgemein wirkenden Aeusserung, von hoher Hand vorbereitet, sie noch nicht erkennen, eine erhaltende Kraft, die ihnen im gewoehnlichen Kreise das Ansehen der Zaghaftigkeit geben kann; ihren grossen Lauf ahndend, scheuen sie die hemmende Kraft des schlechten, und nur ein ganz erfassender Glaube kann ihnen in den Unbedeutendheiten des Lebens die Zuversicht und Dreistigkeit geben, die ihnen im grossen nie fehlt. Bella fuehlte ungeachtet ihrer Vernichtung einen erhaltenden Wunsch in sich. Ihre Hilflosigkeit, und was ihr im Gedraenge der Menschen; die nachts in der Hauptstadt umherschwaermten, geschehen koennte, erschreckte sie; sie verkroch sich zwischen den Saeulen einer kleinen Kapelle der heiligen Mutter, die neben ihrem ehemaligen Hause ganz verlassen unerleuchtet stand. Diese Bande von Musikern, welche sich vor dem Hause hoeren liess, unterschied sich aber gar herrlich von jenen rohen Saengern auf der Kirmes. Es waren weder Bettler noch Diebe, sondern junge Leute aus allen Staenden, die sich abends zusammenfanden mit ihren Lauten und allerlei Lieder, so gut ein jeder sie wusste, absangen. Was sie einnahmen, verjubelten sie entweder zusammen gegen Morgen, ehe sie voneinander schieden, oder sie schenkten es den Maedchen, die sie mitzugehen beredet hatten. Diese Saenger waren in den Staedten so beliebt, dass die Eltern ihre Kinder abends nicht eher zu Bette bringen konnten, bis der Zug voruebergegangen, und wenn auch die Knaben den Trommelschlag vorzogen und ihm nachliefen, der abends den Torschluss verkuendigte, die kleinen Maedchen hoerten lieber die Saenger und folgten ihnen bis an die Strassenecke. Mancherlei freche und traurige Lieder waren unbemerkt vor Bellas Ohren voruebergegangen, als ein junger fahrender Schueler sich vor der heiligen Mutter hinstellte, dass die hellerleuchteten Fenster des Hauses sein trauriges Gesicht erleuchteten; dann sang er ein Lied, das damals allgemein gesungen wurde und in seinen Schicksalen vielleicht eine besondre Ruehrung vorfand:

Die freie Nacht ist aufgegangen, Unsichtbar wird ein Mensch dem andern, So kann ich mit den Traenen prangen Und hin zu Liebchens Fenster wandern. Der Waechter rufet seine Stunden, Der Kranke jammert seine Schmerzen, Die Liebe klaget ihre Wunden, Und bei der Leiche schimmern Kerzen.

Die Liebste ist mir heut gestorben, Wo sie dem Feinde sich vermaehlet, Ich habe Lieb’ in Leid geborgen, Ihr Traenen mir die Sterne zaehlet. Wie herzhaft ist das Licht der Sterne, Wie schmerzhaft ist das Licht der Fenster, Ein dichter Nebel deckt die Ferne, Und ich umspinnen die Gespenster.

Im Hause ist ein wildes Klingen, Die Menschen mir so still ausweichen, In Mitleid mich dann fern umringen: So bin ich auch von euresgleichen? Mich hielt der Wald bei Tag verborgen, Die schwarze Nacht hat mich befreiet. Mein Liebchen weckt ein schoener Morgen, Der mich dein ew’gen Jammer weihet.

Wie oft hab ich hier froh gesessen, Wenn alle Sterne im Erblassen, Ach, alle Welt hat mich vergessen, Seit mich die Liebste hat verlassen: Nichts weiss von mir die gruene Erde, Nichts weiss von mir die lichte Sonne, Der Mondenglanz ist mir Beschwerde, Die Nacht ist meiner Traenen Bronne.

Hier hielt er inne, schlug seinen Mantel ueber die Arme, zog eine kleine Laterne hervor, holte eine brennende Kerze heraus und stellte diese vor das Bild der heiligen Mutter; dann sang er in veraendertem Ton:

Nichts weiss von mir die liebe Mutter, Nichts weiss von mir der gute Vater, Doch zuend ich ein Licht der heiligen Mutter, Doch glaub ich an einen himmlischen Vater.

Als das Licht den jungen Mann erhellte, da erinnerte sie sich, ihn mehrmals vor ihrem Hause erblickt zu haben, wenn sie zufaellig nach der Strasse gesehen. Nicht ohne Grund glaubte sie sich die Ursache seiner Trauer, weil er sie vermaehlt glaubte. Welche treue Liebe war ihr unbekannt geblieben, waehrend der Liebling ihres Herzens, dem sie sich so ausschliesslich hingegeben, sie in leichtsinniger Taeuschung verlassen hatte. Sollte sie sich ihm wie ein Almosen hingeben? Sie war sich nichts mehr wert! sie konnte ein frommes Leben mit ihrer Liebe retten. Schon wollte sie zu dem Betenden hinspringen und sich ihm zu erkennen geben und ihrem Hause und ihrem Volke entsagen, als der Mond an dem hohen, pyramidalen Kirchturm, der vor ihr wie ein Schatten stand, wie das Licht eines Leuchtturms emporstieg, und sie dachte der Pyramiden Aegyptens und ihres Volkes, und die Gedanken machten sie ihres Schicksals fast vergessen. Inzwischen trat ein Knabe, der mit einem Teller, worauf ein Licht geklebt war, im Kreise herumgegangen war, auch zu ihr; sie sah auf dem Teller ausser einigen Birnen und Aepfeln, Gaben der Kinder, kleine Ersparnisse vom Abendbrot, nichts liegen. Sie fuehlte einen quaelenden Durst und meinte, es werde ihr geboten, nahm einige Birnen und fuehrte sie zum Munde. Der Knabe sah sie verwundert an, dann sagte er ihr, sie moechte bezahlen. Sie griff in Verlegenheit nach den Taschen und meinte darin Geld zu finden; es war aber nur ein abgerissener Knopf, den der vorige Knabe darin vergessen. Als sie ihn auf den Teller legte, lachte der Knabe und rief die lustige Bande herbei. Da hiess es gleich, wenn er kein Geld zum Zahlen habe, muesse er ein Lied zum besten geben. Bella verging fast in Angst; kein Lied wollte ihr einfallen, sie wurde gezogen und bedraengt. Endlich stiess sie an einen Stein, und da sang sie im Schmerz.

Wer sich an den Stein gestossen, Springt in die Hoeh Mit Ach und Weh: Wollet ihr das Tanzen nennen? Wen die Liebe hat verstossen, Singt in die Hoeh Mit Ach und Weh: Wollet ihr das Singen nennen? O Schmerz, wie soll ich dich singen, Du bist mir zu schwer! O Herz, wem soll ich dich bringen, Dich will keiner mehr; Verlorn ist Lieb’ und Ehr’.

Bella hatte diese Worte mit solcher Angst ihrer Kehle entpresst, dass der traurige Saenger vom Gebete aufgestanden war und, ohne sie anzusehen, den Teller mit Fruechten und Geld in ihr Barett schuettete, das sie schuechtern halb vor ihr Gesicht wie ein Becken mit Weihwasser hielt, ihre Traenen waren hineingeflossen; haette er sie erkannt, er haette ihr mehr, er haette ihr alles gegeben, denn er war ihr eigen. Aber so schoen ist eine fromme Neigung, dass sie selbst da wohl tut, wo ein hoeheres Geschick ihr keine Erfuellung gestattet. Der arme Schueler fuehlte sich durch die kleine Wohltat, er wusste nicht wie, erleichtert. Seine Bescheidenheit erlaubte ihm nicht, dem er wohl getan, ins Auge zu sehn, darum zog er die Bande mit seinem schoenen Gesange weiter, dass sie den armen Burschen, dafuer hielt er Bella, nicht weiter mit Anforderungen zum Singen aengstigten.

Als Bella allein war, warf sie sich an die Stelle nieder, wo der arme Schueler im Staube gekniet hatte, wo er sein Licht und einen Blumenstrauss zurueckgelassen. Die Blumen dufteten so angenehm zu ihr, und die heilige Mutter sah so liebreich zu ihr herab, dass sie fuehlte, die Suende ihres Volkes sei vergeben: "Heilige Mutter", seufzte sie, "hast du verziehen unsre Missetat, nimmst du uns auf, nachdem wir dich verstossen?"

Da glaubte sie, die heilige Mutter nicke ihr freundlich zu, und ihr Herz schwamm in Andacht so selbstvergessen, dass sie den Schwarm der Gaeste kaum wahrnahm, die um Mitternacht das Haus verliessen.

