Fuenftes Kapitel
Moralischer Zustand unsers Helden
Der Autor der alten Handschrift, aus welcher wir den groessesten Teil dieser Geschichte gezogen zu haben gestehen, triumphiert, wie man gesehen hat, darueber, dass er seinen Helden mit seiner ganzen Tugend von einem Hofe hinweggebracht habe. Es wuerde allerdings etwas sein, das einem Wunder ganz nahe kaeme, wenn es sich wuerklich so verhielte; aber wir besorgen, dass er mehr gesagt habe, als er der Schaerfe nach zu beweisen im Stande waere. Wenn es nicht etwan moralische Amulete gibt, welche der ansteckenden Beschaffenheit der Hofluft auf eben die Art widerstehen, wie der Kroetenstein dem Gift, so deucht uns ein wenig unbegreiflich, dass das Getuemmel des beschaeftigten Lebens, die schaedlichen Duenste der Schmeichelei, welche ein Guenstling, er wolle oder wolle nicht, unaufhoerlich einsaugt—die Notwendigkeit, von den Forderungen der Weisheit und Tugend immer etwas nachzulassen, um nicht alles zu verlieren—und was noch schaedlicher als dieses alles ist, die unzaehlichen Zerstreuungen, wodurch die Seele aus sich selbst herausgezogen wird, und ueber der Aufmerksamkeit auf eine Menge kleiner vorbeirauschender Gegenstaende, die Aufmerksamkeit auf sich selbst verliert—nicht einige nachteilige Einfluesse in den Charakter seines Geistes und Herzens gehabt haben sollten. Indessen muessen wir gestehen, dass es ihm hierin eben so erging, wie es, vermoege der taeglichen Erfahrung, allen andern Sterblichen zu gehen pflegt. Er wurde diese eben so unmerkliche als unleugbare Einfluesse, und die Veraenderungen, welche sie verstohlner Weise in seiner Seele verursacheten, eben so wenig gewahr, als ein gesunder Mensch die geheimen und schleichenden Zerruettungen empfindet, welche die Unbestaendigkeit der Witterung, die kleinen Unordnungen in der Lebensart, die heterogene Beschaffenheit der Nahrungs-Mittel, und das langsam wuerkende Gift der Leidenschaften, stuendlich in seiner Maschine verursachen. Die Veraenderungen, die in unsrer innerlichen Verfassung vorgehen, muessen betraechtlich sein, wenn sie in die Augen fallen sollen; und wir fangen gemeiniglich nicht eher an, sie deutlich wahrzunehmen, bis wir uns genoetigt finden, zu stutzen, und uns selbst zu fragen, ob wir noch eben dieselbe Person seien, die wir waren? Aus diesem Grunde geschah es vermutlich, dass Agathon die Progressen, welche die schon zu Smyrna angefangene Revolution in seiner Seele waehrend seinem Aufenthalt zu Syracus machte, ohne das mindeste Misstrauen in sie zu setzen, ganz allein den neuen oder bestaetigten Erfahrungen zuschrieb, welche er in dieser ausgebreiteten Sphaere zu machen, so viele Gelegenheiten hatte.
Es ist unstreitig einer der groessesten Vorteile, wo nicht der einzige, den ein denkender Mensch aus dem Leben in der grossen Welt mit sich nimmt, wofern es ihm jemals so gut wird, sich wieder aus derselben herauswinden zu koennen—dass er die Menschen darin kennen gelernt hat. Es laesst sich zwar gegen diese Art von Kenntnis der Menschen, aus guten Gruenden eben so viel einwenden, als gegen diejenige, welche man aus der Geschichte, und den Schriften der Dichter, Sittenlehrer, Satyristen und Romanenmacher zieht—oder gegen irgend eine andere: Aber man muss hingegen auch gestehen, dass sie wenigstens eben so zuverlaessig ist, als irgend eine andre; ja dass sie es noch in einem hoehern Grade ist, wenn anders das Subjekt, bei dem sie sich befindet, mit allen den Eigenschaften versehen ist, die zu einem Beobachter erfordert werden. Denn freilich kann nichts laecherlicher sein als ein Geck, der nachdem er zehn oder fuenfzehn Jahre seine Figur durch alle Laender und Hoefe der Welt herumgefuehrt, etliche Dutzend zweideutige Tugenden besiegt, und eben so viel schale Histoerchen oder verdaechtige Beitraege zur Chronique scandaleuse eines jeden Ortes, wo er gewesen ist, zusammengebracht hat, mit deren Huelfe er zween oder drei Tage eine Tischgesellschaft lachen oder gaehnen machen kann—sich selbst mit dem Besitz einer vollkommenen Kenntnis der Welt und der Menschen schmeichelt, und denjenigen mit dummem Hohnlaecheln von der Seite ansieht, der vermoege einer vieljaehrigen tiefen Erforschung der menschlichen Natur, gelegenheitlich von Charaktern und Sitten urteilt, ohne die sieben Tuerme gesehen, oder der Vermaehlung des Doge von Venedig mit dem adriatischen Meer beigewohnt zu haben. Wir wissen nicht, wie gross ungefaehr die Anzahl der so genannten Welt-Leute sein mag, die in diese Klasse gehoeren: Aber das scheint uns gewiss zu sein, dass ein Mann von Genie und aufgeklaertem Verstande (denn die blosse Empirie reicht hier so wenig zu, als in irgend einer andern praktischen Wissenschaft) durch das Leben in der grossen Welt, (in so fern wir dieses Wort in seiner echten Bedeutung nehmen) durch die Verhaeltnisse, worin er an einem betraechtlichen Platze mit allen Arten von Staenden und Charaktern koemmt, durch die haeufigen Gelegenheiten die er hat, diejenige so er beobachtet, unter allerlei Umstaenden, mit und ohne Maske zusehen, sie auf allerlei Proben zu setzen, und so wohl durch den Gebrauch, den man von ihnen macht, als den sie von andern zu manchen suchen, ihre herrschenden Neigungen und geheime Springfedern ausfuendig zu machen—dass er dadurch zu einer unmittelbarern, ausgebreitetern und richtigern Kenntnis der Menschen gelangt, als andre, welche ihre Theorie lediglich den Geschichtschreibern, Metaphysikern und Moralisten (drei sehr wenig zuverlaessigen Gattungen von Lehrern) zu danken—oder welche ihre Beobachtungen nur in dem Microcosmus ihres eigenen Selbst angestellt haben.
