Faust: Der Tragoedie Part 2

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Author: Johann Wolfgang von Goethe

4. Akt—Hochgebirg

FAUST: Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuss, Betret’ ich wohlbedaechtig dieser Gipfel Saum, Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich sanft An klaren Tagen ueber Land und Meer gefuehrt. Sie loest sich langsam, nicht zerstiebend, von mir ab. Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug, Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach. Sie teilt sich wandelnd, wogenhaft, veraenderlich. Doch will sich’s modeln.—Ja! das Auge truegt mich nicht!— Auf sonnbeglaenzten Pfuehlen herrlich hingestreckt, Zwar riesenhaft, ein goettergleiches Fraungebild, Ich seh’s! Junonen aehnlich, Leda’n, Helenen, Wie majestaetisch lieblich mir’s im Auge schwankt. Ach! schon verrueckt sich’s! Formlos breit und aufgetuermt Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich, Und spiegelt blendend fluecht’ger Tage grossen Sinn. Doch mir umschwebt ein zarter lichter Nebelstreif Noch Brust und Stirn, erheiternd, kuehl und schmeichelhaft. Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und hoeher auf, Fuegt sich zusammen.—Taeuscht mich ein entzueckend Bild, Als jugenderstes, laengstentbehrtes hoechstes Gut? Des tiefsten Herzens fruehste Schaetze quellen auf: Aurorens Liebe, leichten Schwung bezeichnet’s mir, Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen Blick, Der, festgehalten, ueberglaenzte jeden Schatz. Wie Seelenschoenheit steigert sich die holde Form, Loest sich nicht auf, erhebt sich in den aether hin Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.

MEPHISTOPHELES: Das heiss’ ich endlich vorgeschritten! Nun aber sag, was faellt dir ein? Steigst ab in solcher Greuel Mitten, Im graesslich gaehnenden Gestein? Ich kenn’ es wohl, doch nicht an dieser Stelle, Denn eigentlich war das der Grund der Hoelle.

FAUST: Es fehlt dir nie an naerrischen Legenden; Faengst wieder an, dergleichen auszuspenden.

MEPHISTOPHELES: Als Gott der Herr—ich weiss auch wohl, warum— Uns aus der Luft in tiefste Tiefen bannte, Da, wo zentralisch gluehend, um und um, Ein ewig Feuer flammend sich durchbrannte, Wir fanden uns bei allzugrosser Hellung In sehr gedraengter, unbequemer Stellung. Die Teufel fingen saemtlich an zu husten, Von oben und von unten auszupusten; Die Hoelle schwoll von Schwefelstank und—saeure, Das gab ein Gas! Das ging ins Ungeheure, So dass gar bald der Laender flache Kruste, So dick sie war, zerkrachend bersten musste. Nun haben wir’s an einem andern Zipfel, Was ehmals Grund war, ist nun Gipfel. Sie gruenden auch hierauf die rechten Lehren, Das Unterste ins Oberste zu kehren. Denn wir entrannen knechtisch-heisser Gruft Ins uebermass der Herrschaft freier Luft. Ein offenbar Geheimnis, wohl verwahrt, Und wird nur spaet den Voelkern offenbart.((ephes. 6,12))

FAUST: Gebirgesmasse bleibt mir edel-stumm, Ich frage nicht woher und nicht warum. Als die Natur sich in sich selbst gegruendet, Da hat sie rein den Erdball abgeruendet, Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht, Die Huegel dann bequem hinabgebildet, Mit sanftem Zug sie in das Tal gemildet. Da gruent’s und waechst’s, und um sich zu erfreuen, Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien.

MEPHISTOPHELES: Das sprecht Ihr so! Das scheint Euch sonnenklar; Doch weiss es anders, der zugegen war. Ich war dabei, als noch da drunten siedend Der Abgrund schwoll und stroemend Flammen trug; Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend, Gebirgestruemmer in die Ferne schlug. Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen; Wer gibt Erklaerung solcher Schleudermacht? Der Philosoph, er weiss es nicht zu fassen, Da liegt der Fels, man muss ihn liegen lassen, Zuschanden haben wir uns schon gedacht.— Das treu-gemeine Volk allein begreift Und laesst sich im Begriff nicht stoeren; Ihm ist die Weisheit laengst gereift: Ein Wunder ist’s, der Satan kommt zu Ehren. Mein Wandrer hinkt an seiner Glaubenskruecke Zum Teufelsstein, zur Teufelsbruecke.