Ein paar trunkene Edelknaben des Erzherzogs erzaehlten, dass sie den kleinen Cornelius, als er vom Mohnsafte eingeschlafen, unter den Ofen gesteckt und ihn an den vier Ofenfuessen mit Armen und Beinen schwebend angebunden; es sei schade, dass man noch nicht einheize, er wuerde sonst den Gesang der Maenner im feurigen Ofen sehr natuerlich anstimmen koennen. So gingen sie vorueber, ohne Bella zu bemerken, die sie ebenfalls nicht beobachtete und endlich, als das kleine Licht des Schuelers erloschen war, gleichsam mit offenen, sehenden Augen in eine andre Welt getragen wurde. Sie sah ein Kind in ihrem Schosse, das dem Erzherzoge gleich, vor dem sich zahlreiche Voelker beugten; sie war ganz verloren in dem Anblick.

Aber mitten aus diesem Entzuecken weckte sie die geliebte Stimme des Erzherzogs mit den Worten: "Wach auf, Knabe, zuende deine Fackel und leuchte mir vor!"

Sie taumelte auf und sah Golem Bella, die mit einem Lichte ihn bis vor die Tuere begleitet hatte. Sie war in einen schwarzen Mantel gehuellt. Der Erzherzog, den die sinnliche Gewohnheit mehr ergriffen, den die hoeheren Forderungen der Liebe in der Unruhe weniger gestoert hatten, naeherte sich ihr und sprach: "Also morgen abend bin ich wieder bei dir und uebermorgen wieder, und so alle Naechte, ja auch die Tage, wenn ich erst ganz frei der Herrscher eines maechtigen Volkes bin, das wie wir die Torheiten des Lebens in freudigem Genusse vergessen soll!"

"Vergiss nicht die Perlen, die du mir versprochen", sagte Golem. Bella hatte jetzt an ihrem Lichte ihre Fackel entzuendet. Ihr Barett lag noch mit den Fruechten in der Kapelle, und da ihre Knabenkleidung vom Mantel bedeckt war, so erschrak der Erzherzog, der sie ganz wie am Fruehlichte in Buik wiedererkannte, fuhr mit seiner Hand gegen seine Stirne und rief: "Heiliger Gott, es sind ihrer zwei!"

"Muss ich dich wiedersehen, du Vorgeschaffene Gottes, muss ich an dir schaudern, dass ich nicht lebe?" schrie Golem und stach mit einer pfeilfoermigen, goldnen Haarnadel nach ihr. Der Erzherzog aber, dem alles im Augenblicke schrecklich klar wurde, was er sich bisher abgestritten hatte, hielt Golem Bella bei den Haaren zurueck, deren Flechten niederfielen; er sah die Schrift auf der Hoehe der Stirn, das Aemaeth, loeschte die erste Silbe rasch aus, und im Augenblicke stuerzte sie in Erde zusammen. Der Mantel lag ueber der formlosen Masse, als ob eine Magd, die in der Stadtsandgrube sich Sand ausgegraben hat, weggerufen wird und ihren Mantel darueberlegt, damit kein andrer ihr den Haufen wegnimmt.

Aber weder der Erzherzog noch Bella hatten ein Verlangen nach diesem irdischen Schatze. Der Erzherzog hob Bella rasch auf, dass ihr die Fackel aus der Hand fiel, und trug sie in seinem Mantel nach dem nahen Brunnen, wo er des klaren Wassers reinigende Kraft ueber sein Antlitz und seine Haende hingehen liess, gleichsam um jede Spur dieser falschen Beruehrung mit der Erde zu tilgen. Und als er sich in Unschuld gewaschen, kuesste er die geliebten Lippen der echten Bella, bekannte ihr, wie diese Irrungen veranlasst worden waeren, und bat sie, ihm ihr Geschick, und was sie in diese Kleider gebracht, zu bekennen. Bella sah sich wieder in dem Besitze des verlornen Schatzes, und doch atmete sie noch schwer und haette doch gern ganz froh und heiter sich angestellt. Es waren dieselben geliebten Zuege, aber ohne den farbigen Fruchtstaub, den das Anfassen der neugierigen Welt so leicht von dem unschuldigen Leben hinwegwischt, was uns Weintrinkern wie ein edles Fass vorkommt, das mit einer geringeren Menge unedlen Gewaechses aufgefuellt worden: der Wein ist darum doch klar, edel, aber nicht mehr rein. Karl war heiter, aber er wollte es auch sein, um seine Verirrung auszutilgen, der er doch zuweilen nachgaehnte, und als ihm Bella ihre Geschichte erzaehlte, da wurde ihm das Ereignis mit dem alten Adrian so hervorstechend in seiner absichtlichen Laune, dass Bella ihm ihre unsaegliche Trauer und ihr Entsagen und ihren Wunsch nach Aegypten nicht mitteilen konnte. Karl, den mitten in Liebkosungen die Freuden naher Herrschaft beunruhigten und erkaelteten, beschloss, dem Adrian, den er zur Bewachung des Ximenez nach Spanien senden wollte, nach dieser feierlichen Bestallung einen lustigen Streich zu spielen, damit er das Ende seiner Hofmeisterschaft deutlich fuehle.

Es sollte naemlich in dieser Nacht ein grosser Staatsrat gehalten werden, worin Adrian praesidierte; am Schlusse desselben sollte Bella hereintreten und ihn verklagen, dass er sie verlasse, und ein Gericht der Liebe ueber den Kardinal verlangen. Bella, die den Erzherzog so heiter sah, wollte gern an ihres Karls Seite ihre ueberstandene Trauer vergessen, wenn sie gleich zu diesem Scherz allzu beklommen war; sie glaubte es aber ihre Schuldigkeit, alles Kraenkende zu vergessen, insbesondre da der Erzherzog ihr versprochen, fuer sie und fuer ihr zerstreutes Volk nachher etwas Bedeutendes zu tun.

Nach dieser Verabredung gingen sie still ins Schloss zur Hintertuer ein. Der Erzherzog goennte Bella auf seinem Bette einige Ruhe, gab ihr Erfrischungen und verliess sie endlich recht ungern, um ueber die Schicksale der Welt zum erstenmal einen Rat zu hoeren und eine Tat auszufuehren. Die Versammlung bestand aus Adrian, Chievres, Wilhelm von Croy, dessen Neffen, und Sauvage. Als der Erzherzog eintrat, bemerkte er, nicht ohne Regung seiner Eitelkeit, die verschiedne Art, wie sie ihn jetzt begruessten. Jeder spekulierte in seinem Herzen, welche Vorteile ihm aus diesen nahen Veraenderungen erwachsen moechten. Fuer sie war Ferdinand, der Grossvater, nicht bloss krank, sondern schon tot, begraben und vergessen; alle bemuehten sich, den jungen Erzherzog, der ein blindes Vertrauen in ihren guten Willen setzte, gegen die Spanier einzunehmen, die nur ihre Rechte und ihren Duenkel, nicht den Ruhm und die Macht ihrer Koenige zu foerdern suchten. Der Erzherzog liess sich leicht von etwas ueberreden, was er immer geglaubt hatte; der frueher von Chievres ersonnene Rat, den festen und treuen Adrian dem Ximenez an die Seite zu setzen, wurde angenommen, und Adrian sollte schon am naechsten Morgen sich nach Spanien einschiffen, ohne die sichre Nachricht von dem wirklich erfolgten Tode des alten Koenigs abzuwarten.

Als dieses abgetan und alle sich entlassen glaubten, sagte Karl ernsthaft, dass er jetzt, wo er sein eigner Herr werde, ein Strafgericht ueber seinen gewesenen Hofmeister Adrian eroeffnen muesse, insbesondre, ob derselbe seine geistlichen Geluebde der Keuschheit gewissenhaft erfuellt habe. Alle sahen sich verwundert an, und Adrian, der einen solchen Ton im Erzherzoge nicht gehoert hatte und seiner Unschuld sich bewusst glaubte, verlor so gaenzlich sein kaltes Blut, dass er zornig ein geistliches Gericht verlangte, um sich der strengsten Pruefung zu unterwerfen.

"Wir wollen nicht richten", sagte Karl, "sondern nur die Zeugen verhoeren, denn diese koennte uns die geistliche List entziehen!"