Es ist oben schon bemerkt worden, dass Agathon bei seinem Auftritt auf dem Schauplatz, von dem er nun wieder abgetreten ist, lange nicht mehr so erhaben und idealisch von der menschlichen Natur dachte, als zu Delphi; denn es macht einen betraechtlichen Unterschied, ob man unter Bildsaeulen von Goettern und Helden, oder unter Menschen lebt; aber nachdem er die Beobachtungen, die er zu Athen und Smyrna schon gesammelt, noch durch die naehere Bekanntschaft mit den Grossen, und mit den Hofleuten bereichert hatte, sank seine Meinung von der angebornen Schoenheit und Wuerde dieser menschlichen Natur, von Grade zu Grade so tief, dass er zuweilen in Versuchung geriet, gegen die Stimme seines Herzens (welche eben so wohl, dachte er, die Stimme der Eigenliebe oder des Vorurteils sein koennte,) alles was der goettliche Plato erhabenes und herrliches davon gesagt und geschrieben hatte, fuer Maerchen aus einer andern Welt zu halten. Unvermerkt kamen ihm die Begriffe, welche sich Hippias davon machte, nicht mehr so ungeheuer vor, als damals, da er sich in den Garten dieses wolluestigen Weisen in den Mondschein hinsetzte, und Betrachtungen ueber den Zustand der entkoerperten Geister anstellte. Endlich kam es gar so weit, dass ihm diese Begriffe wahrscheinlich genug deuchten, um sich vorstellen zu koennen, wie Leute, die in ihrem eigenen Herzen nichts fanden, das ihnen eine edlere Meinung von ihrer Natur zu geben geschickt waere, durch einen langen Umgang mit der Welt dazu gelangen koennten, sich gaenzlich von der Wahrheit desselben zu ueberreden.
Soweit haette Agathon gehen koennen, ohne die Grenzen der weisen Maessigung zu ueberschreiten, welche uns in unsern Urteilen ueber diesen wichtigen Gegenstand, und alles was sich auf ihn bezieht, langsam und zurueckhaltend machen sollen. Aber in Stunden, da der Unmut seine schoensten Hoffnungen durch die Torheit oder Bosheit derjenigen mit denen er leben musste, vor seinen Augen vernichten zu sehen, eine mehr als gewoehnliche Verduesterung in seiner Seele verursachte, ging er noch um einen Schritt weiter. "Nein", sagte er dann zu sich selbst, "die Menschen sind nicht wofuer ich sie hielt, da ich sie nach mir selbst, und mich selbst nach den jugendlichen Empfindungen eines gefuehlvollen Herzens, und nach einer noch ungeprueften Unschuld beurteilte. Meine Erfahrungen rechtfertigen das Schlimmste, was Hippias von ihnen sagte; und wenn sie nichts bessers sind, was fuer Ursache habe ich, mich darueber zu beschweren, dass sie sich nicht nach Grundsaetzen behandeln lassen, die in keinem Ebenmass mit ihrer Natur stehen? An mir war der Fehler, an mir, der einen Mercur aus einem knottichten Feigenstock schnitzeln wollte. Sagte er mir nicht vorher, dass ich nichts anders zu gewarten haette, wenn ich den Plan meines Lebens nach meinen Ideen einrichten wuerde. Seine Vorhersagung haette nicht richtiger eintreffen koennen. Haette ich seinen Grundsaetzen gefolgt, haette ich mich ehmals zu Athen, oder hier zu Syracus so betragen, wie Hippias an meinem Platze getan haben wuerde—so wuerde ich meine Absichten ausgefuehrt haben; so wuerde ich gluecklich gewesen sein—und der Himmel weiss, ob es den Sicilianern desto schlimmer ergangen waere. Dieses ist nun das zweite mal, dass Philistus, ein echter Anhaenger des Systems meines Sophisten, ob er gleich nicht faehig waere es so zusammenhaengend und scheinbar vorzutragen, ueber Weisheit und Tugend den Sieg davon getragen hat.—Und habe ich noch der Erfahrung vonnoeten, um zu wissen, dass er eben so gewiss ueber einen andern Plato, und ueber einen andern Agathon siegen wuerde?—Wieviel liess ich von meinen Grundsaetzen nach, wie tief stimmte ich mich selbst herab, da ich die Unmoeglichkeit sah, diejenigen mit denen ich’s zu tun hatte, so weit zu mir heraufzuziehen? Wozu half es mir?—ich konnte mich nicht entschliessen niedertraechtig zu handeln, ein Schmeichler, ein Kuppler, ein Verraeter an dem wahren Interesse des Fuersten und des Landes zu werden—und so verlor’ ich die Gunst des Fuersten, und die einzige Belohnung, die ich fuer meine Arbeiten verlange, die Vorteile, welche dieses Land von meiner Verwaltung zu geniessen anfing, auf einmal, weil ich mich nicht dazu bequemen konnte, alles fuer anstaendig und recht zu halten, was nuetzlich ist—O! gewiss Hippias, deine Begriffe und Maximen, deine Moral, deine Staatskunst, gruenden sich auf die Erfahrung aller Zeiten. Wenn sind die Menschen jemals anders gewesen? Wenn haben sie jemals die Tugend hochgeschaetzt, als wenn sie ihrer Dienste benoetigt waren; und wenn ist sie ihnen nicht verhasst gewesen, so bald sie ihren Leidenschaften im Lichte stund?"