FAUST: Es ist doch auch bemerkenswert zu achten, Zu sehn, wie Teufel die Natur betrachten.

MEPHISTOPHELES: Was geht mich’s an! Natur sei, wie sie sei! ’s ist Ehrenpunkt: der Teufel war dabei! Wir sind die Leute, Grosses zu erreichen; Tumult, Gewalt und Unsinn! sieh das Zeichen!— Doch, dass ich endlich ganz verstaendlich spreche, Gefiel dir nichts an unsrer Oberflaeche? Du uebersahst, in ungemessnen Weiten, Die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten. ((matth. 4)) Doch, ungenuegsam, wie du bist, Empfandest du wohl kein Geluest?

FAUST: Und doch! ein Grosses zog mich an. Errate! +

MEPHISTOPHELES: Das ist bald getan. Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus, Im Kerne Buerger-Nahrungs-Graus, Krummenge Gaesschen, spitze Giebeln, Beschraenkten Markt, Kohl, Rueben, Zwiebeln; Fleischbaenke, wo die Schmeissen hausen, Die fetten Braten anzuschmausen; Da findest du zu jeder Zeit Gewiss Gestank und Taetigkeit. Dann weite Plaetze, breite Strassen, Vornehmen Schein sich anzumassen; Und endlich, wo kein Tor beschraenkt, Vorstaedte grenzenlos verlaengt. Da freut’ ich mich an Rollekutschen, Am laermigen Hinund Widerrutschen, Am ewigen Hinund Widerlaufen Zerstreuter Ameis-Wimmelhaufen. Und wenn ich fuehre, wenn ich ritte, Erschien’ ich immer ihre Mitte, Von Hunderttausenden verehrt.

FAUST: Das kann mich nicht zufriedenstellen. Man freut sich, dass das Volk sich mehrt, Nach seiner Art behaglich naehrt, Sogar sich bildet, sich belehrt— Und man erzieht sich nur Rebellen.

MEPHISTOPHELES: Dann baut’ ich, grandios, mir selbst bewusst, Am lustigen Ort ein Schloss zur Lust. Wald, Huegel, Flaechen, Wiesen, Feld Zum Garten praechtig umbestellt. Vor gruenen Waenden Sammetmatten, Schnurwege, kunstgerechte Schatten, Kaskadensturz, durch Fels zu Fels gepaart, Und Wasserstrahlen aller Art; Ehrwuerdig steigt es dort, doch an den Seiten Da zischt’s und pisst’s in tausend Kleinigkeiten. Dann aber liess ich allerschoensten Frauen Vertraut-bequeme Haeuslein bauen; Verbraechte da grenzenlose Zeit In allerliebst-geselliger Einsamkeit. Ich sage Fraun; denn ein fuer allemal Denk’ ich die Schoenen im Plural.

FAUST: Schlecht und modern! Sardanapal!

MEPHISTOPHELES: Erraet man wohl, wornach du strebtest? Es war gewiss erhaben kuehn. Der du dem Mond um so viel naeher schwebtest, Dich zog wohl deine Sucht dahin?

FAUST: Mit nichten! dieser Erdenkreis Gewaehrt noch Raum zu grossen Taten. Erstaunenswuerdiges soll geraten, Ich fuehle Kraft zu kuehnem Fleiss.

MEPHISTOPHELES: Und also willst du Ruhm verdienen? Man merkt’s, du kommst von Heroinen.

FAUST: Herrschaft gewinn’ ich, Eigentum! Die Tat ist alles, nichts der Ruhm.

MEPHISTOPHELES: Doch werden sich Poeten finden, Der Nachwelt deinen Glanz zu kuenden, Durch Torheit Torheit zu entzuenden.

FAUST: Von allem ist dir nichts gewaehrt. Was weisst du, was der Mensch begehrt? Dein widrig Wesen, bitter, scharf, Was weiss es, was der Mensch bedarf?

MEPHISTOPHELES: Geschehe denn nach deinem Willen! Vertraue mir den Umfang deiner Grillen.