Bei diesen Worten gab er das verabredete Zeichen, und Bella trat in der Livrei des Kardinals schuechtern in die Versammlung. Der Kardinal wird im Augenblicke sichtbar rot; die uebrigen wissen nicht, was der Knabe vorzubringen habe, bis der Erzherzog den Kardinal auf sein Gewissen fraegt: Ob dieses sein Diener? ob es ein Knabe? ob er es gewusst, dass es ein Maedchen? ob dieses Maedchen nicht in seinem Bette geschlafen

Adrian hatte seine Fassung so ganz verloren, dass er kein Wort vorbringen konnte; keine von den vielen Spitzfindigkeiten, die er in seinem Leben durchdisputiert hatte, fiel ihm zu seinem Schutze ein. Er sagte endlich, dass er nichts antworten wolle, es sei eine Verschwoerung gegen ihn, seine Gutmuetigkeit werde hart bestraft. Laenger konnten weder der Erzherzog noch Bella seine Verlegenheit ansehen. Der Erzherzog nahm Bella lachend in seinen Arm und rechtfertigte ihn vor der Versammlung, indem er sagte, dass er ihn angefuehrt habe, dass er ihm eine Geliebte zur Aufwartung gegeben, um sie sich selbst naeher zu ruecken. Adrian atmete wieder nach dieser Rede; die Versammlung ruehmte das fruehe Liebesgeschick des Erzherzogs. Chievres, der Karl gern zum Liebhaber seiner Frau gemacht haette, um ihn desto mehr in seine Gewalt zu bekommen, versicherte laut, er wuerde seine Frau nicht mehr mit ihm allein lassen. Der Erzherzog bat unterdessen Bella, dass sie zur Frau von Chievres, die im Schlosse wohnte, gehen und sich recht kostbar moechte ankleiden lassen, dann sollte sie mit derselben in die Versammlung zurueckkehren, noch habe er einige Akten fuer Adrians Abreise zu unterzeichnen.

Diese Ausfertigungen waren nur ein Vorwand, sich selbst eine Zeit der Ueberlegung zu verschaffen; streitige Wuensche teilten seine Seele: was er der Liebe, was er seinem Stande schuldig, ob er eine Herzogin von Aegypten heiraten duerfe, ob es nicht seinen Thron unsicher mache. Diese Beratung in ihm war noch nicht beendigt, als Bella in einem prachtvollen, silbernen Kleide, das mit roten Blumen bestreut zu sein schien, auf ihrem Haupte eine kleine goldne Krone, an der Seite der Frau von Chievres ins Zimmer trat und die Bewunderung aller durch ihren sichern Anstand gewann, so dass Sauvage und Croy einander zufluesterten, es muesse wahrscheinlich eine Fuerstin sein, die Karl heimlich zu heiraten beschlossen habe. Karl beugte sich vor ihr, fuehrte sie auf seinen hohen Stuhl und versuchte zu sprechen, aber die innere Bewegung machte es ihm unmoeglich. Chievres bemerkte diese Unbestimmtheit und glaubte, ihm einen Gefallen zu tun, wenn er ihm Zeit verschaffte; darum trat er zu ihm und erzaehlte, dass Adrian fortgegangen sei, weil ihm der Schreck ueber seinen gefaehrdeten Ruf auf seinen Magen gewirkt haette. Dieser laecherliche Erfolg seines Mutwillens loeschte fuer einen Augenblick das tiefere Gefuehl Karls. Der Streit schien ihm geschlichtet, er schien ihm unnuetz. Vielleicht wirkte auch die Erschoepfung der taetigen Nacht, als er zur Versammlung sagte: "Ich erkenne oeffentlich Isabella, die Tochter des Herzogs Michael von Aegypten, als einzige Erbin dieses Lands, als Fuerstin aller Zigeuner in allen Laendern diesseit und jenseit des Meeres und gebe ihr die Freiheit, sie alle nach Aegypten zurueckzuschicken, insofern sie selbst nur unsrer Liebe bleiben will."

Bella, die von der Rede nur wenig vernommen hatte, weil sie sein herrliches Ansehen dabei, seine Wuerde mit freundlichen Blicken bewacht hatte, fiel ihm nach deren Ende um den Hals; das befreite Karl von aller Sorge, dass sie eine Heirat mit ihm fordern moechte, und er kuesste sie mit doppelter Zaertlichkeit. Die Versammelten baten um den Handkuss, und Chievres, der gern den Neigungen seines Herrn zuvorkommen wollte, erflehete seiner Frau die Gunst, dass die Prinzess von Aegypten kuenftig bei ihr wohnen sollte, bis ihr ein eigner Palast geschafft worden sei. Karl bewilligte aus Gnade, was er frueher fuer eine Gnade der Frau von Chievres sich erbeten haette. Bella ging mit ihrer neuen Mutter nach der andern Seite des Schlosses, Karl sprach noch einige Worte mit den Versammelten. Es war schon spaet am Morgen, als sie auseinandergingen. Die Voegel sangen ihr Lied, und die politischen Menschen gingen zu Bette. Karl aber streckte sich auf eine Rasenbank im Schlossgarten, wo ihn Bella aus ihrem Zimmer ersah und nicht einschlafen mochte. Schon war in dem Hause des Herrn von Cornelius die groesste Verwirrung ausgebrochen; sein Toben unter dem Ofen, nachdem er den aergsten Rausch ausgeschlafen hatte, rief alle Bewohner in den abenteuerlichsten Nachtkleidern zusammen. Alle waren mehr oder weniger betrunken gewesen, dass sich niemand um den Herrn bekuemmert hatte, sogar der Baernhaeuter, dass er diese Nacht vergessen, nach seinem Schatze im Sarge zu sehen. Der Kleine, der schwebend angebunden hing und unter sich die Fliesen sah, die ein Meer mit Schiffen darstellten, glaubte in seinem Halbrausche, er fliege ueber dem Meere, und wollte sich damit sehen lassen. Als ihm aber die Bande geloest wurden und er mit der Nase auf dieses Meer fiel, da glaubte er sich verloren. Diese Ideen verwirrten ihn immerfort, als er schon aufgehoben und gereinigt war. Endlich sah er alles ein und verlangte in sein Schlafzimmer; aber neue Verwirrung entstand, als nichts von seiner Frau zu sehen war als das verwirrte Bette. Das war allen ein Raetsel, selbst der alten Braka und der Magd, die recht gut wussten, dass nicht alles sei, wie es sein sollte. "Sie ist wegen ihrer Tugend gen Himmel gefahren, mein Six, das Fenster ist offen", rief Braka, und das staunende Wurzelmaennlein sah ihr an dem Fenster nach, ob nicht ein Paar Beine am Himmel zu sehen. Braka troestete sich mit dem Gedanken, dass der Erzherzog fuer ihr gutes Unterkommen gesorgt haben moechte. Das Wurzelmaennchen, dem eine Schwalbe etwas in den Mund fallen lassen, sprang in liebender Verzweifelung vom Fenster zurueck, um in tausend laecherlichen Spruengen wie unsinnig durchs ganze Haus zu laufen. Als er die Tuere noch offen fand, tobte er gegen den Baernhaeuter; als er aber den Mantel der Geliebten und darin eine Masse ordinaeren Leimen fand, da wusste er nicht, warum, aber diese Erde gewann er so lieb, als sei es die Verlorne; er sammelte sie sorgfaeltig, trug sie in sein Zimmer, kuesste sie unzaehligemal und suchte sie wieder in eine Gestalt zu formen, die der Verlornen aehnlich waere. Die Beschaeftigung troestete ihn, waehrend unzaehlige Boten von ihm den Auftrag erhielten, das Land zu durchsuchen, um von ihrem Aufenthalt, wenigstens von dem Wege, auf dem sie entflohen, Nachricht zu bringen. Aber keiner wusste ihm eine Auskunft zu geben, bis endlich Braka, die sich alles Vorteils beraubt glaubte, der ihr aus der Liebe des Erzherzogs zur Golem Bella noch zuwachsen sollte, ihm die Nachricht brachte, Isabella, die Fuerstin von Aegypten, welche auf dem Schlosse angekommen und der zu Ehren alle Zigeuner Freiheit erhalten, sich oeffentlich wieder zu zeigen und ihr Brot zu erwerben, sei seine verlorne Frau. Der kleine Mann stand in Verwunderung wie erstarrt, dann guertete er sich mit seinem Schwerte und eilte nach dem Schlosse, um vom Erzherzog hierueber eine Auskunft zu fordern.

