Korrespondenz

Den 1. August 1787.

Den ganzen Tag fleissig und still wegen der Hitze. Meine beste Freude bei der grossen Waerme ist die ueberzeugung, dass ihr auch einen guten Sommer in Deutschland haben werdet. Hier das Heu einfuehren zu sehen, ist die groesste Lust, da es in dieser Zeit gar nicht regnet und so der Feldbau nach Willkuer behandelt werden kann, wenn sie nur Feldbau haetten.

Abends ward in der Tiber gebadet, in wohlangelegten sichern Badhaeuschen; dann auf Trinita de’ Monti spaziert und frische Luft im Mondschein genossen. Die Mondscheine sind hier, wie man sie sich denkt oder fabelt.

Der vierte Akt von "Egmont" ist fertig, im naechsten Brief hoff’ ich dir den Schluss des Stueckes anzukuendigen.

Den 11. August.

Ich bleibe noch bis kuenftige Ostern in Italien. Ich kann jetzt nicht aus der Lehre laufen. Wenn ich aushalte, komme ich gewiss so weit, dass ich meinen Freunden mit mir Freude machen kann. Ihr sollt immer Briefe von mir haben, meine Schriften kommen nach und nach, so habt ihr den Begriff von mir als eines abwesend Lebenden, da ihr mich so oft als einen gegenwaertig Toten bedauert habt.

"Egmont" ist fertig und wird zu Ende dieses Monats abgehen koennen. Alsdann erwarte ich mit Schmerzen euer Urteil.

Kein Tag vergeht, dass ich nicht in Kenntnis und Ausuebung der Kunst zunehme. Wie eine Flasche sich leicht fuellt, die man oben offen unter das Wasser stoesst, so kann man hier leicht sich ausfuellen, wenn man empfaenglich und bereitet ist; es draengt das Kunstelement von allen Seiten zu.

Den guten Sommer, den ihr habt, konnte ich hier voraussagen. Wir haben ganz gleichen reinen Himmel und am hohen Tag entsetzliche Hitze, der ich in meinem kuehlen Saale ziemlich entgehe. September und Oktober will ich auf dem Lande zubringen und nach der Natur zeichnen. Vielleicht geh’ ich wieder nach Neapel, um Hackerts Unterricht zu geniessen. Er hat mich in vierzehn Tagen, die ich mit ihm auf dem Lande war, weiter gebracht, als ich in Jahren fuer mich wuerde vorgerueckt sein. Noch schicke ich dir nichts und halte ein Dutzend kleine Skizzchen zurueck, um dir auf mal etwas Gutes zu senden.

Diese Woche ist still und fleissig hingegangen. Besonders hab’ ich in der Perspektiv manches gelernt. Verschaffelt, ein Sohn des Mannheimer Direktors, hat diese Lehre recht durchgedacht und teilt mir seine Kunststuecke mit. Auch sind einige Mondscheine aufs Brett gekommen und ausgetuscht worden, nebst einigen andern Ideen, die fast zu toll sind, als dass man sie mitteilen sollte.

Rom, den 11. August 1787.

Ich habe der Herzogin einen langen Brief geschrieben und ihr geraten, die Reise nach Italien noch ein Jahr zu verschieben. Geht sie im Oktober, so kommt sie gerade zur Zeit in dies schoene Land, wenn sich das Wetter umkehrt, und sie hat einen boesen Spass. Folgt sie mir in diesem und andrem, so kann sie Freude haben, wenn das Glueck gut ist. Ich goenne ihr herzlich diese Reise.

Es ist sowohl fuer mich als fuer andere gesorgt, und die Zukunft wollen wir geruhig erwarten. Niemand kann sich umpraegen und niemand seinem Schicksale entgehn. Aus eben diesem Briefe wirst du meinen Plan sehn und ihn hoffentlich billigen. Ich wiederhole hier nichts.

Ich werde oft schreiben und den Winter durch immer im Geiste unter euch sein. Tasso kommt nach dem neuen Jahre. Faust soll auf seinem Mantel als Kurier meine Ankunft melden. Ich habe alsdann eine Hauptepoche zurueckgelegt, rein geendigt, und kann wieder anfangen und eingreifen, wo es noetig ist. Ich fuehle mir einen leichtern Sinn und bin fast ein andrer Mensch als vorm Jahr.