FAUST: Mein Auge war aufs hohe Meer gezogen; Es schwoll empor, sich in sich selbst zu tuermen, Dann liess es nach und schuettete die Wogen, Des flachen Ufers Breite zu bestuermen. Und das verdross mich; wie der uebermut Den freien Geist, der alle Rechte schaetzt, Durch leidenschaftlich aufgeregtes Blut Ins Missbehagen des Gefuehls versetzt. Ich hielt’s fuer Zufall, schaerfte meinen Blick: Die Woge stand und rollte dann zurueck, Entfernte sich vom stolz erreichten Ziel; Die Stunde kommt, sie wiederholt das Spiel.

MEPHISTOPHELES: Da ist fuer mich nichts Neues zu erfahren, Das kenn’ ich schon seit hunderttausend Jahren.

FAUST: Sie schleicht heran, an abertausend Enden, Unfruchtbar selbst, Unfruchtbarkeit zu spenden; Nun schwillt’s und waechst und rollt und ueberzieht Der wuesten Strecke widerlich Gebiet. Da herrschet Well’ auf Welle kraftbegeistet, Zieht sich zurueck, und es ist nichts geleistet, Was zur Verzweiflung mich beaengstigen koennte! Zwecklose Kraft unbaendiger Elemente! Da wagt mein Geist, sich selbst zu ueberfliegen; Hier moecht’ ich kaempfen, dies moecht’ ich besiegen. Und es ist moeglich!—Flutend wie sie sei, An jedem Huegel schmiegt sie sich vorbei; Sie mag sich noch so uebermuetig regen, Geringe Hoehe ragt ihr stolz entgegen, Geringe Tiefe zieht sie maechtig an. Da fasst’ ich schnell im Geiste Plan auf Plan: Erlange dir das koestliche Geniessen, Das herrische Meer vom Ufer auszuschliessen, Der feuchten Breite Grenzen zu verengen Und, weit hinein, sie in sich selbst zu draengen. Von Schritt zu Schritt wusst’ ich mir’s zu eroertern; Das ist mein Wunsch, den wage zu befoerdern!

MEPHISTOPHELES: Wie leicht ist das! Hoerst du die Trommeln fern?

FAUST: Schon wieder Krieg! der Kluge hoert’s nicht gern.

MEPHISTOPHELES: Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemuehen, Zu seinem Vorteil etwas auszuziehen. Man passt, man merkt auf jedes guenstige Nu. Gelegenheit ist da, nun, Fauste, greife zu!

FAUST: Mit solchem Raetselkram verschone mich! Und kurz und gut, was soll’s? Erklaere dich.

MEPHISTOPHELES: Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen: Der gute Kaiser schwebt in grossen Sorgen. Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten, Ihm falschen Reichtum in die Haende spielten, Da war die ganze Welt ihm feil. Denn jung ward ihm der Thron zuteil, Und ihm beliebt’ es, falsch zu schliessen, Es koenne wohl zusammengehn Und sei recht wuenschenswert und schoen: Regieren und zugleich geniessen.

FAUST: Ein grosser Irrtum. Wer befehlen soll, Muss im Befehlen Seligkeit empfinden. Ihm ist die Brust von hohem Willen voll, Doch was er will, es darf’s kein Mensch ergruenden. Was er den Treusten in das Ohr geraunt, Es ist getan, und alle Welt erstaunt. So wird er stets der Allerhoechste sein, Der Wuerdigste—; Geniessen macht gemein.

MEPHISTOPHELES: So ist er nicht. Er selbst genoss, und wie! Indes zerfiel das Reich in Anarchie, Wo gross und klein sich kreuz und quer befehdeten Und Brueder sich vertrieben, toeteten, Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt, Zunft gegen Adel Fehde hat, Der Bischof mit Kapitel und Gemeinde; Was sich nur ansah, waren Feinde. In Kirchen Mord und Totschlag, vor den Toren Ist jeder Kaufund Wandersmann verloren. Und allen wuchs die Kuehnheit nicht gering; Denn leben hiess sich wehren.—Nun, das ging.

FAUST: Es ging—es hinkte, fiel, stand wieder auf, Dann ueberschlug sich’s, rollte plump zuhauf.