Diese Betrachtungen fuehrten unsern Helden bis an die aeusserste Spitze des tiefen Abgrunds, der zwischen dem System der Tugend, und dem System des Hippias liegt; aber der erste schuechterne Blick, den er hinunter wagte, war genug, ihn mit Entsetzen zurueckfahren zu machen. Die Begriffe des wesentlichen Unterschieds zwischen Recht und Unrecht, und die Ideen des sittlichen Schoenen, hatten zu tiefe Wurzeln in seiner Seele gefasst, waren zu genau mit den zartesten Fibern derselben verflochten und zusammengewachsen, als dass es moeglich gewesen waere, dass irgend eine zufaellige Ursache, so stark sie immer auf seine Einbildung und auf seine Leidenschaften wuerken mochte, sie haette ausreuten koennen. Die Tugend hatte bei ihm keinen anderen Sachwalter noetig als sein eignes Herz. In eben dem Augenblick, da eine nur allzugegruendete Misanthropie ihm die Menschen in einem veraechtlichen Lichte, und vielleicht wie gewisse Spiegel, um ein gutes Teil haesslicher zeigte, als sie wuerklich sind, fuehlte er mit der vollkommensten Gewissheit, dass er, um die Krone des Monarchen von Persien selbst, weder Hippias noch Philistus sein wollte; und dass er, sobald er sich wieder in die naemliche Umstaende gesetzt saehe, eben so handeln wuerde, wie er gehandelt hatte, ohne sich durch irgend eine Folge davon erschrecken zu lassen. Hingegen konnte es nicht wohl anders sein, als dass diese Betrachtungen, denen er sich seit seinem Fall, und sonderheitlich waehrend seiner Gefangenschaft, fast gaenzlich ueberliess, den ueberrest des moralischen Enthusiasmus, von dem wir ihn bei seiner Flucht aus Smyrna erhitzt gesehen haben, vollends verzehren mussten. Der Gedanke fuer das Glueck der Menschen, fuer das allgemeine Beste der ganzen Gattung zu arbeiten, verliert seinen maechtigen Reiz, sobald wir klein von dieser Gattung denken. Die Groesse dieses Vorhabens ist es eigentlich, was den Reiz derselben ausmacht—und diese schrumpft natuerlicher Weise sehr zusammen, sobald wir uns die Menschen als eine Herde von Kreaturen vorstellen, deren groessester Teil seine ganze Glueckseligkeit, den letzten Endzweck aller seiner Bemuehungen auf seine koerperliche Beduerfnisse einschraenkt, und dabei dumm genug ist, durch eine niedertraechtige Unterwuerfigkeit unter eine kleine Anzahl der schlimmsten seiner Gattung, sich fast immer in den Fall zu setzen, auch dieser bloss tierischen Glueckseligkeit nur selten oder auf kurze Zeit, bittweise oder verstohlner Weise habhaft zu werden. "Jedes Tier sucht seine Nahrung—graebt sich eine Hoehle, oder baut sich ein Nest—begattet sich—schlaeft—und stirbt. Was tut der groesseste Teil der Menschen mehr? Das betraechtlichste Geschaefte, das sie von den uebrigen Tieren voraus haben, ist die Sorge sich zu bekleiden, welche die hauptsaechlichste Beschaeftigung vieler Millionen ausmacht. Und ich sollte", (sagte Agathon in einer von seinen schlimmsten Launen zu sich selbst) "ich sollte meine Ruhe, meine Vergnuegungen, meine Kraefte, mein Dasein der Sorge aufopfern, damit irgend eine besondere Herde dieser edeln Kreaturen besser esse, schoener wohne, sich haeufiger begatte, sich besser kleide, und weicher schlafe als sie zuvor taten, oder als andere ihrer Gattung tun?—Ist das nicht alles was sie wuenschen? Und gebrauchen sie mich dazu? Was sollte mich bewegen, mir diese Verdienste um sie zu machen? Ist vielleicht nur ein einziger unter ihnen, der bei allem was er unternimmt, eine edlere Absicht hat, als seine eigne Befriedigung? Bin ich ihnen etwan einige Hochachtung oder Dankbarkeit dafuer schuldig, dass sie fuer meine Beduerfnisse oder fuer mein Vergnuegen arbeiten? Ich bin schuldig, sie dafuer zu bezahlen; das ist alles was sie wollen, und alles was sie an mich fordern koennen."
