Wilhelm Meisters Lehrjahre, Buch 8

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Author: Johann Wolfgang von Goethe

VIII. Buch, Erstes Kapitel

Felix war in den Garten gesprungen, Wilhelm folgte ihm mit Entzuecken, der schoenste Morgen zeigte jeden Gegenstand mit neuen Reizen, und Wilhelm genoss den heitersten Augenblick. Felix war neu in der freien und herrlichen Welt, und sein Vater nicht viel bekannter mit den Gegenstaenden, nach denen der Kleine wiederholt und unermuedet fragte. Sie gesellten sich endlich zum Gaertner, der die Namen und den Gebrauch mancher Pflanzen hererzaehlen musste; Wilhelm sah die Natur durch ein neues Organ, und die Neugierde, die Wissbegierde des Kindes liessen ihn erst fuehlen, welch ein schwaches Interesse er an den Dingen ausser sich genommen hatte, wie wenig er kannte und wusste. An diesem Tage, dem vergnuegtesten seines Lebens, schien auch seine eigne Bildung erst anzufangen; er fuehlte die Notwendigkeit, sich zu belehren, indem er zu lehren aufgefordert ward.

Jarno und der Abbe hatten sich nicht wieder sehen lassen; abends kamen sie und brachten einen Fremden mit. Wilhelm ging ihm mit Erstaunen entgegen, er traute seinen Augen nicht: es war Werner, der gleichfalls einen Augenblick anstand, ihn anzuerkennen. Beide umarmten sich aufs zaertlichste, und beide konnten nicht verbergen, dass sie sich wechselsweise veraendert fanden. Werner behauptete, sein Freund sei groesser, staerker, gerader, in seinem Wesen gebildeter und in seinem Betragen angenehmer geworden. "Etwas von seiner alten Treuherzigkeit vermiss ich", setzte er hinzu. "Sie wird sich auch schon wieder zeigen, wenn wir uns nur von der ersten Verwunderung erholt haben", sagte Wilhelm.

Es fehlte viel, dass Werner einen gleich vorteilhaften Eindruck auf Wilhelmen gemacht haette. Der gute Mann schien eher zurueckals vorwaertsgegangen zu sein. Er war viel magerer als ehemals, sein spitzes Gesicht schien feiner, seine Nase laenger zu sein, seine Stirn und sein Scheitel waren von Haaren entbloesst, seine Stimme hell, heftig und schreiend, und seine eingedrueckte Brust, seine verfallenden Schultern, seine farblosen Wangen liessen keinen Zweifel uebrig, dass ein arbeitsamer Hypochondrist gegenwaertig sei.

Wilhelm war bescheiden genug, um sich ueber diese grosse Veraenderung sehr maessig zu erklaeren, da der andere hingegen seiner freundschaftlichen Freude voelligen Lauf liess. "Wahrhaftig!" rief er aus, "wenn du deine Zeit schlecht angewendet und, wie ich vermute, nichts gewonnen hast, so bist du doch indessen ein Persoenchen geworden, das sein Glueck machen kann und muss; verschleudere und verschleudere nur auch das nicht wieder: du sollst mir mit dieser Figur eine reiche und schoene Erbin erkaufen."—"Du wirst doch", versetzte Wilhelm laechelnd, "deinen Charakter nicht verleugnen! Kaum findest du nach langer Zeit deinen Freund wieder, so siehst du ihn schon als eine Ware, als einen Gegenstand deiner Spekulation an, mit dem sich etwas gewinnen laesst."

Jarno und der Abbe schienen ueber diese Erkennung keinesweges verwundert und liessen beide Freunde sich nach Belieben ueber das Vergangene und Gegenwaertige ausbreiten. Werner ging um seinen Freund herum, drehte ihn hin und her, so dass er ihn fast verlegen machte. "Nein! nein!" rief er aus, "so was ist mir noch nicht vorgekommen, und doch weiss ich wohl, dass ich mich nicht betriege. Deine Augen sind tiefer, deine Stirn ist breiter, deine Nase feiner und dein Mund liebreicher geworden. Seht nur einmal, wie er steht! wie das alles passt und zusammenhaengt! Wie doch das Faulenzen gedeihet! Ich armer Teufel dagegen"—er besah sich im Spiegel—"wenn ich diese Zeit her nicht recht viel Geld gewonnen haette, so waere doch auch gar nichts an mir."