MEPHISTOPHELES: Und solchen Zustand durfte niemand schelten, Ein jeder konnte, jeder wollte gelten. Der Kleinste selbst, er galt fuer voll. Doch war’s zuletzt den Besten allzutoll. Die Tuechtigen, sie standen auf mit Kraft Und sagten: Herr ist, der uns Ruhe schafft. Der Kaiser kann’s nicht, will’s nicht—lasst uns waehlen, Den neuen Kaiser neu das Reich beseelen, Indem er jeden sicher stellt, In einer frisch geschaffnen Welt Fried’ und Gerechtigkeit vermaehlen.

FAUST: Das klingt sehr pfaeffisch. +

MEPHISTOPHELES: Pfaffen waren’s auch, Sie sicherten den wohlgenaehrten Bauch. Sie waren mehr als andere beteiligt. Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward geheiligt; Und unser Kaiser, den wir froh gemacht, Zieht sich hieher, vielleicht zur letzten Schlacht.

FAUST: Er jammert mich; er war so gut und offen.

MEPHISTOPHELES: Komm, sehn wir zu! der Lebende soll hoffen. Befrein wir ihn aus diesem engen Tale! Einmal gerettet, ist’s fuer tausend Male. Wer weiss, wie noch die Wuerfel fallen? Und hat er Glueck, so hat er auch Vasallen.

MEPHISTOPHELES: Die Stellung, seh’ ich, gut ist sie genommen; Wir treten zu, dann ist der Sieg vollkommen.

FAUST: Was kann da zu erwarten sein? Trug! Zauberblendwerk! Hohler Schein.

MEPHISTOPHELES: Kriegslist, um Schlachten zu gewinnen! Befestige dich bei grossen Sinnen, Indem du deinen Zweck bedenkst. Erhalten wir dem Kaiser Thron und Lande, So kniest du nieder und empfaengst Die Lehn von grenzenlosem Strande.

FAUST: Schon manches hast du durchgemacht, Nun, so gewinn auch eine Schlacht!

MEPHISTOPHELES: Nein, du gewinnst sie! Diesesmal Bist du der Obergeneral.

FAUST: Das waere mir die rechte Hoehe, Da zu befehlen, wo ich nichts verstehe!

MEPHISTOPHELES: Lass du den Generalstab sorgen, Und der Feldmarschall ist geborgen. Kriegsunrat hab’ ich laengst verspuert, Den Kriegsrat gleich voraus formiert Aus Urgebirgs Urmenschenkraft; Wohl dem, der sie zusammenrafft.

FAUST: Was seh’ ich dort, was Waffen traegt? Hast du das Bergvolk aufgeregt?

MEPHISTOPHELES: Nein! aber, gleich Herrn Peter Squenz, Vom ganzen Prass die Quintessenz.

MEPHISTOPHELES: Da kommen meine Bursche ja! Du siehst, von sehr verschiednen Jahren, Verschiednem Kleid und Ruestung sind sie da; Du wirst nicht schlecht mit ihnen fahren. Es liebt sich jetzt ein jedes Kind Den Harnisch und den Ritterkragen; Und, allegorisch wie die Lumpe sind, Sie werden nur um desto mehr behagen.

RAUFEBOLD: Wenn einer mir ins Auge sieht, Werd’ ich ihm mit der Faust gleich in die Fresse fahren, Und eine Memme, wenn sie flieht, Fass’ ich bei ihren letzten Haaren.

HABEBALD: So leere Haendel, das sind Possen, Damit verdirbt man seinen Tag; Im Nehmen sei nur unverdrossen, Nach allem andern frag’ hernach.

HALTEFEST: Damit ist auch nicht viel gewonnen! Bald ist ein grosses Gut zerronnen, Es rauscht im Lebensstrom hinab. Zwar nehmen ist recht gut, doch besser ist’s, behalten; Lass du den grauen Kerl nur walten, Und niemand nimmt dir etwas ab.

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Harvard: Goethe, JW, '4. Akt— Hochgebirg' in Faust: Der Tragoedie Part 2. cited in , Faust: Der Tragoedie Part 2. Original Sources, retrieved 29 March 2024, from http://www.originalsources.com/Document.aspx?DocID=1GDFZUBHBW94Y1H.