Ich lebe in Reichtum und ueberfluss alles dessen, was mir eigens lieb und wert ist, und habe erst diese paar Monate meine Zeit hier recht genossen. Denn es legt sich nun auseinander, und die Kunst wird mir wie eine zweite Natur, die gleich der Minerva aus dem Haupte Jupiters, so aus dem Haupte der groessten Menschen geboren worden. Davon sollt ihr in der Folge tagelang, wohl jahrelang unterhalten werden.

Ich wuensche euch allen einen guten September. Am Ende Augusts, wo alle unsre Geburtstage zusammentreffen, will ich eurer fleissig gedenken. Wie die Hitze abnimmt, geh’ ich aufs Land, dort zu zeichnen, indes tu’ ich, was in der Stube zu tun ist, und muss oft pausieren. Abends besonders muss man sich vor Verkaeltung in acht nehmen.

Rom, den 18. August 1787.

Diese Woche hab’ ich einigermassen von meiner nordischen Geschaeftigkeit nachlassen muessen, die ersten Tage waren gar zu heiss. Ich habe also nicht so viel getan, als ich wuenschte. Nun haben wir seit zwei Tagen die schoenste Tramontane und eine gar freie Luft. September und Oktober muessen ein paar himmlische Monate werden.

Gestern fuhr ich vor Sonnenaufgang nach Acqua acetosa; es ist wirklich zum Naerrischwerden, wenn man die Klarheit, die Mannigfaltigkeit, duftige Durchsichtigkeit und himmlische Faerbung der Landschaft, besonders der Fernen ansieht.

Moritz studiert jetzt die Antiquitaeten und wird sie zum Gebrauch der Jugend und zum Gebrauch eines jeden Denkenden vermenschlichen und von allem Buechermoder und Schulstaub reinigen. Er hat eine gar glueckliche richtige Art, die Sachen anzusehn, ich hoffe, dass er sich auch Zeit nehmen wird, gruendlich zu sein. Wir gehen des Abends spazieren, und er erzaehlt mir, welchen Teil er des Tags durchgedacht, was er in den Autoren gelesen, und so fuellt sich auch diese Luecke aus, die ich bei meinen uebrigen Beschaeftigungen lassen musste und nur spaet und mit Muehe nachholen koennte. Ich sehe indes Gebaeude, Strassen, Gegend, Monumente an, und wenn ich abends nach Hause komme, wird ein Bild, das mir besonders aufgefallen, unterm Plaudern aufs Papier gescherzt. Ich lege dir eine solche Skizze von gestern abend bei. Es ist die ungefaehre Idee, wenn man von hinten das Kapitol heraufkommt.

Mit der guten Angelika war ich Sonntags die Gemaelde des Prinzen Aldobrandini, besonders einen trefflichen Leonard da Vinci zu sehen. Sie ist nicht gluecklich, wie sie es zu sein verdiente bei dem wirklich grossen Talent und bei dem Vermoegen, das sich taeglich mehrt. Sie ist muede, auf den Kauf zu malen, und doch findet ihr alter Gatte es gar zu schoen, dass so schweres Geld fuer oft leichte Arbeit einkommt. Sie moechte nun sich selbst zur Freude, mit mehr Musse, Sorgfalt und Studium arbeiten und koennte es. Sie haben keine Kinder, koennen ihre Interessen nicht verzehren, und sie verdient taeglich auch mit maessiger Arbeit noch genug hinzu. Das ist nun aber nicht und wird nicht. Sie spricht sehr aufrichtig mit mir, ich hab’ ihr meine Meinung gesagt, hab’ ihr meinen Rat gegeben und muntre sie auf, wenn ich bei ihr bin. Man rede von Mangel und Unglueck, wenn die, welche genug besitzen, es nicht brauchen und geniessen koennen! Sie hat ein unglaubliches und als Weib wirklich ungeheures Talent. Man muss sehen und schaetzen, was sie macht, nicht das, was sie zuruecklaesst. Wie vieler Kuenstler Arbeiten halten Stich, wenn man rechnen will, was fehlt!

Und so, meine Lieben, wird mir Rom, das roemische Wesen, Kunst und Kuenstler immer bekannter, und ich sehe die Verhaeltnisse ein, sie werden mir nah und natuerlich, durchs Mitleben und Hin—und Herwandeln. Jeder blosse Besuch gibt falsche Begriffe. Sie moechten mich auch hier aus meiner Stille und Ordnung bringen und in die Welt ziehen, ich wahre mich, so gut ich kann. Verspreche, verzoegre, weiche aus, versprach wieder und spiele den Italiener mit den Italienern. Der Kardinal Staatssekretaer, Buoncompagni, hat mir es gar zu nahe legen lassen, ich werde aber ausweichen, bis ich halb September aufs Land gehe. Ich scheue mich vor den Herren und Damen wie vor einer boesen Krankheit, es wird mir schon weh, wenn ich sie fahren sehe.

