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Geschichte Des Agathon Teil 1
Contents:
Siebentes Kapitel
Magische Kraft der Musik
Agathon hatte seinen Platz kaum eingenommen, als man in dem Wasser ein wuehlendes Plaetschern, und aus der Ferne, wie es liess, eine sanft zerflossene Harmonie hoerte, ohne jemand zu sehen, von dem sie herkaeme. Unser Liebhaber, den dieser Anfang in ein stilles Entzuecken setzte, wurde, ungeachtet er zu diesem Spiele vorbereitet war, zu glauben versucht, dass er die Harmonie der Sphaeren hoere, von deren Wuerklichkeit ihn die Pythagorischen Weisen beredet hatten; allein, waehrend dass sie immer naeher kam und deutlicher wurde, sah er zu gleicher Zeit die Musen aus dem kleinen Lorbeerwaeldchen und die Sirenen aus ihren Grotten hervorkommen. Danae hatte die juengsten und schoensten aus ihren Aufwaerterinnen ausgelesen, diese Meernymphen vorzustellen, die, nur von einem wallenden Streif von himmelblauem Byssus umflattert, mit Cithern und Floeten in der Hand sich ueber die Wellen erhuben, und mit jugendlichem Stolz untadeliche Schoenheiten vor den Augen ihrer eifersuechtigen Gespielen entdeckten. Allein kleine Tritonen, bliesen, um sie her schwimmend, aus krummen Hoernern, und neckten sie durch mutwillige Spiele; indes dass Danae mitten unter den Musen, an den Rand der kleinen Halbinsel herabstieg, und, wie Venus unter den Grazien, oder Diana unter ihren Nymphen hervorglaenzend, dem Auge keine Freiheit liess, auf einem andern Gegenstande zu verweilen. Ein langes schneeweisses Gewand floss, unter dem halbentbloessten Busen mit einem goldnen Guertel umfasst, in kleinen wallenden Falten zu ihren Fuessen herab; ein Kranz von Rosen wand sich um ihre Locken, wovon ein Teil in kunstloser Anmut um ihren Nacken schwebte; ihr rechter Arm, auf dessen Weisse die Homerische Juno eifersuechtig haette sein duerfen, umfasste eine Laute von Elfenbein. Die uebrigen Musen, mit verschiednen Saiteninstrumenten versehen, lagerten sich zu ihren Fuessen; sie allein blieb in einer unnachahmlich reizenden Stellung stehen, und hoerte laechelnd der Aufforderung zu, welche die uebermuetigen Syrenen ihr entgegensangen. Man muss ohne Zweifel gestehen, dass das Gemaelde, welches sich in diesem Augenblick unserm Helden darstellte, nicht sehr geschickt war, weder sein Herz noch seine Sinnen in Ruhe zu lassen; allein die Absicht der Danae war nur, ihn durch die Augen zu den Vergnuegungen eines andern Sinnes vorzubereiten, und ihr Stolz verlangte keinen geringern Triumph, als ein so reizendes Gemaelde durch die Zaubergewalt ihrer Stimme und ihrer Saiten in seiner Seele auszuloeschen. Sie schmeichelte sich nicht zu viel. Die Sirenen hoerten auf zu singen, und die Musen antworteten ihrer Ausforderung durch eine Symphonie, welche auszudrucken schien, wie gewiss sie sich des Sieges hielten. Nach und nach verlor sich die Munterkeit, die in dieser Symphonie herrschte; ein feierlicher Ernst nahm ihren Platz ein, das Getoen wurde immer einfoermiger, bis es nach und nach in ein dunkles gedaempftes Murmeln und zuletzt in eine gaenzliche Stille erstarb. Ein allgemeines Erwarten schien dem Erfolg dieser vorbereitenden Stille entgegen zu horchen, als es auf einmal durch eine liebliche Harmonie unterbrochen wurde, welche die gefluegelten und seelenvollen Finger der schoenen Danae aus ihrer Laute lockten. Eine Stimme, welche faehig schien, die Seelen ihren Leibern zu entfuehren, und Tote wieder zu beseelen (wenn wir einen Ausdruck des Liebhabers der schoenen Laura entlehnen duerfen) eine so bezaubernde Stimme beseelte diese reizende Anrede. Der Inhalt des Wettgesangs war ueber den Vorzug der Liebe, die sich auf die Empfindung, oder derjenigen, die sich auf die blosse Begierde gruendet. Nichts koennte ruehrender sein, als das Gemaelde, welches Danae von der ersten Art der Liebe machte; "in solchen Toenen", dacht Agathon, "ganz gewiss in keinen andern, druecken die Unsterblichen einander aus, was sie empfinden; nur eine solche Sprache ist der Goetter wuerdig." Die ganze Zeit da dieser Gesang dauerte, deuchte ihn ein