"Himmel!"—so deucht mich, hoere ich hier einige ruehrende Stimmen ausrufen—"ist’s moeglich? Konnte Agathon so denken? So klein, so unedel -" "so kalt, meine schoenen Damen, so kalt! Und sie werden mir gestehen, dass man in einer Einkerkerung von zween oder drei Monaten, die man sich ganz allein durch grosse und edle Gesinnungen zugezogen, gute Gelegenheit hat, sich von der Hitze der grossmuetigen Schwaermerei ein wenig abzukuehlen -" "Aber was wird nun aus der Tugend unsers Helden werden?—Was ist die Tugend ohne dieses schoene Feuer, ohne diese erhabene Begeisterung, welche den Menschen ueber die uebrigen seiner Gattung, welche ihn ueber sich selbst erhoeht, und zu einem allgemeinen Wohltaeter, zu einem Genius, zu einer subalternen Gottheit macht?"—"Wir gestehen es, sie ist ohne diese aetherische Flamme ein sehr unansehnliches, sehr wenig glaenzendes Ding -" "Und wie traurig ist es, die Tugend unsers Helden gerade da unterliegen zu sehen, wo sie sich in ihrer groessesten Staerke zeigen sollte?—Wie?—erliegen, weil man Widerstand findet? Die gute Sache aufgeben, weil man, und vielleicht ohne Not, an einem gluecklichen Ausgang verzweifelt? Was ist denn die wahre Tugend anders, als ein immerwaehrender Streit mit den Leidenschaften, Torheiten und Lastern—in uns, und ausser uns?"—"Vortrefflich!—und in Bunyans ’Reise’ so wohl ausgefuehrt, meine Herren, dass ihr uns hier weiter nichts zu sagen braucht. Es ist bedaurlich, dass unser Held seine Rolle nicht besser behauptet—Aber allem Ansehen nach, war er wohl niemals ein Held—und wir hatten Unrecht ihm einen so ehrenvollen Namen beizulegen -" "Das eben nicht; er fing vortrefflich an; er war ein Held, da er sich den zudringlichen Liebkosungen der verfuehrischen Pythia entriss -" "Das konnte die scheue und schamhafte Unschuld der unbaertigen Jugend getan haben; und liebte er damals nicht die schoene Psyche?"—"So verdiente er doch ein Held genannt zu werden, als er den Mut hatte, sich eines verlassenen Unschuldigen gegen eine maechtige Partei anzunehmen?"—"Ihr koenntet vielleicht eben soviel aus Ehrgeiz—oder aus Hass gegen einen der Feinde eures Klienten—oder aus einer geheimen Absicht auf die Gemahlin eures Klienten—oder um vierzig tausend Livres aus der Kasse eures Klienten tun?—und ihr haettet in keinem von diesen Faellen eine Heldentat getan. Dass Agathon damals aus edeln Gesinnungen handelte, wissen wir—von ihm selbst; und wir haben Gruende, es ihm zu glauben—aber er konnte sich mit der groessesten Wahrscheinlichkeit einen glaenzenden Sukzess versprechen; und was fuer ein Triumph war das fuer die Ruhmbegierde eines Juenglings von zwanzig Jahren?"—"Nun, so war er doch gewiss ein Held, da er gleichmuetig und unerschuetterlich sich dem ungerechten Verbannungs-Urteil der Athenienser unterzog, und lieber das aeusserste erdulden, als seine Lossprechung einer Niedertraechtigkeit zu danken haben wollte!—So war er’s damals, da er von sich sagen konnte: ’Ich verwies es der Tugend nicht, dass sie mir den Hass und die Verfolgungen der Boesen zugezogen hatte; ich fuehlte, dass sie sich selbst belohnt.’"—"In der Tat, er war in diesem Augenblick gross; aber wir muessen nicht vergessen, dass er sich damals in einem ausserordentlichen Zustande, auf dem aeussersten Grade dieses Enthusiasmus der Tugend befand, der den Menschen vergessen macht, dass er nur ein Mensch ist. Diese Art von Heldentum daurt natuerlicher Weise nicht laenger, als der Paroxysmus des Affekts. Agathon war sich damals, als er so dachte, einer unbefleckten Tugend bewusst; und zu was fuer einem Stolz musste dieses Gefuehl seine Seele in einem Augenblick aufschwellen, da sich ganz Athen zusammenverschworen zu haben schien, ihn zu demuetigen; in einem Augenblick, da dieser Stolz der ganzen Last seines Ungluecks das Gleichgewicht halten musste, und ihm den Triumph verschaffte, die Herren ueber sein Schicksal die ganze Obermacht, die ihm seine Tugend ueber sie gab, fuehlen zu lassen? Diese Art von Stolz gleicht in ihren Wuerkungen der Wut eines tapfern Mannes der zur Verzweiflung getrieben wird. Die Gewissheit des Todes, in den er sich hineinstuerzt, macht, dass er Taten eines Unsterblichen tut. Aber Agathon hatte dermalen nicht mehr soviel Ursache, auf seine Tugend stolz zu sein. Eben diese enthusiastische Gemuets-Beschaffenheit, welche ihm bei seiner Verbannung zu