Werner hatte Wilhelms letzten Brief nicht empfangen; ihre Handlung war das fremde Haus, mit welchem Lothario die Gueter in Gemeinschaft zu kaufen die Absicht hatte. Dieses Geschaeft fuehrte Wernern hierher; er hatte keine Gedanken, Wilhelmen auf seinem Wege zu finden. Der Gerichtshalter kam, die Papiere wurden vorgelegt, und Werner fand die Vorschlaege billig. "Wenn Sie es mit diesem jungen Manne, wie es scheint, gut meinen", sagte er, "so sorgen Sie selbst dafuer, dass unser Teil nicht verkuerzt werde; es soll von meinem Freunde abhaengen, ob er das Gut annehmen und einen Teil seines Vermoegens daran wenden will." Jarno und der Abbe versicherten, dass es dieser Erinnerung nicht beduerfe. Man hatte die Sache kaum im allgemeinen verhandelt, als Werner sich nach einer Partie L’hombre sehnte, wozu sich denn auch gleich der Abbe und Jarno mit hinsetzten; er war es nun einmal so gewohnt, er konnte des Abends ohne Spiel nicht leben.

Als die beiden Freunde nach Tische allein waren, befragten und besprachen sie sich sehr lebhaft ueber alles, was sie sich mitzuteilen wuenschten. Wilhelm ruehmte seine Lage und das Glueck seiner Aufnahme unter so trefflichen Menschen. Werner dagegen schuettelte den Kopf und sagte: "Man sollte doch auch nichts glauben, als was man mit Augen sieht! Mehr als ein dienstfertiger Freund hat mir versichert, du lebtest mit einem liederlichen jungen Edelmann, fuehrtest ihm Schauspielerinnen zu, haelfest ihm sein Geld durchbringen und seiest schuld, dass er mit seinen saemtlichen Anverwandten gespannt sei. "—"Es wuerde mich um meinetund um der guten Menschen willen verdriessen, dass wir so verkannt werden", versetzte Wilhelm, "wenn mich nicht meine theatralische Laufbahn mit jeder uebeln Nachrede versoehnt haette. Wie sollten die Menschen unsere Handlungen beurteilen, die ihnen nur einzeln und abgerissen erscheinen, wovon sie das wenigste sehen, weil Gutes und Boeses im verborgenen geschieht und eine gleichgueltige Erscheinung meistens nur an den Tag kommt. Bringt man ihnen doch Schauspieler und Schauspielerinnen auf erhoehte Bretter, zuendet von allen Seiten Licht an, das ganze Werk ist in wenig Stunden abgeschlossen, und doch weiss selten jemand eigentlich, was er daraus machen soll."

Nun ging es an ein Fragen nach der Familie, nach den Jugendfreunden und der Vaterstadt. Werner erzaehlte mit grosser Hast alles, was sich veraendert hatte und was noch bestand und geschah. "Die Frauen im Hause", sagte er, "Sind vergnuegt und gluecklich, es fehlt nie an Geld. Die eine Haelfte der Zeit bringen sie zu, sich zu putzen, und die andere Haelfte, sich geputzt sehen zu lassen. Haushaelterisch sind sie soviel, als billig ist. Meine Kinder lassen sich zu gescheiten Jungen an. Ich sehe sie im Geiste schon sitzen und schreiben und rechnen, laufen, handeln und troedeln; einem jeden soll so bald als moeglich ein eignes Gewerbe eingerichtet werden, und was unser Vermoegen betrifft, daran sollst du deine Lust sehen. Wenn wir mit den Guetern in Ordnung sind, musst du gleich mit nach Hause: denn es sieht doch aus, als wenn du mit einiger Vernunft in die menschlichen Unternehmungen eingreifen koenntest. Deine neuen Freunde sollen gepriesen sein, da sie dich auf den rechten Weg gebracht haben. Ich bin ein naerrischer Teufel und merke erst, wie lieb ich dich habe, da ich mich nicht satt an dir sehen kann, dass du so wohl und so gut aussiehst. Das ist doch noch eine andere Gestalt als das Portraet, das du einmal an die Schwester schicktest und worueber im Hause grosser Streit war. Mutter und Tochter fanden den jungen Herrn allerliebst mit offnem Halse, halbfreier Brust, grosser Krause, herumhaengendem Haar, rundem Hut, kurzem Westchen und schlotternden langen Hosen, indessen ich behauptete, das Kostuem sei nur noch zwei Finger breit vom Hanswurst. Nun siehst du doch aus wie ein Mensch, nur fehlt der Zopf, in den ich deine Haare einzubinden bitte, sonst haelt man dich denn doch einmal unterwegs als Juden an und fordert Zoll und Geleite von dir."