Der Erzherzog liess ihn gern vor sich kommen, hoerte ihn an, sprach, dass er die Fuerstin vor seinen Richterstuhl fordern wolle, und versammelte deswegen mehrere Herren um sich her. Der Kleine war nicht wenig eitel, dass seinetwegen solch ein Aufsehen gemacht wuerde; er stand so ritterlich in den Schranken, machte so stolze Augen, dass er, wie durch eine doppelte Brille sehend, Isabella kaum erkennen konnte, als sie in einem roten Samtkleide, mit Hermelin besetzt, Frau von Chievres in einem weissen Damast, auf dessen vorderer Flaeche Adam und Eva unter dem Apfelbaume gewebt waren, in das Zimmer traten und die fuer sie bestimmten Plaetze einnahmen. Der Erzherzog verlangte jetzt von dem Herren von Cornelius Nepos, dass er seine Klage vortrage. Dieser hatte nicht umsonst Stunden in der Rhetorik genommen, das wollte er allen zeigen und bewaehren; sehr pathetisch ergriff er die ehelichen Mitgefuehle der Versammelten, sprach von dem ersten Gluecke der Vermaehlten und von der seligen, sorglosen Ruhe, in welche es alles Streben aufloese, um in dem Erstgebornen das Herrlichste darzustellen, was die ungeschwaechte Kraft in ungestoerter Leidenschaft hervorbringen koenne, weswegen auch die Menschheit alles, was sie unteilbar erblich verliehe, nicht dem zweifelhaft groesseren Talente unter den Kindern eines Vaters ueberlassen moechte, sondern dem Erstgebornen, der in den allgemeinen Gesetzen der Natur das Uebergewicht seines Lebens begruendet finde. Auch diesen seinen kuenftigen Erstgebornen, die Freude des Landes Hadeln, wolle ihm der Leichtsinn seiner entlaufenen Frau entziehen, nicht zu gedenken, wie diese jetzige Unruhe schon seinem ersten, keimenden Leben nachteilig sein muesse.

"Der Teufel hat aus dem kleinen Kerl gesprochen", sagte Chievres leise, "Mich ruehrt doch sonst so leicht nichts, aber er macht einem seine Not so plausibel."

Der Kleine fuhr fort: "Wie soll ich aber mein Unglueck beschreiben, als ich in jener Nacht, wo das Glueck meines Lebens mir entfuehrt wurde, selbst in bangem Bette auf weitem Ozean segelte und an einem andern Bette Schiffbruch litt—gewiss eine Vorbedeutung der Schicksale meines Ehebettes -, was mich dann aufweckte; worauf ich mich wie einen Adler mit ausgebreiteten Fluegeln ueber dem Meere zur Sonne schwebend erblickte, welches doch sicher die Herstellung meines Glueckes bezeichnet."

"Ja, wahrhaftig", fiel hier Frau von Braka ein, die als Zeugin gerufen worden, "es war doch ein schlechter Streich von den jungen Windbeuteln, die ihn unterm Ofen angebunden hatten, denn sehen Sie ihn nur an, es ist doch immer nur ein schwacher, verbogener Mensch, wie leicht haette er sich einen Schaden tun koennen, dass ihm das Hinterste nach vorne umgedreht worden waere."

Diese gutmuetige Rede versetzte die Versammlung in ein allgemeines Gelaechter, und der Kleine erboste, dass er seinen Degen gegen sie zog, der ihm aber noch fruehzeitig genug von einem Hellebardierer abgenommen wurde. Jetzt ward er in aller Form des Gerichts von Cenrio verhoert, ebenso Braka, bis sie eingestanden, dass sie unter einem angenommenen Namen in der Stadt gelebt. Von den Anforderungen an Bella wollte aber keiner abgehen; sie baten, den Priester kommen zu lassen, welcher die Vermaehlung eingesegnet haette. Laenger konnte sich Bella nicht halten; sie fragte sie mit Unwillen, ob sie es vergessen, wie sie von ihnen zum Hause hinausgetrieben worden, nachdem sie von ihnen in Buik den Haenden einer verruchten Kupplerin ueberlassen geblieben; sie fragte, ob sie das an dem Kleinen verdient, als sie ihn aus einer unfoermlichen Wurzel zu einem kleinen Menschen emporgetrieben?

Der Kleine und Braka gerieten in die groesste Verlegenheit; Braka hatte indessen bald ihre Ueberlegung flott gemacht; sie setzte schnell zur Partei der Bella ueber und sagte: was sie gesprochen, sei aus Furcht vor dem kleinen Maennchen ihr in den Mund gekommen, sie muesse jetzt eingestehen, dass irgendeine falsche Gestalt unter dem Namen Bella dem Alraun vermaehlt worden sei, die jetzt, sie wuesste nicht wie, verschwunden sei; diese echte Bella muesste sie aber als Fuerstin verehren, wie sie ihr seit fruehern Jahren gedient habe. Dabei heulte sie wie eine Meute Hunde, die ihr Fressen erwarten, und warf sich vor Bella nieder.

Der kleine Wurzelmann tobte jetzt wie ein Rasender, warf seinen Handschuh hin und schwur, dass er mit jedem fechten wolle, der ihm seine Frau streitig machen oder ihn fuer einen Alraun erklaeren wollte. Chievres erklaerte jetzt, dass erst dieser letzte Punkt berichtigt sein muesse, ob er ein Mensch, um ihm ritterlichen Zweikampf einzuraeumen, ferner ob er ebenbuertig und christlicher Religion sei. Der Kleine behauptete, er habe einen Diener, Baernhaeuter genannt, der dies alles, was ihm hier abgestritten, bescheinigen wuerde, man moechte nur erlauben, dass er den herbeiholte. Dies wurde ihm bewilligt.

In der Zwischenzeit kam durch Brakas Geschwaetzigkeit an den Tag, wie der Alraun alle verborgnen Schaetze zu heben wisse und allerorten dergleichen angetroffen habe. Chievres horchte auf und sagte zum Erzherzoge: "Gott segnet ihre Hoheit mit einem Finanzminister in der kleinen Person dieses Alrauns, der ihre kuenftige Groesse fest begruenden kann; unabhaengig von den Launen der Staende schafft er Eurer Hoheit kuenftig die Mittel, jede Taetigkeit fuer sich zu benutzen. Er wird die Seele des Staates; sein Genie wird goettliche Rechte und menschliche Wuensche, die ewig einander widersprechen, ausgleichen koennen. Lange lebe der Erzherzog und sein Reichsalraun!"

Dem Erzherzoge wurde in diesem Augenblick die kuenftige Klugheit, die ihn in allen Verhaeltnissen leitete, vorahndend; er nickte Chievres wohlgefaellig zu und sann darauf, wie er das kleine, nuetzliche Wesen sich verbinden koenne. Chievres stieg in seiner Gnade und in seinem Zutrauen durch die unerschoepfliche Erfindungskraft seiner Klugheit.

Der Erzherzog begruesste diesmal den Kleinen sehr freundlich, als er mit dem Baernhaeuter hereintrat, der die zurueckgelassenen Kleider und das angefangene Bild der Golem Bella trug. Der Kleine hatte dem armen Kerl den ganzen Rest des Schatzes auf einmal zu geben versprochen, insofern er ein recht kraeftiges Zeugnis ablegte, dass es nur eine Bella gebe, dass diese ohne alle Veranlassung nach ihrer Verheiratung aus dem Hause entwichen und eine Masse Leimen, von ihren Kleidern und ihrem Mantel umhuellt, zurueckgelassen habe; zugleich solle er beschwoeren, dass er des Alrauns Eltern gekannt, die im Lande Hadeln als gute Christen und alter Adel bekannt gewesen. Der alte, tote geizige Baernhaeuter hatte ihm das alles versprochen; er trat vor und begann die verabredete Luegengeschichte. Wie aber Braka oder Bella ihn zur Rede setzten, so antwortete der neuangefressene Teil seines Leibes, gleichsam die verbesserte Ausgabe seiner Natur, ganz entgegengesetzt mit einer helleren Stimme: Mensch—Nichtmensch, Bella verheiratet—Bella aus dem Haus gejagt, durchkreuzte sich so gewaltig, dass sein Zeugnis, nachdem die Richter mehrere Bogen beschrieben, in Null aufging. Der kleine Mann wurde fast unsinnig aus Ungeduld, entriss dem armen, ganz in sich zerrissenen Baernhaeuter die Kleider und das Lehmbild, jagte ihn mit Fusstritten zur Tuer hinaus und schwur ihm, dass er den Schatz jetzt, statt ihn auszuliefern, in alle Welt als Almosen zerstreuen wolle; dass der Baernhaeuter umsonst bis zum Juengsten Tage von einem Herren zum andern sich verdingen solle, um ihn zusammenzubringen; dass er umsonst fuer einen alten Taler einen Herren dem andern verraten werde, umsonst im Kriege von einem zum andern uebergehe, um das Werbegeld zu stehlen; seine bessere frische Natur werde das schaendlich gewonnene Geld zur grossen Qual seines alten Leibes verschenken und verschleudern, und so werde er am Juengsten Tage noch so arm, abgerissen und trostlos wie im gegenwaertigen Augenblicke erscheinen(1). Nachdem der Kleine diesen Fluch ausgesprochen, wendete er sich in trostlosem Aerger zu der Lehmfigur. Chievres fragte ihn, wen diese Gestalt bezeichne. Der Kleine wies auf Bella und weinte bitterlich; wer haette aber in der langen Gurke, welche die Mitte des breiten Erdenklosses bezeichnete, die feine, zierlich geschwungene Nase der schoenen Bella erkannt. Seiner Art Liebe genuegte aber vorlaeufig dieses Bild; es war zum Erstaunen, wie zaertlich er den von seinen Traenen angefeuchteten Ton beruehrte. Der arme Prometheus! Oft sah er Bella so grimmig an, dass der Erzherzog fuerchtete, er moechte ihr das Feuer ihrer Augen ausstechen, um es seinem Erdenklosse einzupropfen. Dann fuerchtete wieder der Erzherzog, er moechte mit seinen Haenden in dem Ton einwurzeln und seine geldbringende Weisheit in der Rueckkehr zur Wurzelnatur aufgeben. Er und Bella hatten laengst erraten, dass dies der irdische Rest des Golems sei, und ihnen graute davor(2).