Athen die Gesinnungen eines Gottes eingehaucht, hatte ihn zu Smyrna den Schwachheiten eines gemeinen Menschen ausgesetzt. Er dachte nicht mehr so gross von sich selbst, und da ihm nun, in aehnlichen Umstaenden, dieser heroische Stolz nicht mehr zu statten kommen konnte, so musste sich derselbe notwendig in diejenige Art von Misanthropie verwandeln, welche sich ueber die ganze Gattung erstreckt. In diesem Stuecke, wie in vielen andern, ist die Geschichte Agathons die Geschichte aller Menschen. Wir denken so lange gross von der menschlichen Natur, als wir gross von uns selber denken; unsere Verachtung hat alsdann nur einzelne Menschen oder kleinere Gesellschaften zum Gegenstand. Aber sobald wir in unsrer Meinung von uns selbst fallen, sinkt durch eine innerliche Gewalt ueber welche wir nicht Meister sind, unsre Meinung von der ganzen Gattung zu welcher wir gehoeren; wir verwundern uns, dass wir nicht eher wahrgenommen, dass die Torheiten, die Laster derjenigen, unter denen wir leben, Gebrechen der Natur selbst sind, denen (mehr oder weniger, auf diese oder eine andre Art, je nachdem Zeit, Umstaende, Temperament und Gewohnheit es mit sich bringen) ein jeder unterworfen ist; je genauer wir die Menschen untersuchen, je mehr Gruende finden wir, so zu denken; und diese Denkungsart floesset uns, zu eben der Zeit, da sie uns eine gewisse Geringschaetzung gegen die ganze Gattung gibt, mehr Nachsicht gegen die Fehler und Gebrechen der einzelnen Personen, und besondern Gesellschaften, mit denen wir in Verhaeltnis stehen, ein; so dass wir das, was wir an jenem tugendhaften Schwulst, welchen die Einfalt uebereilter Weise fuer die Tugend selbst haelt, verlieren, zu eben der Zeit an den notwendigsten und liebenswuerdigsten Tugenden, an Geselligkeit und Maessigung gewinnen: Tugenden, welche zwar nichts blendendes haben, aber desto mehr Waerme geben, und uns desto geschickter machen, unter Geschoepfen zu leben, welche ihrer alle Augenblicke benoetiget sind.
Es ist ein gemeiner und oft getadelter Fehler des menschlichen Geschlechts, dass sie das Wunderbare mehr lieben als das Natuerliche, und das Glaenzende mehr als was nicht so gut in die Augen faellt, wenn es gleich brauchbarer und dauerhafter ist. Diese Art von dem Werte der Sachen zu urteilen ist nirgends betrueglicher, als wenn sie auf moralische Gegenstaende angewendet wird. Der Schluss, den man oefters von der Erhabenheit der Begriffe und Empfindungen einer Person, und von der Fertigkeit eine gewisse Sprache der Begeistrung zu reden, welche (wie die homerische Goettersprache) allen Dingen andre Namen gibt, ohne dass die Dinge selbst darum etwas anders sind, als sie unter ihren gewoehnlichen Namen sind, auf eine ausserordentliche Vortrefflichkeit des Charakters dieser Person zu machen pflegt, ist eben so falsch, als das Vorurteil, welches viele gegen eine gelassene und bescheidene Tugend gefasst haben, welche, ohne sich durch feirliches Gepraenge, hochfliegende Ideen, anmassliche Privilegien von den Gebrechen der menschlichen Natur, und unerbittliche Strenge gegen dieselben anzukuendigen, nur darum weniger zu versprechen scheint, um im Werke selbst desto mehr zu leisten. Dieses vorausgesetzt koennten wir vielleicht mit gutem Grunde behaupten, dass die Tugend unsers Helden, durch die neuerliche Veraenderung, die in seiner Denkensart vorging, in verschiedenen Betrachtungen, grosse Vorteile erhalten habe. Aber (wir wollen es nur gestehen) was sie dabei auf einer Seite gewann, verlor sie auf einer andern wieder. Die Begriffe, welche wir uns von unsrer eignen Natur machen, haben einen entscheidenden Einfluss auf alle unsre uebrigen Begriffe. So irrig, so laecherlich und kindisch es ist, wenn wir uns einbilden (und doch bilden sich das die Meisten ein) dass der Mensch die Hauptfigur in der ganzen Schoepfung, und alles andere bloss um seinetwillen da sei—So natuerlich ist hingegen, dass er es in dem besondern System seiner eignen Ideen ist. In dieser kleinen Welt ist und bleibt er, er wolle oder wolle nicht, der Mittelpunkt—der Held des Stuecks, auf den alles sich bezieht, und dessen Glueck oder Fall alles entscheidet. Alles ist gross, wichtig, interessant, wenn die Hauptperson wichtig ist, und eine grosse Rolle zu spielen hat; aber wenn Scapin oder Harlekin der Held ist, was kann das ganze Stueck anders sein, als eine Farce?"