Felix war indessen in die Stube gekommen und hatte sich, als man auf ihn nicht achtete, aufs Kanapee gelegt und war eingeschlafen. "Was ist das fuer ein Wurm?" fragte Werner. Wilhelm hatte in dem Augenblicke den Mut nicht, die Wahrheit zu sagen, noch Lust, eine doch immer zweideutige Geschichte einem Manne zu erzaehlen, der von Natur nichts weniger als glaeubig war.

Die ganze Gesellschaft begab sich nunmehr auf die Gueter, um sie zu besehen und den Handel abzuschliessen. Wilhelm liess seinen Felix nicht von der Seite und freute sich um des Knaben willen recht lebhaft des Besitzes, dem man entgegensah. Die Luesternheit des Kindes nach den Kirschen und Beeren, die bald reif werden sollten, erinnerte ihn an die Zeit seiner Jugend und an die vielfache Pflicht des Vaters, den Seinigen den Genuss vorzubereiten, zu verschaffen und zu erhalten. Mit welchem Interesse betrachtete er die Baumschulen und die Gebaeude! Wie lebhaft sann er darauf, das Vernachlaessigte wiederherzustellen und das Verfallene zu erneuern! Er sah die Welt nicht mehr wie ein Zugvogel an, ein Gebaeude nicht mehr fuer eine geschwind zusammengestellte Laube, die vertrocknet, ehe man sie verlaesst. Alles, was er anzulegen gedachte, sollte dem Knaben entgegenwachsen, und alles, was er herstellte, sollte eine Dauer auf einige Geschlechter haben. In diesem Sinne waren seine Lehrjahre geendigt, und mit dem Gefuehl des Vaters hatte er auch alle Tugenden eines Buergers erworben. Er fuehlte es, und seiner Freude konnte nichts gleichen. "O der unnoetigen Strenge der Moral!" rief er aus, "da die Natur uns auf ihre liebliche Weise zu allem bildet, was wir sein sollen. O der seltsamen Anforderungen der buergerlichen Gesellschaft, die uns erst verwirrt und missleitet und dann mehr als die Natur selbst von uns fordert! Wehe jeder Art von Bildung, welche die wirksamsten Mittel wahrer Bildung zerstoert und uns auf das Ende hinweist, anstatt uns auf dem Wege selbst zu begluecken!"

So manches er auch in seinem Leben schon gesehen hatte, so schien ihm doch die menschliche Natur erst durch die Beobachtung des Kindes deutlich zu werden. Das Theater war ihm, wie die Welt, nur als eine Menge ausgeschuetteter Wuerfel vorgekommen, deren jeder einzeln auf seiner Oberflaeche bald mehr, bald weniger bedeutet und die allenfalls zusammengezaehlt eine Summe machen. Hier im Kinde lag ihm, konnte man sagen, ein einzelner Wuerfel vor, auf dessen vielfachen Seiten der Wert und der Unwert der menschlichen Natur so deutlich eingegraben war.

Das Verlangen des Kindes nach Unterscheidung wuchs mit jedem Tage. Da es einmal erfahren hatte, dass die Dinge Namen haben, so wollte es auch den Namen von allem hoeren; es glaubte nicht anders, sein Vater muesse alles wissen, quaelte ihn oft mit Fragen und gab ihm Anlass, sich nach Gegenstaenden zu erkundigen, denen er sonst wenig Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Auch der eingeborne Trieb, die Herkunft und das Ende der Dinge zu erfahren, zeigte sich fruehe bei dem Knaben. Wenn er fragte, wo der Wind herkomme und wo die Flamme hinkomme, war dem Vater seine eigene Beschraenkung erst recht lebendig; er wuenschte zu erfahren, wie weit sich der Mensch mit seinen Gedanken wagen und wovon er hoffen duerfe sich und andern jemals Rechenschaft zu geben. Die Heftigkeit des Kindes, wenn es irgendeinem lebendigen Wesen Unrecht geschehen sah, erfreute den Vater hoechlich als das Zeichen eines trefflichen Gemuets. Das Kind schlug heftig nach dem Kuechenmaedchen, das einige Tauben abgeschnitten hatte. Dieser schoene Begriff wurde denn freilich bald wieder zerstoert, als er den Knaben fand, der ohne Barmherzigkeit Froesche totschlug und Schmetterlinge zerrupfte. Es erinnerte ihn dieser Zug an so viele Menschen, die hoechst gerecht erscheinen, wenn sie ohne Leidenschaft sind und die Handlungen anderer beobachten.