Augenblick, und er wurde ganz unwillig, als Danae auf einmal aufhoerte, und eine der Sirenen, von den Floeten ihrer Schwestern begleitet, kuehn genug war, es mit seiner Goettin aufzunehmen. Allein er wurde bald gezwungen anders Sinnes zu werden, als er sie hoerte; alle seine Vorurteile fuer die Muse konnten ihn nicht verhindern, sich selbst zu gestehen, dass eine fast unwiderstehliche Verfuehrung in ihren Toenen atmete. Ihre Stimme, die an Weichheit und Biegsamkeit nicht uebertroffen werden konnte, schien alle Grade der Entzueckungen auszudruecken, deren die sinnliche Liebe faehig ist; und das weiche Getoen der Floeten erhoehte die Lebhaftigkeit dieses Ausdrucks auf einen Grad, der kaum einen Unterschied zwischen der Nachahmung und der Wahrheit uebrig liess. "Wenn die Sirenen, bei denen der kluge Ulysses vorbeifahren musste, so gesungen haben", (dachte Agathon) "so hatte er wohl Ursache, sich an Haenden und Fuessen an den Mastbaum binden zu lassen." Kaum hatten die Sirenen diesen Gesang geendiget, so erhub sich ein frohlockendes Klatschen aus dem Wasser, und die kleinen Tritonen stiessen in ihre Hoerner, den Sieg anzudeuten, den sie ueber die Musen erhalten zu haben glaubten. Allein diese hatten den Mut nicht verloren: Sie ermunterten sich bald wieder, und fingen eine Symphonie an, wovon der Anfang eine spottende Nachahmung des Gesanges der Sirenen zu sein schien. Nach einer Weile wechselten sie die Tonart und den Rhythmus durch ein Andante, welches in wenigen Takten nicht die mindeste Spur von den Eindruecken uebrig liess, die der Syrenen Gesang auf das Gemuete der Hoerenden gemacht haben konnte. Eine suesse Schwermut bemaechtigte sich Agathons; er sank in ein angenehmes Staunen, unfreiwillige Seufzer entflohen seiner Brust, und wolluestige Traenen rollten ueber seine Wangen herab. Mitten aus dieser ruehrenden Harmonie erhob sich der Gesang der schoenen Danae, welche durch die eifersuechtigen Bestrebungen ihrer Nebenbuhlerin aufgefordert war, die ganze Vollkommenheit ihrer Stimme, und alle Zauberkraefte der Kunst anzuwenden, um den Sieg gaenzlich auf die Seite der Musen zu entscheiden. Ihr Gesang schilderte die ruehrenden Schmerzen einer wahren Liebe, die in ihrem Schmerzen selbst ein melancholisches Vergnuegen findet; ihre standhafte Treue und die Belohnung, die sie zuletzt von der zaertlichsten Gegenliebe erhaelt. Die Art wie sie dieses ausfuehrte, oder vielmehr die Eindruecke, die sie dadurch auf ihren Liebhaber machte, uebertrafen alles was man sich davon vorstellen kann. Sein ganzes Wesen war Ohr, und seine ganze Seele zerfloss in die Empfindungen, die in ihrem Gesange herrscheten. Er war nicht so weit entfernt, dass Danae nicht bemerkt haette, wie sehr er ausser sich selbst war, und wie viel Muehe er hatte, um sich zu halten, aus seinem Sitz sich in das Wasser herabzustuerzen, zu ihr hinueber zu schwimmen, und seine in Entzueckung und Liebe zerschmolzene Seele zu ihren Fuessen auszuhauchen. Sie wurde durch diesen Anblick selbst so geruehrt, dass sie genoetiget war, die Augen von ihm abzuwenden, um ihren Gesang vollenden zu koennen: Allein sie beschloss bei sich selbst, die Belohnung nicht laenger aufzuschieben, welche sie einer so vollkommenen Liebe schuldig zu sein glaubte. Endlich endigte sich ihr Lied; die begleitende Symphonie hoerte auf; die beschaemten Sirenen flohen in ihre Grotten; die Musen verschwanden; und der staunende Agathon blieb in trauriger Entzueckung allein.
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Chicago: Christoph Martin Wieland, "Siebentes Kapitel," Geschichte Des Agathon Teil 1 in Geschichte Des Agathon Teil 1 Original Sources, accessed December 6, 2024, http://www.originalsources.com/Document.aspx?DocID=UTSBEN2Y6HMKALE.
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Harvard: Wieland, CM, 'Siebentes Kapitel' in Geschichte Des Agathon Teil 1. cited in , Geschichte Des Agathon Teil 1. Original Sources, retrieved 6 December 2024, from http://www.originalsources.com/Document.aspx?DocID=UTSBEN2Y6HMKALE.
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