2 - Tannenbaum, Mit Gruenen Fingern
Tannenbaum, mit gruenen Fingern Pocht ans niedre Fensterlein, Und der Mond, der stille Lauscher, Wirft sein goldnes Licht herein.
Vater, Mutter schnarchen leise In dem nahen Schlafgemach, Doch wir beide, selig schwatzend, Halten uns einander wach.
"Dass du gar zu oft gebetet, Das zu glauben wird mir schwer, Jenes Zucken deiner Lippen Kommt wohl nicht vom Beten her.
"Jenes boese, kalte Zucken, Das erschreckt mich jedesmal, Doch die dunkle Angst beschwichtigt Deiner Augen frommer Strahl.
"Auch bezweifl ich, dass du glaubest, Was so rechter Glauben heisst — Glaubst wohl nicht an Gott den Vater, An den Sohn und Heilgen Geist?"
Ach, mein Kindchen, schon als Knabe Als ich sass auf Mutters Schoss, Glaubte ich an Gott den Vater, Der da waltet gut und gross;
Der die schoene Erd erschaffen, Und die schoenen Menschen drauf, Der den Sonnen, Monden, Sternen Vorgezeichnet ihren Lauf.
Als ich groesser wurde, Kindchen, Noch viel mehr begriff ich schon, Ich begriff, und ward vernuenftig, Und ich glaub auch an den Sohn;
An den lieben Sohn, der liebend Uns die Liebe offenbart Und zum Lohne, wie gebraeuchlich, Von dem Volk gekreuzigt ward.
Jetzo, da ich ausgewachsen, Viel gelesen, viel gereist, Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen Glaub ich an den Heilgen Geist.
Dieser tat die groessten Wunder, Und viel groessre tut er noch: Er zerbrach die Zwingherrnburgen, Und zerbrach des Knechtes Joch.
Alte Todeswunden heilt er, Und erneut das alte Recht: Alle Menschen, gleichgeboren, Sind ein adliges Geschlecht.
Er verscheucht die boesen Nebel Und das dunkle Hirngespinst, Das uns Lieb und Lust verleidet, Tag und Nacht uns angegrinst.
Tausend Ritter, wohlgewappnet, Hat der Heilge Geist erwaehlt, Seinen Willen zu erfuellen, Und er hat sie mutbeseelt.
Ihre teuern Schwerter blitzen, Ihre guten Banner wehn! Ei, du moechtest wohl, mein Kindchen, Solche stolze Ritter sehn?
Nun, so schau mich an, mein Kindchen, Kuesse mich und schaue dreist; Denn ich selber bin ein solcher Ritter von dem Heilgen Geist.