----------------------- (1) Der Fluch war etwas lang, aber er gehoerte ausfuehrlich hieher, wenn sich etwa ein solcher Bedienter oder ein solcher Soldat, mit falschen Zeugnissen versehen, irgendwo melden sollte; ein jeder kann ihn leicht aus der zweierlei einander widersprechenden Rede erkennen und meiden.

(2) O ihr kunstschwatzenden Menschen, die ihr in alles sinnige Treiben unserer eigentuemlichen Natur mit ewig leerem Widerhall von griechischer Bildung hineinschreit, euch muss ich, der Erzaehler, hier anreden! Ihr duenkt euch wohl hoch ueber die Arbeit des Alrauns erhaben, aber ich schwoere euch, eure leeren Augen, mit denen ihr vor den alten Goetterbildern steht, euer leeres Herz, das sich in tausend abgelebten Worten darueber auslaesst, sieht in den herrlichsten Schoepfungen des Altertums viel weniger als der arme Kleine in seiner halbgebildeten Masse; denn was sie ist, das wurde sie durch ihn, und wie er bis dahin gelangt, so wird er weiter dringen. Von euch ist aber nichts uebergegangen zu den Goettern und von den Goettern nichts zu euch. Euch sind die kunstlebendigen Goetterbilder Golems, und loesche ich euch die Worte aus, so sind sie euch in nichts zerfallen. Leugnet ihr das? Auf, so schafft etwas Eigenes, das ihr zu jenen stellen koennt, ohne dass ihr selbst darueber lacht—aber eure Haende sind stets arm an Werken und euer Mund voll von Worten. -----------------------

Bella lachte nicht des Bemuehens im Kleinen, dies Bild ihr aehnlich zu schaffen. Die gutmuetige Bella fuehlte Mitleiden; sie bat, diese oeffentliche Versammlung zu endigen, denn sie muesse sich endlich doch sein Unglueck wieder selbst vorwerfen, denn ihr Vorwitz habe ihn aus dem ruhigen Schoss der Erde gerufen. "Den Kuckuck mag’s da ruhig gewesen sein", sagte der Kleine, indem er sich aus Widerspruchgeist verschnappte, "die Maulwuerfe, die Reitwuermer, die Ameisen haben mich da noch viel aerger geschoren als ihr alle zusammen."

Chievres sagte, dass diese Anerkennung hinreiche, und verliess mit den uebrigen Herren vom Hofe das Zimmer. Der Erzherzog klopfte nun dem Kleinen auf die Schulter und sagte ihm: er moechte jetzt an den Unterschied, welchen die Geburt, die ihn aus einer Wurzel, Bella aus einem Fuerstenstamme hervorgehen lassen, mit ernstem Gemuete denken; eigentlich der Mann von Bella zu sein, waere ihm nun unmoeglich, denn wie in der Bibel staende: und der Mann soll dein Herr sein, so wuerde das Volk, das ihr gehorchte, ihn nie an ihrer Seite dulden; was aber moeglich waere und schon viel wert, er sollte ihr an der linken Hand angetraut werden und mit ihr in einem Hause unter dem Titel ihres Feldmarschalls wohnen, doch von Tisch und Bett geschieden sein; nur muesste er geloben, um sich dieser Auszeichnung wuerdig zu machen, mit unermuedlichem Fleisse alle verborgenen Schaetze aufzusuchen und ihm, als dem Schuetzer des kuenftigen Zigeunerreichs, zu ueberliefern.

Der Kleine besann sich, endlich rief er: "Bravo, so ist’s mir ganz recht, und ich moechte Eurer Hoheit um den Hals fallen, wenn Sie nicht so gross waeren. Habe ich mein eignes Schlafzimmer, so werde ich ruhig liegen; ich weiss so nicht, wozu das Schlafen soll. Meine verlorene Frau, wenn es diese nicht ist, liess mir keine Ruhe und hat mir ein Paar ganz neue Augen gekostet, die ich noch im Nacken sitzen hatte und mit denen ich voraussehen konnte, wenn ich sie vorzubringen vermochte. Das Zusammenessen hat mir auch bei meiner vorigen Frau, wenn es diese nicht ist, niemals sonderlich behagt: ich mochte schreien, soviel ich wollte, sie nahm die besten Stuecke, und wenn ich nicht ruhig sein wollte, schlug sie mir mit den heissen Knochen, item mit dem Suppenloeffel ins Gesicht."

Als Bella sich dem Vorschlage ebenfalls gefuegt hatte, so schickte der Erzherzog zu demselben Pfarrer, der den Alraun schon einmal getraut hatte, und liess drohen, ihn bei Wasser und Brot wegen der heimlich vollzogenen Einsegnung gefangen zu setzen, wenn er eine zweite feierliche Einsegnung zu verrichten sich weigerte. Die arme Seele war zu allem bereit, und abends in einer Versammlung von wenigen Vertrauten des Erzherzogs wurde die Vermaehlung an der linken Hand gefeiert, welche sowohl die untergeordneten Seelen, wie Braka, Cornelius Nepos und den geizigen Pfarrer, als auch die Haeupter unsrer Geschichte, den Erzherzog und Bella, miteinander in ein ruhig begruendetes Verhaeltnis zu setzen versprach. Doch Bella weinte waehrend der Vermaehlungsfeier so heftig, so unwillkuerlich, dass sie keine Einwilligung geben konnte; umsonst fragte Karl zaertlich nach der Ursache ihrer Traenen, aber sie wusste keine, als dass ihr eine kleine Katze eingefallen, die sie einmal des Alrauns wegen ersaeuft hatte: diese Suende haette sie vergessen zu beichten. Da sie keine Einwendung gegen diese Hochzeitzeremonien machte, so wurde die Hochzeit als beendigt angesehen, und der Kleine bezeigte noch an dem Abend seine Dankbarkeit gegen den Erzherzog, indem er aus einer zugemauerten Nische des Schlosses einen Schatz an Muenzen und goldnen Ketten befreite, der ueber zweihundert Jahre darin geruht hatte.

Der Erzherzog, als er am Abende mit Bella allein war, fuehlte sich ganz unerwartet durch die Erinnerung an die Golem Bella, wie sie in Erde zerfallen, so gestoert, und Bella konnte die alte, ganz hingebende Vertraulichkeit so wenig in sich finden, dass beide froh waren, ihre Betten einander nicht so nahe wie in Buik gestellt zu sehen. Der Erzherzog versank in einen schoenen Traum: es war ihm, als saehe er mit den prachtvollen Goldketten, die ihm der Alraun gefunden, die spanischen Grossen, die selbst vor dem Koenige mit bedecktem Haupte zu erscheinen wagten, zur Erde gedrueckt; es war ihm, als koennte er viele tausend Soldaten mit diesen Ketten ziehen, und ueberall, wohin er mit ihnen zog, wurde ihm gehuldigt. Sein Nebenbuhler unterdessen, der doch aus einer Regung seines Blutes nicht schlafen konnte, fuehlte sich wieder zu dem Leimen, der jetzt seines Wurzelherzens einziger Schatz geworden war, zurueckgetrieben, und in der Begeisterung ueber sein Glueck gelang es ihm diesmal besser: alles bildete sich unter seinen Haenden so aehnlich, dass er entzueckt den Besitz dieses selbstgeschaffnen Weibes jedem von Gott geschaffenen vorzog, das sich unmoeglich den wunderlichen Gedanken eines solchen am Sonntage Quasimodogeniti gebornen fuegen konnte. Bella aber genoss wohl in dieser Nacht des hoechsten Glueckes von allen, als ein wunderbarer Klang sie in der Mitternachtsstunde ans Fenster rief. Sie hoerte die Sprache ihres Volkes, dessen zerstreute Fuehrer, nachdem der Erzherzog ihnen eine Freiheit des Aufenthalts in den Niederlanden gewaehrt hatte, zu der anerkannten Fuerstin ihres Volkes geeilt waren, sie mit einem Gesange naechtlich zu begruessen, ihr Treue und Liebe bis in den Tod zu schwoeren. Wir wollen es versuchen, diese herzliche Begruessung in einer Uebersetzung wiederzugeben, nachdem wir vorher noch ueber die Einrichtung ihres Tanzes gesprochen haben. Sie hatten ihre Haende und Kleider mit einer Phosphoraufloesung getraenkt, die in jener Zeit nur ihnen bekannt war; sie leuchteten in Dampfwolken, und wo sie einander beruehrten oder aneinander strichen, wurde dies Leuchten zu einem hellen Glanze, der einige Zeit nachwaehrte und waehrenddessen der Gesang einfiel:

Gebuesst sind alle Suenden! Wir steigen ans den Flammen Und werden uns zusammen Bei unsrer Fuerstin finden; Wir wecken die Schoene Mit leisem Getoene, Es klinget die Krone, Vom Szepter beruehret, Der endlos regieret Vom Vater zum Sohne Im Herrschergeschlechte Nach goettlichem Rechte.

Es fuellt des Herbstes Odem Das Aug’ mit heissen Traenen, Das Herz mit heil’gem Sehnen Nach unsres Landes Boden. Jetzt sinken die Wogen, Die alles umzogen; Die schaffende Stunde Durchspielet die Felder, und bluehende Waelder Entsteigen dem Grunde, Und zahllose Kinder Besingen den Winter.

Komm, Bella, fuehr die Deinen, Wir schwoeren dir die Treue, Komm, eil mit uns ins Freie, Vom Schloss aus tote Steinen; Wie schwarz sind die Mauern, Da wohnet das Trauern, Wie klirren die Waffen Der lauernden Wachen; Wie freundlich wird lachen Des Morgens Erschaffen, Wir folgen in Zuge Den Voegeln im Fluge.

Wohl gehoerte auch Bella zu einem Geschlechte der Zugvoegel, die trotz aller zaertlichen Pflege und Liebe durch den Menschen, wenn sie die Stimme ihrer Brueder aus den Lueften vernehmen, nicht widerstehen koennen. Gibt es doch arme Voelker am Eispol, denen die Freuden und Erfindungen unserer Zone kein Gefallen abgewinnen, und die beim Anblick eines Schwanes sich ins Wasser stuerzen und mit ihm nach ihrer Heimat zu schwimmen waehnen; wieviel maechtiger wirkt die eigentuemlich ueberlegene Natur in dem stolzen Herrschersinne nach, aus welchem Bella hervorgegangen. Sie war doch in Europa wie die fremde Blume, die sich naechtlich nur erschliesst, weil dann in ihrer Heimat der Tag aufgeht. Ihre Sehnsucht, ihre Wehmut ueberstroemten sie grenzenlos, sie konnte nicht bleiben und wusste doch nicht, warum; sie liebte den Erzherzog, wie sie ihn jemals geliebt, aber sie fuehlte, seit er eine andre wie sie geliebt, dass sie seine erste Liebe mit sich truege in die Ferne, und erst jetzt gestand sie sich, dass diese scheinbare Vermaehlung, so wenig dabei die Reinheit ihrer Sitte leiden konnte, sie tief gekraenkt habe, weil ihr Karls Gesinnung, sich nicht heilig und ewiglich, wie ihr fuerstlicher Sinn gemeint, mit ihr zu vermaehlen, deutlich daraus hervorgegangen sei. Was galt ihr seine Klugheit, wie er den Reichtum sich verbinden und benutzen wollte; sie kannte nur die Herrlichkeit der Armut, die alles besitzt, weil sie alles verschmaehen kann: sie kannte nur ihr Volk, das jede Bezahlung von ihren Herrschern verschmaehte und jede Tat fuer sie als schoensten Gewinn achtete. Sie nahete sich im innern Kampfe dem Bette des Erzherzogs, sie kuesste ihn; waere er erwacht, sie haette nicht von ihm lassen koennen; aber er stiess sie im Schlaf von sich: ihm traeumte, als ob die goldne Kette, worin er die Voelker fuehrte, ihm selbst, der sie hielt, immer enger sich um den Fuss wickelte, dass er dadurch zu fallen fuerchtete; darum stiess er sie von sich. Sie aber fuehlte das im bewegten Gemuete anders und sprang leicht aufs Fenster und zu den Ihren herab, ohne zu denken, ob ihr Sprung hoch oder nieder; aber das Glueck ihres Volkes wollte sie unverletzt erhalten. Ihre Zimmer waren im ersten Geschoss, und der fahrende Schueler, den seine Liebe und Traurigkeit, nachdem er sie im Schlosse erkannt, des Nachts unter ihr Fenster getrieben, fing sie in seinen Armen auf. Die Zigeuner erkannten sie, setzten ihr die Krone auf, gaben den Szepter ihr in die Hand und zogen, ohne dass die Wachen etwas bemerkt hatten, stillschweigend mit ihr und dem fahrenden Schueler, dass er sie nicht verraten konnte, vors Tor, wo sie auf leichten Pferden, auf verborgenen Pfaden aller Nachforschung entgingen.

Als der Erzherzog aus dem baenglichen Schlusse seines Herrschertraumes zum Lichte aufwachte, das allen Traeumen mit den kecken Worten entgegenzutreten scheint: ihr seid nicht wahr, denn ihr besteht nicht vor mir!—da meinte auch er, alles Traurige, was ihn bedroht, sei ein Hirngespinst gewesen. Wer spinnt aber im Innern unsres Hirnes? Der die Sterne im Gewoelbe des Himmels in Gleichheit und Abwechselung bewegt! Der Schatz der Erzherzogs lag unversehrt vor dem Bette, er spielte leise damit, um Bella nicht zu erwecken. Aber der geschaeftige Drang des Tages nahte immer tosender auf allen Strassen, und Bella erwachte immer noch nicht; er rief, er sah nach ihrem Bette, aber er fand sie nicht. Er durchlief aengstlich das Haus; aber Bella war nicht zu errufen. "Pflueckt sie mir einen Blumenstrauss, unsern Morgen zu schmuecken? Ist sie in der Fruehmesse und dankt Gott fuer ihr Geschick?"

Beides widerlegte die naechste Stunde, und der Erzherzog befragte ohne Erfolg die Wachen, liess Braka vergebens rufen. Die alte Braka weinte ernstlich um die schoene Bella, alle schoene Aussichten schwanden ihr. Wie aber Weiber im Ungluecke sind, der vornehme Stand haelt die Zunge ihres Unwillens nicht zurueck, ihr Kopf fuellt sich so ganz mit einem Gefuehle, dass sie jeder Ruecksicht vergessen: statt den zornigen, ungeduldigen Erzherzog zu fuerchten, machte sie ihm die bittersten Vorwuerfe, dass seine Grausamkeit, Bella mit dem Kleinen zu verheiraten, sie zur Flucht veranlasst haette. Der Erzherzog schwieg beschaemt, er fuehlte, dass sie recht hatte, dass seine toerichte Klugheit ihm das Koestlichste entrissen, was sein ganzes Leben ausgestattet haette; er fuehlte sich so veraechtlich vor den Augen der Alten, als der kleine Alraun nimmer vor seinen Augen gestanden. Er befahl Braka, sich zu entfernen, und gebot ihr nachher, ein Gnadengehalt anzunehmen und es in der Naehe seines Hofes zu verzehren, damit er jemand haette, mit dem er von seiner Bella reden koennte. Seine unzaehligen Boten, die Deutschland durchstreiften, kamen ohne Nachricht zurueck; sein Grossvater Maximilian, der etwas von seiner Leidenschaft vernommen, hatte sie allerorten abweisen lassen. Erst sehr spaet, nachdem Isabella mit den Ihren laengst weitergegangen, erfuhr er, dass sie im Boehmerwalde von einem Prinzen entbunden worden, der in der Taufe den Namen Lrak (der umgekehrte Name des Vaters Karl) erhalten haette, und dass der fahrende Schueler, der mit den Zigeunern entwichen, durch Bellas Gunst, unter dem Namen Sleipner, einer ihrer Anfuehrer geworden sei.