Man erinnert sich vermutlich noch der Zweifel, worin sich Agathon verwickelt fand, als er die bezauberten Ufer von Jonien verliess, wo er, vielleicht zu seinem Vorteil, erfahren hatte, dass die Ideen, welche sich in den Hainen zu Delphi seiner jugendlichen Seele bemaechtiget, und durch den Unterricht und Umgang des goettlichen Platons zu Athen noch mehr darin befestiget hatten, ihm bei einer Gelegenheit, wo er sich mit vollkommner Sicherheit auf ihre Staerke und beschuetzende Kraft verlassen hatte, mehr nachteilig als nuetzlich gewesen waren, ja sich endlich (zu einem billigen Verdacht gegen ihre Realitaet) von ganz entgegengesetzten so unmerklich und gutwillig hatten verdraengen lassen, dass er die Veraenderung nicht eher wahrgenommen, als da sie schon voellig zu Stande gekommen war. Agathon hatte damals keine Zeit, dieser Zweifel wegen mit sich selbst einig zu werden; er glaubte zwar, oder hoffte vielmehr ueberhaupt, dass dasjenige was in seinen vormaligen Grundsaetzen wahres sei, sich mit seinen neuerlangten Begriffen sehr wohl vereinigen lassen werde—aber er sah doch noch nicht deutlich genug, wie?—und wurde beim ersten Anblick Luecken gewahr, welche ihm desto mehr Sorge machten, je weniger er geneigt war, sie nach dem Exempel der Meisten, die sich in dieser Schwierigkeit befinden, mit dem ersten Besten, es moechte Stroh, Leimen, Lumpen oder was ihm sonst in die Haende fiele, sein, auszustopfen. Indes hatten doch damals seine vorigen Lieblings-Ideen noch einen starken Anhang in seinem Herzen, und er beruhigte sich, auf die Eingebungen desselben hin, mit der Hoffnung, dass es ihm, sobald er in ruhigere Umstaende kaeme, leicht sein wuerde, die Harmonie zwischen seinem Kopf und seinem Herzen vollkommen wieder herzustellen. Allein die Geschaefte und die Zerstreuungen, welche zu Syracus alle seine Zeit verschlangen, hatten ihn genoetigt, eine fuer ihn so wichtige Arbeit lange genug aufzuschieben, um sie durch immer neu hervorbrechende Schwierigkeiten ungleich schwerer zu machen, als sie anfangs gewesen waere. Die ungereimte und laecherliche Seite der menschlichen Meinungen, Leidenschaften, und Gewohnheiten ist gemeiniglich die erste, welche sie einem Manne von Verstand und Witz zeigen, der die Musse nicht hat, sie mit anhaltender Aufmerksamkeit zu betrachten. Agathon gewoehnte sich also unvermerkt an diese Art, die Sachen anzuschauen; die natuerliche Heiterkeit und Lebhaftigkeit seiner Sinnesart disponierte ihn ohnehin dazu; und die Syracusaner, deren Charakter eine Vermischung des Atheniensischen und Corinthischen, oder eine Komposition von den widersprechendesten Eigenschaften, welche ein Volk nur immer haben kann, ausmachte—und ein Hof, wie Dionysens Hof war—versahen ihn so reichlich mit komischen Charaktern, Bildern und Begebenheiten, dass der Absatz, welchen der gegenwaertige Ton seiner Seele (wenn man uns dieses malerische Kunst-Wort hier erlauben will) mit seinem ehmaligen machte, von Tag zu Tag immer staerker werden musste. Der Oromasdes und Arimanius der alten Persen werden uns nicht als toedlichere Feinde vorgestellt, als es der komische Geist, und der Geist des Enthusiasmus sind; und die natuerliche Antipathie dieser beiden Geister wird dadurch nicht wenig vermehrt, dass beide gleich geneigt sind, ueber die Grenzen der Maessigung hinauszuschweifen. Der Enthusiastische Geist sieht alles in einem strengen feierlichen Licht; der Komische alles in einem milden und lachenden; nichts ist dem ersten leichter als so weit zugehen, bis ihm alles, was Spiel und Scherz heisst, verdammlich vorkommt; nichts dem andern leichter, als gerade in demjenigen, was jener mit der groessesten Ernsthaftigkeit behandelt, am meisten Stoff zum Scherzen und Lachen zu finden.