Dieses angenehme Gefuehl, dass der Knabe so einen schoenen und wahren Einfluss auf sein Dasein habe, ward einen Augenblick gestoert, als Wilhelm in kurzem bemerkte, dass wirklich der Knabe mehr ihn als er den Knaben erziehe. Er hatte an dem Kinde nichts auszusetzen, er war nicht imstande, ihm eine Richtung zu geben, die es nicht selbst nahm, und sogar die Unarten, gegen die Aurelie so viel gearbeitet hatte, waren, so schien es, nach dem Tode dieser Freundin alle wieder in ihre alten Rechte getreten. Noch machte das Kind die Tuere niemals hinter sich zu, noch wollte er seinen Teller nicht abessen, und sein Behagen war niemals groesser, als wenn man ihm nachsah, dass er den Bissen unmittelbar aus der Schuessel nehmen, das volle Glas stehenlassen und aus der Flasche trinken konnte. So war er auch ganz allerliebst, wenn er sich mit einem Buche in die Ecke setzte und sehr ernsthaft sagte: "Ich muss das gelehrte Zeug studieren!", ob er gleich die Buchstaben noch lange weder unterscheiden konnte noch wollte.

Bedachte nun Wilhelm, wie wenig er bisher fuer das Kind getan hatte, wie wenig er zu tun faehig sei, so entstand eine Unruhe in ihm, die sein ganzes Glueck aufzuwiegen imstande war. "Sind wir Maenner denn", sagte er zu sich, "so selbstisch geboren, dass wir unmoeglich fuer ein Wesen ausser uns Sorge tragen koennen? Bin ich mit dem Knaben nicht eben auf dem Wege, auf dem ich mit Mignon war? Ich zog das liebe Kind an, seine Gegenwart ergoetzte mich, und dabei hab ich es aufs grausamste vernachlaessigt. Was tat ich zu seiner Bildung, nach der es so sehr strebte? Nichts! Ich ueberliess es sich selbst und allen Zufaelligkeiten, denen es in einer ungebildeten Gesellschaft nur ausgesetzt sein konnte; und dann fuer diesen Knaben, der dir so merkwuerdig war, ehe er dir so wert sein konnte, hat dich denn dein Herz geheissen, auch nur jemals das geringste fuer ihn zu tun? Es ist nicht mehr Zeit, dass du deine eigenen Jahre und die Jahre anderer vergeudest; nimm dich zusammen, und denke, was du fuer dich und die guten Geschoepfe zu tun hast, welche Natur und Neigung so fest an dich knuepfte."

Eigentlich war dieses Selbstgespraech nur eine Einleitung, sich zu bekennen, dass er schon gedacht, gesorgt, gesucht und gewaehlt hatte; er konnte nicht laenger zoegern, sich es selbst zu gestehen. Nach oft vergebens wiederholtem Schmerz ueber den Verlust Marianens fuehlte er nur zu deutlich, dass er eine Mutter fuer den Knaben suchen muesse und dass er sie nicht sichrer als in Theresen finden werde. Er kannte dieses vortreffliche Frauenzimmer ganz. Eine solche Gattin und Gehuelfin schien die einzige zu sein, der man sich und die Seinen anvertrauen koennte. Ihre edle Neigung zu Lothario machte ihm keine Bedenklichkeit. Sie waren durch ein sonderbares Schicksal auf ewig getrennt, Therese hielt sich fuer frei und hatte von einer Heirat zwar mit Gleichgueltigkeit, doch als von einer Sache gesprochen, die sich von selbst versteht.