Das Warten auf diese Nachrichten war die Ursache seines unbegreiflichen Zoegerns, ehe er aus den Niederlanden nach Spanien ging, wo sein Grossvater inzwischen gestorben war und die gewaltsame Klugheit des Ximenez, ohne seine Gegenwart, leicht buergerliche Kriege veranlassen konnte. Als er diese Kunde von Isabellen erhalten, waere er ihr gern nachgezogen, aber wo sollte er sie treffen? Wie sollte er den Jugendtraeumen seiner Herrscherlust entsagen? Doch ward ihm die Krone, die er bis dahin bloss als Schmuck angesehen, zu einem drueckenden Gewichte, und die Feierlichkeiten, die ihm bis dahin die Zierde der Tage geschienen, zu einer verlornen Zeit, wie das Stundenschlagen, das mit seinem Klange die ruhige Folge sehnender Gedanken unterbricht. Irren wir nicht, so laesst sich manche seiner Launen, an denen seine wichtigsten Unternehmungen scheiterten, aus diesem ersten Missgriffe seiner Klugheit erklaeren: diese Gleichgueltigkeit, womit er das Regierungswesen zuerst behandelte, wie er Chievres und die Seinen in der veraechtlichsten Bestechlichkeit Spanien verderben liess; die Sinnlichkeit, in der er sich oft zu vergessen suchte und worin er die Staerke seines Leibes frueher erschoepfte; alles Unbefriedigte und Unbefriedigende in seinem Leben. Er bedurfte der Zeit, grosser Ereignisse, wie die Eroberung von Neuspanien und seine Ernennung zum Kaiser, und eines unermuedlichen Gegners, um nicht frueher in einen Ueberdruss gegen alle Regierungsgeschaefte zu versinken; endlich bedurfte er auch des Alrauns, um seine uebereilende Taetigkeit in Wirkung zu setzen.

Was wurde aus diesem Nebenbuhler seiner Liebe? Der Kleine hatte nach allen Kraeften seiner nun doppelt verlornen Gattin nachgeforscht, aber vergebens; doch fand er frueher als Karl eine Beruhigung, indem er mit rastloser Taetigkeit an der Beendigung des Bildes der schoenen Bella arbeitete. In seiner unruhigen Betruebnis kam Karl eines Morgens auf sein Zimmer, begruesste das aehnliche Bild mit einem Schrei der Verwunderung und trug es, ohne der Bitten und Drohungen des Kleinen zu achten, auf sein Zimmer. Waehrend er es da mit Blumen bekraenzte und kniend es begruesste, vernahmen die Bewohner des Schlosses ein unertraegliches Laermen im Zimmer des Kleinen; mit Fluchen des Kleinen hatte es angefangen, bald waren immer mehr Stimmen darin gehoert worden. Als die Wachen das Zimmer erbrachen, geschah ein heftiger Schlag, das Zimmer roch nach Schwefel, der kleine Wurzelmann lag zerrissen und ohne Bewegung auf dem Boden. Als er heimlich begraben, glaubte sich Karl von ihm befreit, die Menschen glaubten ihn gaenzlich zerstoert, er aber war in seiner Wut daemonisiert, und der Kaiser wusste bald, dass er ohne eine grosse Busse von seiner ueberlaestigen Gegenwart nicht wieder los und ledig werden konnte.

Umsonst wechselte er Wohnort und Kleider, umsonst versuchte er sogar den afrikanischen Himmel; wenn er ihn auf immer gebannt glaubte und es bewegte irgendein boeser Wunsch sein Gemuet, gleich war der Alraun ihm nahe, bald in der Gestalt eines Heimchens, das hinter dem Ofen ihm zurief, wo er Geld und Gelegenheit dazu finden koennte, bald als eine Spinne, die von der Decke des Zimmers sich auf seine Schreibereien herabliess, bald als eine Kroete, die ihm im Gartengange entgegentrat, oft schnurrte er ihn auch an als ein fliegender Kaefer, abends und nachts schrie er wie ein wilder Vogel. Karl horchte und gehorchte nur zu oft dieser Stimme, wehe uns Nachkommen seiner Zeit. War ihm vieles durch diesen geldbringenden Geist moeglich, so musste er dagegen frueher seine Herrscherbahn schliessen, um in heiligem Leben, in Busse und Gebet jeden boesen Wunsch zu bannen.

Zu Gent, von den Erinnerungen seiner ersten Liebe und ihres Untergangs abgetoetet, beschloss er seinen eignen Sonnenuntergang zu feiern: hier entliess er seinen Sohn Philipp mit vielen Traenen, auch von den Gesandten nahm er Abschied und lebte bis zu seiner Abfahrt nach Spanien in der tiefsten Einsamkeit eines gesonderten Lebens. An seinem Geburtstage nahm er Besitz von dem fuer ihn eingerichteten Hieronymitenkloster St. Just in Spanien: er dachte, dass dieser Tag den Alraun auch auf die Welt gesetzt, der seine irdische Bahn verletzt hatte, und sprach, dass er an eben dem Tage, da er auf Erden sei geboren worden, auch dem Himmel wolle wiedergeboren sein. Sein ernstes Gebet ist ihm erfuellt worden, seine blutige Geissel, die nach seinem Tode als ein Heiligtum bewahrt worden, bezeugt, wie schwer es ihm geworden, sich den gewohnten Lieblingsgedanken zu entschlagen; wir aber, deren Voreltern durch sein politisches Glaubenswesen so viel erlitten, die von des Alrauns schnoeder Geldlust fort und fort gereizt und gequaelt worden, und endlich selbst noch an der Trennung Deutschlands untergingen, welche er aus Mangel frommer Einheit und Begeisterung, indem er sie hindern wollte, hervorbrachte, wir fuehlen uns durch das erzaehlte Missgeschick seiner ersten Liebe, durch diese Reue mit seiner Natur versoehnt und sehen ein, dass nur ein Heiliger auf dem Throne jene Zeit haette bestehen koennen.