Rom, den 23. August 1787

Euren lieben Brief Nr. 24 erhielt ich vorgestern, eben als ich nach dem Vatikan ging, und habe ihn unterwegs und in der Sixtinischen Kapelle aber—und abermals gelesen, sooft ich ausruhte von dem Sehen und Aufmerken. Ich kann euch nicht ausdruecken, wie sehr ich euch zu mir gewuenscht habe, damit ihr nur einen Begriff haettet, was ein einziger und ganzer Mensch machen und ausrichten kann; ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag. Man hoert und liest von viel grossen und braven Leuten, aber hier hat man es noch ganz lebendig ueber dem Haupte, vor den Augen. Ich habe mich viel mit euch unterhalten und wollte, es stuende alles auf dem Blatte. Ihr wollt von mir wissen! Wie vieles koennt’ ich sagen! Denn ich bin wirklich umgeboren und erneuert und ausgefuellt. Ich fuehle, dass sich die Summe meiner Kraefte zusammenschliesst, und hoffe noch etwas zu tun. UEber Landschaft und Architektur habe ich diese Zeit her ernstlich nachgedacht, auch einiges versucht und sehe nun, wo es damit hinaus will, auch wie weit es zu bringen waere.

Nun hat mich zuletzt das A und O aller uns bekannten Dinge, die menschliche Figur, angefasst, und ich sie, und ich sage: "Herr, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, und sollt’ ich mich lahm ringen." Mit dem Zeichnen geht es gar nicht, und ich habe also mich zum Modellieren entschlossen, und das scheint ruecken zu wollen. Wenigstens bin ich auf einen Gedanken gekommen, der mir vieles erleichtert. Es waere zu weitlaeufig, es zu detaillieren, und es ist besser zu tun als zu reden. Genug, es laeuft darauf hinaus, dass mich nun mein hartnaeckig Studium der Natur, meine Sorgfalt, mit der ich in der komparierenden Anatomie zu Werke gegangen bin, nunmehr in den Stand setzen, in der Natur und den Antiken manches im ganzen zu sehen, was den Kuenstlern im einzelnen aufzusuchen schwer wird, und das sie, wenn sie es endlich erlangen, nur fuer sich besitzen und andern nicht mitteilen koennen.

Ich habe alle meine physiognomischen Kunststueckchen, die ich aus Pik auf den Propheten in den Winkel geworfen, wieder hervorgesucht, und sie kommen mir gut zu passe. Ein Herkuleskopf ist angefangen; wenn dieser glueckt, wollen wir weitergehen.

So entfernt bin ich jetzt von der Welt und allen weltlichen Dingen, es kommt mir recht wunderbar vor, wenn ich eine Zeitung lese. Die Gestalt dieser Welt vergeht, ich moechte mich nur mit dem beschaeftigen, was bleibende Verhaeltnisse sind, und so nach der Lehre des *** meinem Geiste erst die Ewigkeit verschaffen.

Gestern sah ich bei Ch. v. Worthley, der eine Reise nach Griechenland, aegypten etc. gemacht hat, viele Zeichnungen. Was mich am meisten interessierte, waren Zeichnungen nach Basreliefs, welche im Fries des Tempels der Minerva zu Athen sind, Arbeiten des Phidias. Man kann sich nichts Schoeneres denken als die wenigen einfachen Figuren. UEbrigens war wenig Reizendes an den vielen gezeichneten Gegenstaenden; die Gegenden waren nicht gluecklich, die Architektur besser.

Lebe wohl fuer heute. Es wird meine Bueste gemacht, und das hat mir drei Morgen dieser Woche gekostet.

Den 28. August 1787.

Mir ist diese Tage manches Gute begegnet, und heute zum Feste kam mir Herders Buechlein voll wuerdiger Gottesgedanken. Es war mir troestlich und erquicklich, sie in diesem Babel, der Mutter so vieles Betrugs und Irrtums, so rein und schoen zu lesen, und zu denken, dass doch jetzt die Zeit ist, wo sich solche Gesinnungen, solche Denkarten verbreiten koennen und duerfen. Ich werde das Buechlein in meiner Einsamkeit noch oft lesen und beherzigen, auch Anmerkungen dazu machen, welche Anlass zu kuenftigen Unterredungen geben koennen.