Nehmen wir zu diesem noch, dass der leichtsinnige und scherzhafte Ton von jeher den Hoefen vorzueglich eigen gewesen ist—und den besondern Umstand, dass die anmasslichen Akademisten, oder Hof-Philosophen des Dionys, den einzigen Aristipp ausgenommen, eine Art von Tragikomischen Narren vorstellten, welche recht mit Fleiss dazu ausgesucht zu sein schienen, um die erhabenen Wissenschaften, fuer deren Priester und Mystagogen sie sich ausgeben, so veraechtlich zu machen, als sie selbst waren—Nehmen wir alles dieses zusammen, so werden wir uns kaum verwundern koennen, wie es moeglich gewesen, dass unser Held nach und nach sich endlich auf einem Punkt befand, wo ihn damals, da er in der Grotte der Nymphen auf Erscheinungen der Goetter wartete—oder da er die Grundsaetze, die Verheissungen und die Freundschaft des Sophisten Hippias mit einem so feurigen Unwillen von sich stiess—vermutlich niemand, oder nur die schlauesten Kenner des menschlichen Herzens erwartet haben moegen—naemlich da, wo ihm ein grosser Teil seiner vormaligen Ideen, an denen er zu Smyrna nur zu zweifeln angefangen hatte, nun selbsten ganz schimaerisch und belachenswert, und diejenigen, deren Gegenstaende ihm zwar ehrwuerdig bleiben mussten, doch subjektivisch betrachtet, in der barokischen Gestalt, wie sie in der Einbildung der Sterblichen verkleinert, verzerrt, vermischt oder verkleidet werden, zu nichts anderm zu taugen schienen, als lustig damit zu machen.
Unsere nachdenkenden Leser werden nunmehr ganz deutlich begreifen, warum wir Bedenken getragen haben, dem Urheber der Griechischen Handschrift in seinem allzuguenstigen Urteil von dem gegenwaertigen moralischen Zustande unsers Helden, Beifall zu geben. Wir koennen uns nicht verbergen, dass dieser Zustand fuer seine Tugend gefaehrlich ist, und desto gefaehrlicher, je mehr man in demselben durch eine gewisse Behaglichkeit, Munterkeit des Geistes, und andre Anscheinungen einer voelligen Gesundheit, sicher gemacht zu werden pflegt, sich in seinem natuerlichen Zustande zu glauben. Nicht als ob es uns eben so leid sei, unsern Helden (den wir mit allen seinen Fehlern eben so sehr lieben, als ob er ein Sir Carl Grandison waere) auf dem Wege zu sehen, von allen Arten der Schwaermerei von Grund aus geheilt zu werden—Denn so viel schoenes und gutes sich immer zu ihrem Vorteil sagen lassen mag, so bleibt doch gewiss, dass es besser ist gesund sein, und keine Entzueckungen haben, als die Harmonie der Sphaeren hoeren, und an einem hitzigen Fieber liegen—aber wir besorgen billig, dass die allzustarke Nachlassung, welche in der Seele eben sowohl als im Leibe, auf eine uebermaessige Spannung zu folgen pflegt, seinem Herzen wenigstens so nachteilig werden koennte, als es die liebenswuerdige Schwaermerei, womit wir ihn behaftet gesehen haben, seiner Vernunft sein mochte. Der neue Schwung, den seine Denkungsart zu Syracus bekam, wuerde uns ziemlich gleichgueltig sein, wenn die Veraenderung sich bloss auf spekulative Begriffe oder den Ton und die Verteilung des Lichts und Schattens in seiner Seele erstreckte: Aber wenn er dadurch weniger rechtschaffen, weniger ein Liebhaber der Wahrheit, weniger empfindlich fuer das Beste des menschlichen Geschlechts, weniger edelgesinnt, und wohltaetig, weniger zur vorzueglichen Teilnehmung an der Glueckseligkeit irgend einer besondern Gesellschaft (ohne welche die anmassliche Welt-Buergerschaft gewisser Leute blosse Grosssprecherei oder hoechstens eine Art von Don-Quischotterie ist) und zur Freundschaft, diesem Lieblings-Phantom schoener Seelen, weniger aufgelegt wuerde—erlaubet mir, ihr strengen Anti-Platonisten, denen alles Schimaere heisst, was sich nicht geometrisch beweisen laesst, erlaubet mir noch weiter zu gehen—wenn dieser schoene, herzerhoehende, wohltaetige, und der Tugend so vorteilhafte Gedanke—fuer eine groessere Sphaere als dieses animalische Leben, fuer eine edlere Art von Existenz, fuer vollkommnere Gegenstaende, und zu einer vollkommnern Art von Aktivitaet, als unsre dermalige bestimmt zu sein—und die begeisternden, wiewohl traeumerischen Aussichten, die uns dieser Beste aller Gedanken gibt—wenn er keinen Reiz, keine Macht auf seine Seele mehr haette—O! Agathon, Agathon! dann wuerdest du, nicht unsern Hass, nicht eine lieblose Beurteilung, nicht eine triumphierende Freude ueber deinen Fall, aber—unser Mitleiden verdienen.