So fuehlte er sich selbst auch gerechtfertigt, als er, um sein Herz zu pruefen, ob er bereit sei zu dem grossen Uebergange, der selbst dem abgelebten Alter ueberraschend ist, mag es sich durch Betrachtung vorgewoehnen oder in erkuenstelter Taetigkeit ihn uebersehen wollen, sich ein praechtiges Grabmal in der Klosterkirche nach eigenem Plane bauen liess, das in kunstreichen Galerien, welche mit den Bildnissen seiner Vorgaenger bedeckt, zur Spitze anlief, wohin sein eigener Sarg gestellt werden sollte. Er fuehlte sich gerechtfertigt, als er sich nun lebend in diesen Sarg legte, von Trauergesang, Glockengelaeut und schwarzen Kerzen begleitet, sich einsam hinaufstellen liess und durch die irdisch geschlossene Decke der Kirche Isabella erblickte, wie sie ihm troestend und liebend an den Gefilden der ewigen Gedanken begegnete, wo die Irrtuemer des Menschen mit der Last seines Leibes in Staub zerfallen. Sie winkte ihm, und er folgte ihr bald und sah ein helles Morgenlicht, worin Isabella ihm den Weg zum Himmel zeigte, und fragte die Anwesenden, ob es schon so hoch am Tage sei. Der Erzbischof sagte aber, es sei Nacht. Da befahl er seinen Geist in Gottes Haende und starb. Befragen wir unser Herz, wie wir sterben moechten: sicher wie Karl, die Geliebte unsrer Jugend als einen heiligen Engel zwischen uns und der Sonne, von der wir scheiden, weil sie uns blendet; gleichsam wie einen farbigen Vorhang, dass selbst die Schatten der blumenpflueckenden und nichts fassenden Haende gefaerbt erscheinen. Jenes Leichenbegaengnis Karls muss uns nicht wie eine wunderliche Schauspielerei erschrecken. Derselbe Gedanke, der bei dem Beherrscher einer Welt zur Tat wurde, bewegt viele Gemueter, die ein ernstes Leben gefuehrt haben; aber er bleibt Gedanke und verwandelt sich sonst haeufig in eine Sorgsamkeit in der Anordnung des wirklichen Leichenbegaengnisses, worin sich selten Eitelkeit, haeufiger der Wunsch aeussert, ein Leben, das nach gewissen festen Grundsaetzen gefuehrt, in derselben Gesinnung zu schliessen. Unsre eitle Zeit verachtet jede Leichenfeier, bei unsern frommen Voreltern war oft ein anstaendiges Leichentuch einzige Mitgabe der Braut, und ein prachtvoller Sarg schloss ein bescheidnes Leben. Wer wagt das Sonderbarkeit zu schelten? Es war Nebenaeusserung jener Einheit, die uns in aller ihrer Geschichte anspricht, aber noch lebendiger in den Denkmalen ihrer vielhundertjaehrigen Andacht, die in den Kirchengebaeuden alter deutscher Zeit vor uns steht. Welche Einheit und Ausgleichung aller Verhaeltnisse, wie fest begruendet alles an der Erde und doch alles dem Himmel eigen, zum Himmel fuehrend, an seiner Grenze am herrlichsten und prachtvollsten geschlossen. Zum Himmel richtet die Kirche wie betende Haende unzaehlige Bluetenknospen und Reihen erhabener Bilder empor, alle zu dem Kreuze hinauf, das die Spitze des Baues als Schluss des goettlichen Lebens auf Erden bezeichnet, das als die hoechste Pracht der Erde, die sich dadurch zu unendlichen Taten begeistert fuehlt, einzig mit dem Golde glaenzt, womit kein andres Bild oder Zeichen neben ihm in der ganzen heiligen Geschichte, die der Bau darstellt, sich zu schmuecken wagt. Nicht nur ueber Kaiser Karls Leichenbegaengnis, auch ueber sein Leben hat die Nachwelt ein langwieriges Totengericht gehalten, aber nur die Mitlebenden koennen einen Herrscher am Ende seiner Laufbahn wuerdigen, und wie lehrreich scheinen darin die Totengerichte der alten Aegypter, sie gehoeren aber nicht in unsre europaeische Welt. Noch jetzt finden wir sie in Abessinien, noch jetzt werden die Nachkommen unsrer Isabella auf dem Throne den Tag nach ihrem Tode in dem Eingange der Pyramide, die ihnen als Grabstaette dient, oeffentlich ausgestellt, und jeder ist verpflichtet, auszusagen, was er ueber den Verstorbenen denkt. Auch ueber Isabella hat dieses Totengericht gesprochen; noch jetzt sprechen die Abessinier von diesem Totengerichte, das sie bei ihrem Leben noch ueber sich halten und aufzeichnen liess; sie zeigen noch jetzt ihr Bild bei den Quellen des Nils, wie sie da alle in einem Siebe vereinigt, durch das sie als unzaehlige Quellen zur Erde laufen, zum Zeichen, wie sie zwar die getrennten Voelkerstaemme der Abessinier oder Zigeuner vereinigte, aber nicht hindern konnte, dass sie durch innern Streit auseinanderliefen. Wir danken diese Nachrichten dem beruehmten Reisenden Taurinius, dessen eigene Worte wir hier mitteilen wollen: "Isabella, die beruehmte Koenigin, berief ihren Sohn Lrak, den sie von Karl nach der Voraussagung Adrians empfangen, ihren Feldherren Sleipner, der als ein armer fahrender Schueler aus Gent mit ihr fortgezogen war, ferner alle Ehrenmaenner und Vorsteher des Volks, nach dem Eingange der grossen Pyramide an den Quellen des Nils, welche sie sich zum Grabmal erbaut hatte. Es war am 20. August 1558, an demselben Tage, wo ihr geliebter Karl sein Leichenbegaengnis bei lebendem Koerper mit offenen Augen feierte, gleichsam in einer heimlichen Ahndung, als wollte sie mit einem gleichen ernsten Vorbilde vom Leben scheiden. Sie erklaerte dort, indem sie von allen freundlichen Abschied nahm und den trostlosen Sleipner auf den Himmel verwies, wo seine Liebe eine reiche Belohnung finden wuerde, und ihren Sohn an ihr Herz drueckte. Da, sage ich, denn also habe ich es mehrmals erzaehlen hoeren, erklaerte sie, dass sie sich zu krank und hinfaellig fuehle, um der Regierung laenger vorzustehen, und weil sie jetzt aufhoere zu herrschen und gleichsam aus der Welt gehe, so waere es ihr sehnlicher Wunsch und ihre letzte Bitte, dass die alte heilige Sitte des Totengerichts nicht bis zu ihrem wirklichen leiblichen Tode ausgesetzt bleibe, sondern dass ein jeglicher jetzo gleich, waehrend sie sich in ihrem Sarge ausstrecke, voruebergehe und seine Meinung nach geleistetem Eide wahr und unverhohlen ueber sie ausspreche. So hatte sie sich erklaert, und da keine Bitten, keine Traenen ihr diesen Entschluss auszureden vermochten, so schritt man also gleich zur Eidesleistung. Die Koenigin legte sich unter unzaehligen Traenen in ihren Sarg, und ein jeglicher trat seiner Wuerde gemaess, wie er pflegte, vor ihr hin und liess sein wohlueberdachtes Urteil, also, dass sie es deutlich vernehmen konnte, in das koenigliche Buch eintragen. O welch ein seliger Tag fuer die Reine! Wie leicht war der Tadel gegen die Vorwuerfe, die sie sich selbst gar oft soll gemacht haben. Der Priester, der mir das Ausfuehrlichste darueber mitteilte, las mir, wie ihr dabei geschehen und wie selig sie waehrend des Totengerichts verstorben sei, wie folget, aus einer alten Pergamentrolle vor, woraus ich es sogleich in unsre deutsche Muttersprache zu uebersetzen wagte, wobei mir aber zuweilen copia verborum gefehlet hat, weswegen ich es nochmals von Magister Uhsen wieder uebersehen und sehr verbessern lassen: Sie versank waehrend des Totengerichts in ein freudiges Anschauen. Aus dem Nebel, der das herrliche Land, das sie geschaffen, bisher noch gedeckt hatte, traten ihr erst die nahen seligen Gaerten hervor, darinnen die gluecklichen Kinder ihres umgetriebnen Volkes wieder ruhig spielten; darinnen die Brunnen sprangen, wo sonst die Krokodile im duerren Sande sich gesonnt hatten; darinnen rote und blaue Voegel sangen, wo sonst die Schlangen gezischt hatten. Weiterhin erschien ihr die gruene Wiese voll Blumen, und die Laemmer mit ihren Glocken bewegten sich langsam klingend zwischen den Halmen, wo sonst der Tod unter dem grundlosen Moraste auf alles Lebende lauerte. Dann aber stroemte der Fluss, der Fluss aller Fluesse vorueber, das unschuldige Metall der Oberwelt glaenzend poliert wie ein Schwert; von den Rudern der Schiffer fleissig gehaemmert, wo sonst nur der Fisch in seichter Flaeche zu schwimmen wagte. Aber das Herrlichste lag drueben und jenseits, und wie sie in tiefer Seele an dem Gedanken sich entzueckte, ihrem geliebten Volke in unablaessigem Bemuehen alle einzelnen Steine zu den Palaesten kuenftiger Macht behauen zu haben, da glaenzten ihr drueben schon die Schloesser und Kirchen kuenftiger Herrlichkeit im aufgehenden Lichte. Sie naeherte sich verwundert dem Strome und sah nur nach drueben, wo sich die geahndete Erfuellung in sichrer Wirklichkeit zeigte, und so stuerzte sie in den Strom und ward von ihm hinuebergefuehrt und war drueben—mit diesem Bilde suchte ein frommer Zeuge ihres Todes die Seligkeit ihres sterbenden Angesichtes auszudruecken und zu erklaeren."—Liebreiche Isabella! wir haben dich schuldlos erfunden im kleinen Kreise deiner Jugendliebe, warum sollten wir zweifeln an den Erzaehlungen der Reisenden, dass du auch auf der Hoehe eines Thrones im Ueberblick einer Welt dir selbst treu geblieben bist; denn was ist diese Welt gegen diese Treue, die unwandelbar bleibt, wo sie einmal bewaehrt ist. Deine Liebe ist nicht untergegangen in ihrer Verschmaehung, der eine sollte sie nicht begreifen, nicht wuerdigen, nicht bewahren, dass sie uebergehe zu einem Volke, welches in deiner Liebe sich befreite. Kein Leiden, keine Reue, kein Zweifel wird deinen Blick zurueckgewendet haben zu dem, den du verlassen, weil er dich aufgegeben hatte; was in reiner Seele die Begeisterung eines Augenblickes tut, bleibt ihr notwendiges Gesetz in Ewigkeit. Reines Bild des jugendlichen Lebens, wir blicken zu dir und flehen: Reinige uns von eingebildeten Leiden der Liebe und von angebildeten Suenden der Zeit; das Totengericht der Menschen soll uns nicht schrecken, aber wer scheut nicht die Totenrichter in sich selbst, die unerbittliche Strenge der Gedanken, die sich nicht taeuschen lassen, wo wir andern genuegen, aber nicht der eignen Kraft; heilige Isabella, wehe Himmelsluft auf meine heisse Stirne, wenn ich Gericht halte ueber mich selbst!

Am Himmel steht ein drohender Komet und gluehet den Herbst zum Sommer, wozu wird er den Fruehling entbrennen? Sei getrost, liebe Seele, sei getrost, du Welt, dir ist viel vom Herren verheissen.

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