Ich habe diese Tage immer weiter um mich gegriffen in Betrachtung der Kunst, und uebersehe nun fast das ganze Pensum, das mir zu absolvieren bleibt; und wenn es absolviert ist, ist noch nichts getan. Vielleicht gibt’s andern Anlass, dasjenige leichter und besser zu tun, wozu Talent und Geschick bestimmt.

Die franzoesische Akademie hat ihre Arbeiten ausgestellt; es sind interessante Sachen drunter. Pindar, der die Goetter um ein glueckliches Ende bittet, faellt in die Arme eines Knaben, den er sehr liebt, und stirbt. Es ist viel Verdienst in dem Bilde. Ein Architekt hat eine gar artige Idee ausgefuehrt, er hat das jetzige Rom von einer Seite gezeichnet, wo es sich mit allen seinen Teilen gut ausnimmt. Dann hat er auf einem andern Blatte das alte Rom vorgestellt, als wenn man es aus demselben Standpunkt saehe. Die Orte, wo die alten Monumente gestanden, weiss man, ihre Form auch meistens, von vielen stehen noch die Ruinen. Nun hat er alles Neue weggetan und das Alte wiederhergestellt, wie es etwa zu Zeiten Diokletians ausgesehen haben mag, und mit ebensoviel Geschmack als Studium, und allerliebst gefaerbt.

Was ich tun kann, tu’ ich, und haeufe so viel von allen diesen Begriffen und Talenten auf mich, als ich schleppen kann, und bringe auf diese Weise doch das Reellste mit.

Hab’ ich dir schon gesagt, dass Trippel meine Bueste arbeitet? Der Fuerst von Waldeck hat sie bei ihm bestellt. Er ist schon meist fertig, und es macht ein gutes Ganze. Sie ist in einem sehr soliden Stil gearbeitet. Wenn das Modell fertig ist, wird er eine Gipsform darueber machen und dann gleich den Marmor anfangen, welchen er dann zuletzt nach dem Leben auszuarbeiten wuenscht; denn was sich in dieser Materie tun laesst, kann man in keiner andern erreichen.

Angelika malt jetzt ein Bild, das sehr gluecken wird: die Mutter der Gracchen, wie sie einer Freundin, welche ihre Juwelen auskramte, ihre Kinder als die besten Schaetze zeigt. Es ist eine natuerliche und sehr glueckliche Komposition.

Wie schoen ist es, zu saeen, damit geerntet werde! Ich habe hier durchaus verschwiegen, dass heute mein Geburtstag sei, und dachte beim Aufstehen: sollte mir denn von Hause nichts zur Feier kommen? Und siehe, da wird mir euer Paket gebracht, das mich unsaeglich erfreut. Gleich setzte ich mich hin, es zu lesen, und bin nun zu Ende und schreibe gleich meinen herzlichsten Dank nieder.

Nun moechte ich denn erst bei euch sein, da sollte es an ein Gespraech gehen, zu Ausfuehrung einiger angedeuteten Punkte. Genug, das wird uns auch werden, und ich danke herzlich, dass eine Saeule gesetzt ist, von welcher an wir nun unsre Meilen zaehlen koennen. Ich wandle starken Schrittes in den Gefilden der Natur und Kunst herum und werde dir mit Freuden von da aus entgegenkommen.

Ich habe es heute nach Empfang deines Briefes noch einmal durchgedacht und muss darauf beharren: mein Kunststudium, mein Autorwesen, alles fordert noch diese Zeit. In der Kunst muss ich es so weit bringen, dass alles anschauende Kenntnis werde, nichts Tradition und Name bleibe, und ich zwinge es in diesem halben Jahre, auch ist es nirgends als in Rom zu zwingen. Meine Saechelchen (denn sie kommen mir sehr im Diminutiv vor) muss ich wenigstens mit Sammlung und Freudigkeit enden.

Dann zieht mich alles nach dem Vaterlande zurueck. Und wenn ich auch ein isoliertes, privates Leben fuehren sollte, habe ich so viel nachzuholen und zu vereinigen, dass ich fuer zehn Jahre keine Ruhe sehe.

In der Naturgeschichte bring’ ich dir Sachen mit, die du nicht erwartest. Ich glaube dem Wie der Organisation sehr nahe zu ruecken. Du sollst diese Manifestationen (nicht Fulgurationen) unsres Gottes mit Freuden beschauen und mich belehren, wer in der alten und neuen Zeit dasselbe gefunden, gedacht, es von eben der Seite oder aus einem wenig abweichenden Standpunkte betrachtet.