Die Gemuets-Verfassung worin wir ihn in diesem Kapitel gesehen haben, scheint allerdings nicht sehr geschickt zu sein, uns ueber diesen Punkt seinetwegen ausser Sorgen zu setzen. Es ist eine so unbestaendige Sache um die Begriffe, Meinungen und Urteile eines Menschen! Die Umstaende, der besondere Gesichts-Punkt, in den sie uns stellen, die Gesellschaft worin wir leben, tausend kleine Einfluesse, die wir einzeln nicht gewahr werden, haben soviel Gewalt ueber dieses unerklaerbare, launische, widersinnische Ding, unsre Seele!—dass wir nicht Buerge dafuer sein wollten, was aus unserm Helden haette werden koennen, wofern er mit solchen Dispositionen in eine Gesellschaft von Hippiassen und Alcibiaden, oder zurueck in die schoene Welt zu Smyrna versetzt worden waere. Zu gutem Glueck sehen wir ihn im Begriff, zu Leuten zukommen, welche ihn mit der Menschheit wieder aussoehnen, und seinem schon erkaeltenden Herzen diese beseelende Waerme wieder mitteilen werden, ohne welche die Tugend eine blosse Spekulation ist, die zwar einen unerschoepflichen Stoff zu scharfsinnigen Betrachtungen gibt, aber unter den vielerlei chemischen Prozessen, welche die allzuspitzfuendige Vernunft mit ihr vornimmt, endlich ein so abgezogenes, so feines, so delikates Ding wird, dass sich kein Gebrauch davon machen laesst.
So sehr sich auch die Einbildungs-Kraft unsers Helden abgekuehlt hat, so unzuverlaessig, uebertrieben und grillenhaft er die Geister-Lehre und die metaphysische Politik seines Freundes Plato zu finden glaubt; so komisch ihm seine eigene Ausschweifungen in dem Stande der Bezauberung, worin er sich ehemals befunden, vorkommen; so klein er ueberhaupt von den Menschen denkt, und so fest er entschlossen zu sein vermeint, von dem schoenen Phantom, wie er es itzo nennt, von dem Gedanken, sich Verdienste um seine Gattung zu machen, in seinem Leben sich nicht wieder taeuschen zu lassen; so ist es doch bei weitem noch nicht an dem, dass er diese zarte Empfindlichkeit der Seele, und diesen eingewurzelten Hang zu dem idealischen Schoenen verloren haben sollte, der das geheime Principium seiner ehemaligen Begeisterung, und aller der manchfaltigen Schwaermereien, Bezauberungen und Entzueckungen, in deren magischem Labyrinthe sie ihn, nach Massgabe der Umstaende, herumgefuehrt, gewesen ist. Die verstohlnen Blicke, die er noch so gerne in die Szenen seiner gluecklichen Jugend wirft; das Bild der liebenswuerdigen Psyche, welches durch alle Veraenderungen, die in seiner Seele vorgegangen, nichts von seinem Glanze verloren hat; die Erinnerung dieser reinen, unbeschreiblichen, fast vergoetternden Wollust, in welcher sein Herz zerfloss, als er es noch in seiner Gewalt hatte, Glueckliche zu machen; und als die Reinigkeit dieser goettlichen Lust noch durch keine Erfahrungen von der Undankbarkeit und Bosheit der Menschen verduestert und truebe gemacht wurde—diese Bilder, denen er sich noch so gerne ueberlaesst—welche sich selbst in seinen Traeumen seiner geruehrten Seele so oft und so lebhaft darstellen—die Seufzer, die Wuensche, die er diesen geliebten verschwindenden Schatten nachschickt—alle diese Symptomen sind uns Buerge dafuer, dass er noch Agathon ist; dass die Veraenderung in seinen Begriffen und Urteilen, die neue Theorie von allem dem, was wuerklich ein Gegenstand unsrer Nachforschung zu sein verdient, oder von Eitelkeit und Vorwitz dazu gemacht worden, welche sich in seiner Seele zu entwickeln angefangen, die edlern Teile seines Herzens nicht angegriffen habe; kurz, dass wir uns Hoffnung machen koennen, aus dem Streit der beiden widerwaertigen und feindlichen Geister, wodurch seine ganze innerliche Verfassung seit einiger Zeit erschuettert, verwirrt und in Gaerung gesetzt worden, zuletzt eine eben so schoene Harmonie von Weisheit und Tugend hervorkommen zu sehen, wie nach dem System der alten Morgenlaendischen Weisen, aus dem Streit der Finsternis und des Lichts, diese schoene Welt hervorgegangen sein soll.