Nachdem er lange mit sich zu Rate gegangen war, nahm er sich vor, ihr von sich zu sagen, soviel er nur wusste. Sie sollte ihn kennenlernen, wie er sie kannte, und er fing nun an, seine eigene Geschichte durchzudenken; sie schien ihm an Begebenheiten so leer und im ganzen jedes Bekenntnis so wenig zu seinem Vorteil, dass er mehr als einmal von dem Vorsatz abzustehn im Begriff war. Endlich entschloss er sich, die Rolle seiner Lehrjahre aus dem Turme von Jarno zu verlangen; dieser sagte: "Es ist eben zur rechten Zeit", und Wilhelm erhielt sie.

Es ist eine schauderhafte Empfindung, wenn ein edler Mensch mit Bewusstsein auf dem Punkte steht, wo er ueber sich selbst aufgeklaert werden soll. Alle uebergaenge sind Krisen, und ist eine Krise nicht Krankheit? Wie ungern tritt man nach einer Krankheit vor den Spiegel! Die Besserung fuehlt man, und man sieht nur die Wirkung des vergangenen uebels. Wilhelm war indessen vorbereitet genug, die Umstaende hatten schon lebhaft zu ihm gesprochen, seine Freunde hatten ihn eben nicht geschont, und wenn er gleich das Pergament mit einiger Hast aufrollte, so ward er doch immer ruhiger, je weiter er las. Er fand die umstaendliche Geschichte seines Lebens in grossen, scharfen Zuegen geschildert; weder einzelne Begebenheiten noch beschraenkte Empfindungen verwirrten seinen Blick, allgemeine liebevolle Betrachtungen gaben ihm Fingerzeige, ohne ihn zu beschaemen, und er sah zum erstenmal sein Bild ausser sich, zwar nicht wie im Spiegel ein zweites Selbst, sondern wie im Portraet ein anderes Selbst: man bekennt sich zwar nicht zu allen Zuegen, aber man freut sich, dass ein denkender Geist uns so hat fassen, ein grosses Talent uns so hat darstellen wollen, dass ein Bild von dem, was wir waren, noch besteht und dass es laenger als wir selbst dauern kann.

Wilhelm beschaeftigte sich nunmehr, indem alle Umstaende durch dies Manuskript in sein Gedaechtnis zurueckkamen, die Geschichte seines Lebens fuer Theresen aufzusetzen, und er schaemte sich fast, dass er gegen ihre grossen Tugenden nichts aufzustellen hatte, was eine zweckmaessige Taetigkeit beweisen konnte. So umstaendlich er in dem Aufsatze war, so kurz fasste er sich in dem Briefe, den er an sie schrieb; er bat sie um ihre Freundschaft, um ihre Liebe, wenn’s moeglich waere; er bot ihr seine Hand an und bat sie um baldige Entscheidung.

Nach einigem innerlichen Streit, ob er diese wichtige Sache noch erst mit seinen Freunden, mit Jarno und dem Abbe, beraten solle, entschied er sich zu schweigen. Er war zu fest entschlossen, die Sache war fuer ihn zu wichtig, als dass er sie noch haette dem Urteil des vernuenftigsten und besten Mannes unterwerfen moegen; ja sogar brauchte er die Vorsicht, seinen Brief auf der naechsten Post selbst zu bestellen. Vielleicht hatte ihm der Gedanke, dass er in so vielen Umstaenden seines Lebens, in denen er frei und im verborgenen zu handeln glaubte, beobachtet, ja sogar geleitet worden war, wie ihm aus der geschriebenen Rolle nicht undeutlich erschien, eine Art von unangenehmer Empfindung gegeben, und nun wollte er wenigstens zu Theresens Herzen rein vom Herzen reden und ihrer Entschliessung und Entscheidung sein Schicksal schuldig sein, und so machte er sich kein Gewissen, seine Waechter und Aufseher in diesem wichtigen Punkte wenigstens zu umgehen.

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Harvard: Goethe, JW, 'VIII. Buch, Erstes Kapitel' in Wilhelm Meisters Lehrjahre, Buch 8. cited in 1909, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Buch 8, Tempel Verlag, Berlin. Original Sources, retrieved 24 April 2024, from http://www.originalsources.com/Document.aspx?DocID=G5BGBTNXD55MBY2.