Martinach Im Wallis, Den 6. Nov. Abends.

Gluecklich sind wir herueber gekommen und so waere auch dieses Abenteuer bestanden. Die Freude ueber unser gutes Schicksal wird mir noch eine halbe Stunde die Feder lebendig erhalten.

Unser Gepaeck auf ein Maulthier geladen, zogen wir heute frueh gegen Neune von Prieure aus. Die Wolken wechselten, dass die Gipfel der Berge bald erschienen, bald verschwanden, bald die Sonne streifweis in’s Thal dringen konnte, bald die Gegend wieder verdeckt wurde. Wir gingen das Thal hinauf, den Ausguss des Eisthals vorbei, ferner den Glacier d’Argentiere hin, den hoechsten von allen, dessen oberster Gipfel uns aber von Wolken bedeckt war. In der Gegend wurde Rath gehalten, ob wir den Stieg ueber den Col de Balme unternehmen und den Weg ueber Valorsine verlassen wollten. Der Anschein war nicht der vortheilhafteste; doch da hier nichts zu verlieren und viel zu gewinnen war, traten wir unsern Weg keck gegen die dunkle Nebelund Wolkenregion an. Als wir gegen den Glacier du Tour kamen, rissen sich die Wolken auseinander, und wir sahen auch diesen schoenen Gletscher in voelligem Lichte. Wir setzten uns nieder, tranken eine Flasche Wein aus und assen etwas Weniges. Wir stiegen nunmehr immer den Quellen der Arve auf rauhern Matten und schlecht beras’ten Flecken entgegen und kamen dem Nebelkreis immer naeher, bis er uns endlich voellig aufnahm. Wir stiegen eine Weile geduldig fort, als es auf einmal, indem wir aufschritten, wieder ueber unsern Haeuptern helle zu werden anfing. Kurze Zeit dauerte es, so traten wir aus den Wolken heraus, sahen sie in ihrer ganzen Last unter uns auf dem Thale liegen, und konnten die Berge, die es rechts und links einschliessen, ausser dem Gipfel des Montblanc, der mit Wolken bedeckt war, sehen, deuten und mit Namen nennen. Wir sahen einige Gletscher von ihren Hoehen bis zu der Wolkentiefe herabsteigen, von andern sahen wir nur die Plaetze, indem uns die Eismassen durch die Bergschrunden verdeckt wurden. UEber die ganze Wolkenflaeche sahen wir, ausserhalb dem mittaegigen Ende des Thales, ferne Berge im Sonnenschein. Was soll ich Ihnen die Namen von den Gipfeln, Spitzen, Nadeln, Eisund Schneemassen vorerzaehlen, die Ihnen doch kein Bild, weder vom Ganzen noch vom Einzelnen, in die Seele bringen. Merkwuerdiger ist’s, wie die Geister der Luft sich unter uns zu streiten schienen. Kaum hatten wir eine Weile gestanden und uns an der grossen Aussicht ergetzt, so schien eine feindselige Gaehrung in dem Nebel zu entstehen, der auf einmal aufwaerts strich, und uns auf’s neue einzuwickeln drohte. Wir stiegen staerker den Berg hinan, ihm nochmals zu entgehn, allein er ueberfluegelte uns und huellte uns ein. Wir stiegen immer frisch aufwaerts, und bald kam uns ein Gegenwind vom Berge selbst zu Huelfe, der durch den Sattel, der zwei Gipfel verbindet, hereinstrich und den Nebel wieder in’s Thal zuruecktrieb. Dieser wundersame Streit wiederholte sich oefter, und wir langten endlich gluecklich auf dem Col de Balme an. Es war ein seltsamer, eigener Anblick. Der hoechste Himmel ueber den Gipfeln der Berge war ueberzogen, unter uns sahen wir durch den manchmal zerrissenen Nebel in’s ganze Thal Chamouni, und zwischen diesen beiden Wolkenschichten waren die Gipfel der Berge alle sichtbar. Auf der Ostseite waren wir von schroffen Gebirgen eingeschlossen, auf der Abendseite sahen wir in ungeheure Thaeler, wo doch auf einigen Matten sich menschliche Wohnungen zeigten. Vorwaerts lag uns das Wallisthal, wo man mit einem Blick bis Martinach und weiter hinein mannichfaltig ueber einander geschlungene Berge sehen konnte. Auf allen Seiten von Gebirgen umschlossen, die sich weiter gegen den Horizont immer zu vermehren und aufzuthuermen schienen, so standen wir auf der Graenze von Savoyen und Wallis. Einige Contrebandiers kamen mit Mauleseln den Berg herauf und erschraken vor uns, da sie an dem Platz jetzo niemand vermutheten. Sie thaten einen Schuss, als ob sie sagen wollten: damit ihr seht, dass sie geladen sind, und einer ging voraus, um uns zu recognosciren. Da er unsern Fuehrer erkannte und unsere harmlosen Figuren sah, rueckten die andern auch naeher, und wir zogen mit wechselseitigen Glueckwuenschen an einander vorbei. Der Wind ging scharf und es fing ein wenig an zu schneien. Nunmehr ging es einen sehr rauhen und wilden Stieg abwaerts, durch einen alten Fichtenwald, der sich auf Fels-Platten von Gneiss eingewurzelt hatte. Vom Wind ueber einander gerissen verfaulten hier die Staemme mit ihren Wurzeln, und die zugleich losgebrochenen Felsen lagen schroff durch einander. Endlich kamen wir in’s Thal, wo der Trientfluss aus einem Gletscher entspringt, liessen das Doerfchen Trient ganz nahe rechts liegen und folgten dem Thale durch einen ziemlich unbequemen Weg, bis wir endlich gegen Sechse hier in Martinach auf flachem Wallisboden angekommen sind, wo wir uns zu weitern Unternehmungen ausruhen wollen.